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Stars spielen wie Anfänger – was ist nur mit Real lo...

Real Madrid ist völlig von der Rolle. Nach dem Seuchenjahr droht weiteres Chaos. Fans rätseln, warum ihre Stars das Kicken verlernt haben.

Heute Redaktion
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Keylor Navas mit einem seiner zahlreichen Saves gegen Tottenham. Die Real-Verteidiger waren von der Rolle.
Keylor Navas mit einem seiner zahlreichen Saves gegen Tottenham. Die Real-Verteidiger waren von der Rolle.
Bild: imago sportfotodienst

Er ist Weltmeister, vierfacher Champions-League-Sieger, zweifacher spanischer Meister – und gerade erst 26 Jahre alt. Für viele war Raphael Varane bis vor einem Jahr auf dem direkten Weg, der beste Innenverteidiger der Welt zu werden.

Wer Real in der abgelaufenen Saison selten verfolgte, am Dienstagnachmittag beim Zappen im deutschen ZDF hängen blieb, muss zunächst auf ein Körperdouble des Franzosen gedacht haben. Varane war völlig von der Rolle und steht sinnbildlich für das krisengebeutelte Real Madrid. Nach einer Saison ohne großen Titel, mit zwölf Niederlagen in der spanischen Liga, scheint sich das Chaos fortzusetzen.

Der Klub spielte am Dienstag gegen Tottenham das Halbfinale des Einladungs-Turnieres Audi Cup. Real sollte den Test 0:1 verlieren. Es war eine Vorstellung, die an Lust- und Planlosigkeit kaum zu überbieten war. Die Königlichen waren mit einer A-Formation ins Spiel gegangen. Doch einzig dem etatmäßigen Ersatzkeeper Keylor Navas war es zu verdanken, dass nach dem blamablen 3:7 im Test-Derby gegen Atletico nicht das nächste Debakel folgte.

Real fiel vorne nichts ein. Luka Modric und Toni Kroos schoben sich gegenseitig den Ball zu. Lucas Vazquez und Eden Hazard schauten Mittelstürmer Karim Benzema interessiert auf die Beine, als er sich als einziger abmühte. Er schoss zwar aus allen Lagen, die Bälle aus der zweiten Reihe segelten aber links, rechts und über dem Tor vorbei. Gefährlich wurde es nie.

Das Tempo war demenstprechend einschläfernd. Trotzdem schaffte es die Viererkette Reals, einen groben Schnitzer an den nächsten zu reihen. Carvajal-Varane-Ramos-Marcelo waren Protagonisten beim Titel-Hattrick in der Champions League. Etwas mehr als ein Jahr später scheint diese Ära der Dominanz nicht nur beendet zu sein – die Stars sind aktuell nur mehr Schatten ihrer selbst.

In den ersten 40 Spielminuten zählten wir von Varane fünf grobe Abwehrfehler, die schon auf niedrigem Niveau bestraft werden. Wir sprechen hier aber von einem erfahrenen Stammspieler bei einem der besten Klubs der Welt im besten Alter. Er verschätzte sich bei langen Bällen, schoss beim Abfangen eines Passes fast ein Eigentor, ließ sich im 16er das Spielgerät wegnehmen und stolperte in seine Zweikämpfe.

Marcelo wurde schon im Laufe der letzten Saison mehr oder weniger abmontiert. Mit Ferland Mendy setzte ihm der Verein im Sommer einen neuen Konkurrenten vor die Nase. Gegen die Spurs war zu sehen, warum. Nach vorne flackerte bei einzelnen Angriffen die Klasse des Brasilianers auf. Seine Ballbehandlung war schon immer galaktisch. Im Spiel nach hinten passte nichts. Marcelo war nicht auf seiner Position, keiner putzte hinter ihm aus. Kurze Pässe im Aufbau landeten beim Gegner. Das Timing beim Tackling passte nicht – wenn er denn überhaupt nah genug beim Gegner war. Das traurige Highlight: Ein harmloser Ball kullerte Richtung Outlinie. Marcelo sprintete wie vom Hafer gestochen und "rettete" sein Team per Grätsche vor dem Einwurf. Blöd nur, dass er den Ball dabei Richtung eigener Verteidigung drosch, genau in den Lauf von Harry Kane, der zum 1:0 einnetzte.

Luka Modric wirkte vor der Abwehr geradezu nervös. Das Testspiel gegen seinen Ex-Klub kann einen Mann seiner Klasse aber wohl kaum dermaßen aus der Ruhe bringen. Der Kroate wirkt ganz einfach verunsichert, tut das schon seit einiger Zeit. Im Zweifel spielt er aktuell den einfachen Pass. Probiert er etwas außergewöhnliches, geht es meist in die Hose. Wenn ihn Trainer Zinedine Zidane den Weltfußballer nicht schleunigst wieder aufbaut, wird das in der kommenden Saison zum Problem.

Der Haken: Zidane hat wie erwähnt nicht nur eine Baustelle und wohl zur Genüge mit sich selbst beschäftigt. Denn strategisch hatte Real weder mit dem ersten noch dem zweiten Anzug gegen die Spurs kaum etwas anzubieten. Das war schon bei den Test-Pleiten gegen Bayern (1:3) und Atletico (3:7) und weiten Teilen der vergangenen Saison der Fall.

Langsam drängt sich der Eindruck auf, dass die Klasse Cristiano Ronaldos bis zu seinem Abgang (zu Juve) im vergangenen Sommer viele taktische Mängel beim Weißen Ballett kaschierte.

Bezeichnend: Neben dem starken Navas konnte nur Takefusa Kubo aufzeigen. Der junge Neuzugang aus Japan riss in der Schlussviertelstunde das Spiel an sich und war mit einigen flinken Aktionen rund um den Strafraum sogar knapp am Ausgleich dran. Es handelte sich aber wohlgemerkt um Einzelaktionen eines bis in die Haarspitzen motivierten Youngsters.

Stichwort Einzelaktionen. Auch deshalb wurde Eden Hazard von Chelsea geholt. Einer, der mit seinen Geniestreichen Spiele im Alleingang entscheiden kann. Nach einem hervorragenden Jahr kam der 100-Millionen-Mann Berichten zufolge mit sieben Kilogramm Übergewicht zu seinem neuen Klub. Die Leistungen in der Vorbereitung machen diese Erzählungen glaubhaft. Hazard wirkte gegen die Spurs ungewohnt unbeweglich. Keine Tempodribblings, kaum Offensiv-Aktionen – Note fünf.

Als wäre all dies für Real-Fans noch nicht schlimm genug, begleitet sie die Posse um Superstar Gareth Bale auf Schritt und Tritt. Der Waliser steht auf der Abschussliste von Zidane. Der Franzose hatte öffentlich gesagt, dass er ihn gerne so schnell wie möglich verkaufen würde. Aber: Niemand will die kolportierten 80 Millionen Ablöse zahlen, schon gar nicht das königliche Gehalt des verletzungsanfälligen 30-Jährigen. So scheint ein Ausnahmekönner, der mit seinen Toren auch zwei Champions-League-Endspiele entschieden hat, auf der Tribüne zu stranden. Auch das wird die Stimmung im Klub nicht heben.

(Sebastian Klein)

PS: Auch in den spanischen Medien wird Real zerrissen. "Marca" bewertete das Gesehen wie folgt. Je mehr Sterne, desto besser die Performance eines Kickers. Auch in dieser Einzelkritik kommt bei den Spaniern nur Navas gut weg.

Team der 1. Runde

Team der Saison

Rookie-Team der Saison

(SeK)

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