"Das ist nur Abkassieren!", sagt Christine Andres gegenüber "Heute". Seit 2010 nutzte die Niederösterreicherin aus Gramtneusiedl einen Behindertenparkplatz am Bahnhof von Wiener Neustadt.
Jedes Wochenende das gleiche Ritual: "Samstag hole ich meinen Sohn aus der Tagesstätte für Menschen mit Behinderung in Bad Erlach mit dem Auto ab. Sonntag muss Gerhard zurück", erzählt die 61-Jährige, die ihrem Sohn in der knappen Zeit, die den beiden an den Wochenenden bleibt, seit Jahren einen Wunsch erfüllt:
"Da Gerhard ein sehr großer Zugfan ist, fahren wir jede Woche, bevor Gerhard wieder ins Wohnheim zurück muss, beim Bahnhof Wiener Neustadt vorbei. Wir stellen das Auto auf einen der Behindertenparkplätze im Parkhaus, gehen zum OKAY-Supermarkt, holen eine Wurstsemmel und setzen uns auf den Bahnsteig. Dann blicken wir auf die Züge und Gerhard isst seine Semmel."
Die gewohnte Routine sei für ihren Sohn wichtig, da es ihm schwerfalle, sich auf neue Situationen einzustellen, sagt die 61-Jährige. Deshalb machten sie es auch am 21. Juli 2024 so: Kurz nach 16 Uhr stellte sie den Motor ab und ging mit Gerhard zum Bahnsteig. Um 17:15 Uhr verließen sie mit dem Auto das Parkhaus. Ein Abschied, wie jeden Sonntag.
Wie sich ein dreiviertel Jahr später herausstellte, kostete er Christine Andres richtig viel Geld: Ein Brief vom Parkraumbewirtschafter, APCOA Austria GmbH, datiert auf den 4. März 2025, listet folgende offene Positionen auf: "Pönale 50,00 Euro, Behördliche Abgabe zur Halteranfrage 15,30 Euro, Bearbeitung, Kontrolle und Versand 19,70 Euro." Das ergibt einen "zu zahlenden Gesamtbetrag 85,00 Euro", der innerhalb von drei Wochen zu bezahlen sei, schreibt die APCOA.
Andres ist entrüstet: "Etwa seit 2010 haben wir dieses Abschiedsritual, fahren zu denselben paar Behindertenparkplätzen im Parkhaus, die stets unbenutzt und frei sind. Jetzt kommt die APCOA ein dreiviertel Jahr später mit ihrer Forderung daher."
Freundlich habe sie versucht, das zu klären: "Ich dachte, Behindertenparkplätze sind in ganz Niederösterreich mit Ausweis kostenlos benutzbar", sagt Andres, die, nachdem die Zahlungsaufforderung bei ihr eingetrudelt war, der APCOA einen Brief geschrieben hat.
Freundlich schreibt die APCOPA zurück und erhöht ihre Forderung, anstatt zu erklären, warum es auf einem Behindertenparkplatz zu Strafgebühren gekommen ist: "Sehr geehrte Frau Andres, danke für Ihre Rückmeldung per Brief. Die Benutzung der P&R-Anlage ist für Kunden mit einem gültigen Bahnticket vorgesehen, die eine Weiterreise mit einem öffentlichen Verkehrsmittel antreten."
Ohne Ticket sei eine Pönale von 50 Euro pro Tag bei der Ausfahrt zu zahlen. Eine Schranke gäbe es nicht, um bei Problemen mit dem Scannen oder Bezahlen trotzdem die Ausfahrt zu ermöglichen. Dann korrigiert die APCOA ihre ursprüngliche Forderung: "Sie haben die Nutzungsbedingungen bei 29 Parkvorgängen missachtet, das ergibt eine Pönale von EUR 1400,- plus den Parkvorgang, für den Sie bereits die Zahlungsaufforderung erhalten haben."
"Ich habe gedacht, ich lese nicht richtig", erzählt Andres vom Ärger beim Öffnen des Antwortschreibens: "Als Mensch mit Behinderung ist man offenbar immer Mensch dritter Klasse. Ich sehe nicht ein, warum ich jetzt plötzlich Tickets kaufen soll, wenn ich denselben Behindertenparkplatz benutze, auf dem wir seit 15 Jahren jeden Sonntag stehen."
In ihrem Schreiben an Andres rudert die APCOA weiter unten demonstrativ etwas zurück: "In Kulanz verrechnen wir zu der Zahlungsaufforderung von EUR 85,- für die weiteren Parkvorgänge eine Pönalbearbeitungspauschale von EUR 150,-." Das Unternehmen bittet "um Überweisung von EUR 235,-" innerhalb von 14 Tagen.
In der Regel sind Inhaber eines Behindertenausweises von Parkgebühren befreit, auch wenn sie von einer anderen Person gefahren werden, schreibt das Bundeskanzleramt auf seiner Webseite "oesterreich.gv.at". Die Voraussetzung, um auf einem Behindertenparkplatz kostenlos zu parken, ist ein Ausweis nach § 29b StVO, heißt es dort.
Das Bundeskanzleramt gibt aber zu bedenken, dass das nicht automatisch in ganz Österreich der Fall sei: "Es gelten in jedem Fall bundesländerspezifische Regelungen, weil Parkgebühren nicht auf der Straßenverkehrsordnung, sondern auf landesrechtlichen Regelungen beruhen. Um die Rechtslage in Ihrem Bundesland zu erfahren, kontaktieren Sie bitte das zuständige Amt der Landesregierung."
Christine Andres versuchte das, sagt jedoch, dass sie keine klare Auskunft erhalten hat. "Heute" hat deshalb noch einmal bei der Landesstelle NÖ des Sozialministeriums nachgefragt und vor einer Sprecherin folgende telefonische Antwort erhalten: "Auch in privaten Parkhäusern gelten die österreichischen Gesetze. Ein Behindertenparkplatz ist ein Behindertenparkplatz, da dürfte es keine Gebühren geben. Da müssen Sie sich an die APCOA oder die Polizei wenden."
"Heute" wandte sich auch an Thomas Iwanschitz, den Pressesprecher der Stadt Wr. Neustadt. Dieser verweist aber, genau wie die Landesstelle NÖ des Sozialministeriums, auf das Parkbewirtschaftungsunternehmen: "In diesem Fall sind Sie bei der APCOA an der richtigen Stelle. Mit der Abwicklung der P+R-Anlagen am Bahnhof Wiener Neustadt ist die Stadt Wiener Neustadt nicht befasst. Wir kümmern uns lediglich um die Instandhaltung und Reinigung der Parkhäuser. Die Parkraumüberwachung erledigt die APCOA im Auftrag der ÖBB."
Nachgefragt bei der ÖBB, heißt es vom Bahnunternehmen am Mittwochnachmittag gegenüber "Heute", man nehme den Fall sehr ernst und prüfe derzeit die Umstände.
Christine Andres hat sich, nachdem sie ein erstes Antwortschreiben erhalten hat, noch einmal an die APCOA gewandt, aber keine Antwort erhalten: "Ich habe also die 235 Euro bezahlt. Auf meinen Urlaub werde ich dieses Jahr verzichten müssen", sagt die 61-Jährige, die wegen der Behinderung ihres Sohnes lange Jahre nur Teilzeit arbeiten konnte und deshalb nur ein geringes Einkommen hat.
"Heute" hat eine Anfrage an die APCOA gestellt und folgende Antwort von Sprecher Peter Singer bekommen: "Frau Andres hat eine einzige Zahlungsaufforderung für die erste, von unserem Parksystem aufgezeichnete Ausfahrt erhalten, die am 21.7.2024 erfolgte. Danach gab es weitere 29 Ausfahrten in Wr. Neustadt bei Rotlicht unter Missachtung der allgemeinen P&R Nutzungsbedingungen, welche auch explizit die Nutzung der vorhandenen Behindertenstellplätze regeln."
Zusammengefasst heißt das: Ohne Bahnticket kein Parken, auch nicht mit Behindertenausweis. Das regeln die privatwirtschaftlichen Nutzungsbedingungen APCOA, dem größten Parkraumbewirtschafter in Europa mit etwa 13.000 Standorten und rund 1,6 Millionen Stellplätzen in 12 europäischen Ländern.
Aber warum dauerte es Monate, bis Andres eine Zahlungsaufforderung bekam?
APCOA-Unternehmenssprecher Singer erklärt das so: "Da wir bei der Aussendung von Zahlungsaufforderungen auf die Aushebung der Meldedaten bei den Bezirkshauptmannschaften angewiesen sind, kann es hier immer wieder zu Verzögerungen kommen."
Wie Christine Andres künftig mit der Situation umgehen soll, weiß sie nicht. An Sonntagen bekäme man rund um den Bahnhof nie einen Parkplatz: "Wenn ich Gerhard sage, wir fahren da nicht mehr hin, wäre er über Monate hinweg wahnsinnig traurig. Ich verstehe nicht, wie man so mit Menschen umgehen kann."