Gegenwärtig stehen die Chancen dafür sehr schlecht. Die Israelis haben sich für diesen Angriffskrieg entschieden und wollen ihn jetzt erfolgreich zu Ende bringen. Es müsste auf israelischer Seite einiges schiefgehen, um die Bereitschaft zu schaffen, den Krieg vorzeitig abzubrechen – ein Ende des Krieges zu diesem Zeitpunkt wäre eine Niederlage für Israel.
Wenn eine Macht militärisch eingreift, dann wären das sicherlich die Vereinigten Staaten. In gewisser Weise tun sie das bereits heute: Sie helfen, die iranischen Raketen und Drohnen abzuwehren, greifen aber ansonsten noch nicht aktiv in den Krieg ein.
Die USA ebenfalls ins aktive Kriegsgeschehen zu verwickeln, ist aber sicherlich als eines der wichtigsten Kriegsziele der Israelis zu verstehen – ohne amerikanische Unterstützung wird es kaum gelingen, die besonders gut geschützten Anlagen des Atomprogramms zu zerstören, insbesondere die Anlage Fordo, die sich in einem Bunkersystem tief unter der Erde befindet.
Man muss definitiv von einem Versagen sprechen, wenn die größte Ölraffinerie und wichtige Wissenschaftseinrichtungen schwer getroffen werden.
Es scheint, als hätten die Iraner dazugelernt – sie wissen, wie man die israelischen Abwehrsysteme überwältigt und es ist davon auszugehen, dass der Iran seine besten Waffensysteme noch gar nicht eingesetzt hat. Die viel gerühmte Abwehr der Israelis funktioniert offenbar nur punktuell.
Das Kalkül Netanjahus ist natürlich, dass er am Ende der Strapazen vorweisen kann, das iranische Atomprogramm zerstört zu haben – wenn dies aber nicht gelingt, dann ist er nicht nur militärisch, sondern auch politisch gescheitert.
Eigentlich nur dann, wenn gleichzeitig das politische System im Iran gestürzt wird – was klar eine deklarierte Absicht der Israelis ist. Dieses Resultat halte ich aber für unwahrscheinlich.
Das ist natürlich schwer zu beurteilen – aus meinem persönlichen Umfeld weiß ich, dass ein großer Teil der Bevölkerung dieses islamistische System ablehnt und überwinden möchte. Gleichzeitig lieben alle Iraner ihr Land und sind unabhängig des politischen Systems willens, ihr Land zu verteidigen. Entsprechend halte ich das israelische Kalkül für fehlgeleitet, dass das System im Iran wie ein Kartenhaus in sich zusammenbricht – aber ich kann hier nur spekulieren.
Das nötige Know-how ist vorhanden – die Tötung von Wissenschaftlern und die Zerstörung von Anlagen hat lediglich einen verzögernden Einfluss: Wenn der Iran nach diesem Angriff entscheidet, Atomwaffen zu bauen, dann werden sie das durchaus innerhalb von ein bis zwei Jahren schaffen. Was das kleine Nordkorea schafft, schafft der Iran allemal.
„Das nötige Know-how ist vorhanden – die Tötung von Wissenschaftlern und die Zerstörung von Anlagen hat lediglich einen verzögernden Einfluss.“Nahost-Experte Roland Popp
Man darf aber nicht vergessen, dass es zwischen der Fertigung der ersten Atomwaffe und einer funktionierenden nuklearen Abschreckung noch einige Zwischenschritte braucht: Tatsächliche Abschreckung ist erst gegeben, wenn eine große Zahl Sprengköpfe und eine glaubwürdige Zweitschlagskapazität vorhanden sind.
Das ist eine politische Entscheidung: Bisher war der Iran zufrieden damit, die Kapazitäten bereitzustellen, um schnell Atomwaffen bauen zu können. Dahinter steht ein Bündel verschiedener Faktoren: Der Bruch mit dem Atomwaffensperrvertrag würde den Iran in der gegenwärtigen Weltordnung zum Paria machen – das beste Beispiel hierfür ist Nordkorea. Der Iran hat aber auch andere Interessen, weshalb sie diesen Schritt bisher nicht gewagt haben. Dieser unilaterale israelische Angriff ist aber vermutlich ein unerwartetes Ereignis – auch für den Iran – welches das Kalkül künftig ändern könnte.