Es war ein großer Aufreger am Donnerstag: "Heute" berichtete über den Fall von Christine Andres. Sie nutzt seit 2010 einen Behindertenparkplatz am Bahnhof von Wiener Neustadt. Jetzt bekam sie vom Parkraumbewirtschafter APCOA einen Brief mit einer Zahlungsforderung über 235 Euro – obwohl ein gültiger Behindertenausweis vorliegt.
Der Grund für die Strafforderung: Jeden Sonntag verabschiedet sich Christine Andres auf ihre eigene, stille Weise von ihrem Sohn Gerhard. Bevor er zur Tagesstätte in Bad Erlauf zurückmuss, erfüllt sie ihm einen Herzenswunsch: Sie halten beim Bahnhof in Wiener Neustadt, holen eine Wurstsemmel, setzen sich auf den Bahnsteig und schauen den Zügen nach – ein Moment ohne viele Worte. Die nachträgliche Quittung dafür kam per Post.
„Emotionalität – dafür werden wir von der ÖBB nicht bezahlt.“Sprecherin der APCOA Austria GmbHKundencenter des Parkraumbewirtschafters
Christine Andres wollte ihren Fall mit der APCOA Austria GmbH ein zweites Mal besprechen, habe aber keine Antwort mehr bekommen: "Die 235 Euro habe ich schon überwiesen. Auf meinen Urlaub werde ich dieses Jahr verzichten müssen", sagt die 61-Jährige, hörbar traurig. Um für ihren Sohn da zu sein, arbeitete sie jahrelang in Teilzeit. Nun ist sie Teilzeitpensionisten, weil das Geld nicht ausreicht und sie deshalb weiterhin arbeiten gehen muss.
Das traurige Schicksal fällt auf. Nun kommt Unterstützung aus dem Büro des Bürgermeisters von Wiener Neustadt: "Ich habe den Artikel gelesen", sagt Nikolaus Dopler, der Geschäftsführer der Kulturagenden der Stadt, zu "Heute".
"Und ich habe mich heute in der Früh gefragt, ob man da nicht etwas machen kann", erzählt er am Telefon und hat bereits einen Plan. Dopler erinnert sich, wie im zurückliegenden Winter, beim letzten Ö3-Weihnachtswunder, täglich zehntausende Besucher nach Wiener Neustadt kamen:
"Für die Veranstaltung damals haben wir mit der ÖBB beziehungsweise der APCOA gesprochen, um eine Ausnahme zu schaffen, denn wir wussten, dass es für die vielen Menschen aus den Bundesländern verwirrend und ärgerlich werden würde, wenn sie plötzlich alle Parkstrafen bekämen."
Zurück zum aktuellen Fall: Christine Andres schickte uns den ersten Brief der APCOA. Darin fordert das Unternehmen: "Pönale 50,00 Euro, Behördliche Abgabe zur Halteranfrage 15,30 Euro, Bearbeitung, Kontrolle und Versand 19,70 Euro." Das ergibt einen "zu zahlenden Gesamtbetrag 85,00 Euro", der innerhalb von drei Wochen zu bezahlen sei, schreibt die APCOA.
Frau Andres schrieb dem Unternehmen daraufhin einen Brief und bekam folgende knallharte Antwort: Sie habe weitere 29 Parkstrafen offen – ein Gesamtbetrag von 1.485 Euro! Doch aus Kulanz werde diese Summe nicht eingehoben. Stattdessen käme zu der ursprünglichen Zahlungsaufforderung von 85 Euro eine "Pönalbearbeitungs-Pauschale" von 150 Euro hinzu: "Wir bitten um Überweisung von EUR 235,- mit (korrektem) Verwendungszweck auf das Konto wie am Schreiben angeführt, innerhalb von 14 Tagen."
"Das ist eigentlich eine Sauerei", rutsch es Nikolaus Dopler im Rathaus von Wiener Neustadt raus, als "Heute" ihn nach seiner persönlichen Einschätzung fragt. Er erzählt von einer Bekannten, die ebenfalls einen Sohn mit Behinderung hat: "Auch wenn sich das Züge-Nachschauen wie eine Kleinigkeit anhört, bringt es große Freude ins Leben. Das weiß ich, weil es beim Sohn meiner Bekannten auch so ist."
"Heute" fragte auch bei APCOA direkt an, ob es für Christine Andres mit ihrem Sohn, der eine Behinderung hat, künftig eine Ausnahme geben könne: "Wir müssen alle gleich behandeln, deshalb kann es keine Ausnahmen geben. Frau Andres muss sich eben die ÖBB-Nutzungsbedingungen ansehen", so die Antwort.
Zu einer Ausnahmeregelung wie im Rahmen des Ö3-Weihnachtswunders könne man nicht viel sagen. Die APCOA sei lediglich beauftragt, für die ÖBB zu kontrollieren, die Nutzungsbedingungen kämen aber von der ÖBB. Auch wenn es für Frau Andres bitter sei: "Emotionalität – dafür werden wir von der ÖBB nicht bezahlt. Vielleicht ist ja die ÖBB bereit, ihre Nutzungsbedingungen zu ändern."
Von Seiten der ÖBB werden "Heute" die aktuellen Regeln erklärt: "Wer an der roten Ampel vorbei ausfährt, muss sich innerhalb von 48 Stunden an den Betreiber APCOA wenden. Andernfalls muss die APCOA davon ausgehen, dass widerrechtlich geparkt wurde – also nicht zur Weiterfahrt mit den Öffis – und eine Halteranfrage bei der Bezirkshauptmannschaft starten. Diese Halteranfrage verursacht Kosten. Zumindest diese Kosten werden an den Fahrzeughalter weiterverrechnet."
Aus dem Unternehmen APCOA erfuhr "Heute", dass die ÖBB jahrelang nur stichprobenartig kontrollierte. Seit November 2022 verwalte die APCOA das Parkdeck 2 in Wiener Neustadt, das Parkdeck 1 kam im August 2023 dazu. Folgende Fotos waren dem E-Mail angefügt:
Nikolaus Dopler, der Rathaus-Mitarbeiter: "Wir haben ein gutes Einvernehmen mit der ÖBB Infrastruktur, der die Parkhäuser gehören." Er habe bereits Kontakt aufgenommen: "Mein erstes Gefühl ist positiv." Vielleicht gelinge es, dass Frau Andres und ihr Sohn ausnahmsweise das Parkhaus nutzen können.
Ein positives Gefühl dürfte es jedenfalls auslösen, wenn Christine Andres erfährt, dass sich in der Zwischenzeit ein Leser bei der "Heute"-Redaktion gemeldet hat, der Andres helfen möchte:
"Mailen Sie mir die IBAN von Frau Andres und ich überweise ihr die 235 Euro. Ich habe selbst sieben Jahre um einen Behindertenausweis gekämpft und erst nachdem ich auch noch Krebs bekommen habe, einen erhalten. Vielleicht kann sie dann doch auf Urlaub fahren."