"Keine Lust zum Lesen"

1.900 Seiten erklärt: Mann baut KI-Tool für EU-Abkommen

Statt fast 2.000 Seiten zu lesen, programmierte Nicola Richli (26) ein KI-Tool, das Antworten zum Abkommen zwischen der Schweiz und der EU liefert.
15.08.2025, 16:32
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Über 1.900 Seiten zählen die neuen Verträge zwischen der Schweiz und der EU. Der Schweizer Bundesrat veröffentlichte diese im Juni. Das letzte Wort werden jedoch Parlament, Volk und möglicherweise die Stände haben.

Einer, der keine Lust darauf hatte, sich 1.900 Seiten durchlesen zu müssen, um sich eine Meinung über das neue Abkommenspaket zu bilden, ist Nicola Richli. Der 26-jährige Aargauer ist Software-Engineer – und entschloss sich, KI zur Hilfe zu nehmen. Entstanden ist dabei sein "Rahmenabkommen-GPT", mit welchem sich die zahlreichen Dokumente gezielt abfragen lassen.

"Ansturm war größer als erwartet"

"Für mich war klar, dass ich mich mit diesen Verträgen auseinandersetzen möchte – aber weder Zeit noch Lust hatte, mir fast 2.000 Seiten durchzulesen", erklärt Richli, der sich politisch bei der FDP engagiert und die Ortspartei im Bezirk Laufenburg präsidiert. Zuerst habe er dafür nur für sich selbst eine Test-Applikation entwickelt, die bereits wenige Tage nach der Veröffentlichung der Dokumente zum Abkommen funktionierte.

"Ich habe die Applikation dann trotzdem mal auf X gepostet – und der Ansturm war größer als erwartet", erzählt Richli. Sein Post zählt bisher über 23.000 Aufrufe. Also entwickelte er das Tool weiter, teilweise mit Unterstützung von Fremden, die durch Social-Media-Posts auf das Projekt aufmerksam wurden. "Jetzt wird es rege benutzt, auch von Politikern."

"Möglichst viele sollen einfachen Zugang zu Originaltexten erhalten"

Den "Rahmenabkommen-GPT" hat Richli ehrenamtlich kreiert – und stellt das Tool allen Interessierten gratis zur Verfügung. "Als überzeugter Verfechter unserer direkten Demokratie liegt es mir besonders am Herzen, dass möglichst viele Menschen einfachen Zugang zu den Originaltexten erhalten – ohne dafür über 1.900 Seiten selbst lesen zu müssen", so der 26-Jährige. Zudem sei öffentlich einsehbar, wie das KI-Tool aufgebaut sei.

Anfangs habe die Anwendung auf ChatGPT basiert: "Die Antworten fielen jedoch oftmals zu voreingenommen aus und teilweise erfand die KI falsche Informationen", erklärt der Software-Engineer. Stattdessen basiere die Applikation nun auf einer Vektordatenbank: Diese teile den Vertragstext in themenbasierte Brocken auf – stelle man eine Frage, prüfe der GPT, welche Brocken thematisch zur Frage passen, und spiele diese als Antwort aus. "Das generiert viel genauere Antworten und liefert auch gleich die entsprechenden Textstellen als Quelle mit."

Wie neutral antwortet die KI?

In der Datenbank hinterlegt seien alle Dokumente, die sich auf der Website des Bundesrats zur Vernehmlassung finden lassen – mit Ausnahme der Studien, die dazu gemacht wurden. "Sie wurden vom Bundesrat in Auftrag gegeben und sind wohl nicht gänzlich neutral und sachlich", erklärt Richli. Die EU-Verordnungen seien ebenfalls nicht hinterlegt, Richli überlege sich noch, dies nachzuholen.

Doch spuckt das Tool wirklich neutrale Antworten aus? "Dafür habe ich zusätzlich eine System-Message hinterlegt, die bei jeder gestellten Frage mitgeschickt wird. So sollen wertende Antworten vermieden werden", erklärt Richli. Darin steht beispielsweise, dass der GPT keine Pro- und Kontra-Argumente und Bewertungen aufführen soll und es seine Aufgabe ist, präzise Antworten ohne Bewertung und Spekulation zu geben.

"Je nach Fragestellung kann man den GPT aber trotzdem beeinflussen – das lässt sich kaum vermeiden." Da die Vertragstexte und der erläuternde Bericht positiv formuliert seien, tendiere das KI-Tool zudem teilweise zu positiv gefärbten Antworten.

Nutzer sollen in den Vertrag "eintauchen" können

Bisher seien bereits knapp 2.000 Fragen im Tool gestellt worden. Da Richli diese erfasst, kann er auch sehen, was die Menschen am meisten interessiert. "Die häufigsten Fragen drehen sich um den Familiennachzug, die dynamische Rechtsübernahme, die Personenfreizügigkeit oder den Europäischen Gerichtshof", erzählt der Aargauer.

Immer wieder würden auch wertende Fragen gestellt, die der GPT aber relativ gut abblocke. "Das Ziel ist nicht, Vor- und Nachteile ausgespuckt zu bekommen – sondern selbst in den Vertrag eintauchen zu können, um sich eine eigene Meinung zu bilden", so Richli.

{title && {title} } red,20 Minuten, {title && {title} } 15.08.2025, 16:32
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