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Wahl-Wiener in Kabul: "Geh ich raus, droht mir der Tod"

Ein Wahl-Wiener berichtet von der Lage in Kabul. Er sitzt fest – sollten die Taliban ihn entdecken, droht ihm die Hinrichtung als Ungläubiger. 

Marlene Postl
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Kabuls Straßen liegen im Dunklen. Ein Wahl-Wiener fürchtet um sein Leben.
Kabuls Straßen liegen im Dunklen. Ein Wahl-Wiener fürchtet um sein Leben.
privat

Seit Sonntag herrscht in Afghanistans Hauptstadt Kabul die Terror-Herrschaft der Taliban. Seit der gewaltsamen Machtübernahme gehen unfassbare Bilder aus der Hauptstadt Kabul um die Welt. Hunderte Menschen versuchten zu fliehen, drängten sich am Flugplatz und klammerten sich an den Flieger – ein Video zeigt eine Person, die vom abhebenden Flieger in den Tod stürzt. Afghanistans Präsident Ashraf Gani war einer der ersten, die das Land verließen, als die radikalen Islamisten vor den Toren der Stadt standen. Unzählige Menschen, darunter auch Österreicher, sitzen hingegen nun in Kabul fest. 

So auch der 25-jährige Latif. Er ist seit rund zehn Jahren Wahl-Wiener. Er hat seinen Lebensmittelpunkt in Österreich, arbeitet und lebt in Wien und spricht ausgezeichnet Deutsch. Ungefähr genau so lange wie er bereits in Österreich lebt, hat Latif seine Familie schon nicht mehr gesehen. Deswegen entschloss sich der 25-Jährige, nach Afghanistan zu reisen, um seine Verwandten zu besuchen. Ein folgenschwerer Fehler – nun steckt er im absoluten Chaos in Kabul fest.  Am Telefon berichtet der 25-Jährige von den Schreckensszenen in der afghanischen Hauptstadt.

"Taliban nahmen Stadt innerhalb von einer Stunde ein"

Obwohl er wusste, dass die Lage in Afghanistan prekär ist, hätte sich der Wahl-Wiener nie gedacht, dass die Situation so eskalieren würde, berichtet er im Gespräch mit "Heute": "Ich glaube, niemand hätte ahnen können, dass die Hauptstadt einfach so eingenommen wird. Als ich mitbekommen habe, was passiert, habe ich versucht, noch einen Flug zu bekommen, doch es war bereits zu spät. Die Taliban haben die Stadt innerhalb von einer Stunde eingenommen. Auf der Straße brach absolutes Chaos aus, Leute ließen ihre Autos stehen und flüchteten, alle liefen durcheinander."

Latif brachte sich ebenfalls in Sicherheit. Nun harrt er in der Wohnung seiner Familie aus. "Ich war seit zwei Tagen nur einmal kurz draußen. Es sind weit und breit keine Frauen mehr auf der Straße zu sehen, es ist wie vor 100 Jahren. Ich lebe in ständiger Angst hier. Sollte man mich kontrollieren, fliege ich sofort als 'Ungläubiger' auf. Dann droht mir die Hinrichtung."

Wahl-Wiener hofft auf Platz auf Evakuierungsflug

Nächstes Jahr hätte Latif die Österreichische Staatsbürgerschaft erhalten, noch ist er offiziell Afghane. Damit ist sein Schicksal jetzt ungewiss. Seine Freunde in Österreich versuchen verzweifelt, Latif zu helfen. Ihre Hoffnung ist, dass Latif mitgenommen wird, wenn die 15 Österreicher, die sich noch in Afghanistan befinden, nach Hause geholt werden.

Doch auch für die 15 österreichischen Staatsbürger sind noch keine fixen Plätze auf einem Flug heimwärts gesichert. Die Behörden haben Kontakt zu europäischen Partnern aufgenommen, die Evakuierungsflüge in Kabul durchführen, dort soll man noch Platz für die Österreicher finden.