Atomare Aufrüstung

"Was Nordkorea schafft, schafft der Iran allemal"

Im Interview mit 20 Minuten erklärt Nahost-Experte Roland Popp, weshalb Israel den Krieg trotz des Versagens seiner Abwehrsysteme weiterführen wird.
20 Minuten
16.06.2025, 10:30
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20 Minuten: Iran und Israel überziehen sich mit Angriffen. Bilder zeigen auch in Israel Gebäude, die in Schutt und Asche liegen. Lässt sich die Eskalationsspirale noch durchbrechen?

Gegenwärtig stehen die Chancen dafür sehr schlecht. Die Israelis haben sich für diesen Angriffskrieg entschieden und wollen ihn jetzt erfolgreich zu Ende bringen. Es müsste auf israelischer Seite einiges schiefgehen, um die Bereitschaft zu schaffen, den Krieg vorzeitig abzubrechen – ein Ende des Krieges zu diesem Zeitpunkt wäre eine Niederlage für Israel.

Werden jetzt weitere Staaten in den Konflikt eingreifen? Kann sich Trump angesichts der Bilder aus Israel einfach heraushalten?

Wenn eine Macht militärisch eingreift, dann wären das sicherlich die Vereinigten Staaten. In gewisser Weise tun sie das bereits heute: Sie helfen, die iranischen Raketen und Drohnen abzuwehren, greifen aber ansonsten noch nicht aktiv in den Krieg ein.

Roland Popp ist Experte für die Nahostregion und die Proliferation von Atomwaffen und forscht an der Militärakademie an der ETH Zürich. Im Interview erklärt er, weshalb Israel den Krieg trotz des Versagens seiner Abwehrsysteme weiterführen wird, und weshalb eine iranische Atombombe jetzt sogar wahrscheinlicher werden könnte.
Roland Popp/Luca Andrea Donati

Die USA ebenfalls ins aktive Kriegsgeschehen zu verwickeln, ist aber sicherlich als eines der wichtigsten Kriegsziele der Israelis zu verstehen – ohne amerikanische Unterstützung wird es kaum gelingen, die besonders gut geschützten Anlagen des Atomprogramms zu zerstören, insbesondere die Anlage Fordo, die sich in einem Bunkersystem tief unter der Erde befindet.

Die Abwehrsysteme Iron Dome, David’s Sling und Arrow sollten die israelische Bevölkerung schützen. Haben sie versagt?

Man muss definitiv von einem Versagen sprechen, wenn die größte Ölraffinerie und wichtige Wissenschaftseinrichtungen schwer getroffen werden.

Es scheint, als hätten die Iraner dazugelernt – sie wissen, wie man die israelischen Abwehrsysteme überwältigt und es ist davon auszugehen, dass der Iran seine besten Waffensysteme noch gar nicht eingesetzt hat. Die viel gerühmte Abwehr der Israelis funktioniert offenbar nur punktuell.

Was bedeutet ein "löchriger Schutzschirm" für Netanjahu? Wird er Teile der Bevölkerung verlieren?

Das Kalkül Netanjahus ist natürlich, dass er am Ende der Strapazen vorweisen kann, das iranische Atomprogramm zerstört zu haben – wenn dies aber nicht gelingt, dann ist er nicht nur militärisch, sondern auch politisch gescheitert.

Kann Israel mit dem Krieg tatsächlich verhindern, dass Teheran zur Atommacht aufsteigt?

Eigentlich nur dann, wenn gleichzeitig das politische System im Iran gestürzt wird – was klar eine deklarierte Absicht der Israelis ist. Dieses Resultat halte ich aber für unwahrscheinlich.

Ali Khamenei und seine Gefolgsleute schlugen die Proteste nach dem Tod von Mahsa Amini mit aller Härte nieder. Steht die Bevölkerung in diesem Konflikt trotzdem hinter der Regierung?

Das ist natürlich schwer zu beurteilen – aus meinem persönlichen Umfeld weiß ich, dass ein großer Teil der Bevölkerung dieses islamistische System ablehnt und überwinden möchte. Gleichzeitig lieben alle Iraner ihr Land und sind unabhängig des politischen Systems willens, ihr Land zu verteidigen. Entsprechend halte ich das israelische Kalkül für fehlgeleitet, dass das System im Iran wie ein Kartenhaus in sich zusammenbricht – aber ich kann hier nur spekulieren.

Wie nahe ist Iran an der Atombombe?

Das nötige Know-how ist vorhanden – die Tötung von Wissenschaftlern und die Zerstörung von Anlagen hat lediglich einen verzögernden Einfluss: Wenn der Iran nach diesem Angriff entscheidet, Atomwaffen zu bauen, dann werden sie das durchaus innerhalb von ein bis zwei Jahren schaffen. Was das kleine Nordkorea schafft, schafft der Iran allemal.

„Das nötige Know-how ist vorhanden – die Tötung von Wissenschaftlern und die Zerstörung von Anlagen hat lediglich einen verzögernden Einfluss.“
Nahost-Experte Roland Popp

Man darf aber nicht vergessen, dass es zwischen der Fertigung der ersten Atomwaffe und einer funktionierenden nuklearen Abschreckung noch einige Zwischenschritte braucht: Tatsächliche Abschreckung ist erst gegeben, wenn eine große Zahl Sprengköpfe und eine glaubwürdige Zweitschlagskapazität vorhanden sind.

Weshalb hat der Iran bis heute keine Atomwaffen gebaut?

Das ist eine politische Entscheidung: Bisher war der Iran zufrieden damit, die Kapazitäten bereitzustellen, um schnell Atomwaffen bauen zu können. Dahinter steht ein Bündel verschiedener Faktoren: Der Bruch mit dem Atomwaffensperrvertrag würde den Iran in der gegenwärtigen Weltordnung zum Paria machen – das beste Beispiel hierfür ist Nordkorea. Der Iran hat aber auch andere Interessen, weshalb sie diesen Schritt bisher nicht gewagt haben. Dieser unilaterale israelische Angriff ist aber vermutlich ein unerwartetes Ereignis – auch für den Iran – welches das Kalkül künftig ändern könnte.

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