Die AfD befindet sich nach wie vor im politischen Aufwind, wie bundesweite Umfragewerte in Deutschland zeigen: Sie liegt stabil bei 18 bis 22 Prozent Wähleranteil, liegt teilweise sogar an zweiter Stelle hinter der CDU. In einigen ostdeutschen Bundesländern kommt sie sogar auf teils über 30 Prozent.
Doch es droht auch Ungemach: Der deutsche Verfassungsschutz hat nach einer jahrelangen Prüfung die Neubewertung der AfD vorgelegt und diese als gesichert rechtsextremistische Bestrebung eingestuft. Unklar ist derzeit, was dies für die Partei langfristig bedeuten wird – und ob es ihr schadet, oder am Ende nicht noch hilft.
Im Interview mit der NZZ gibt die AfD-Co-Vorsitzende Alice Weidel zu, den 1.100 Seiten starken Bericht nicht vollständig gelesen zu haben. Er sei aber auch erst kürzlich in elektronischer Form zugänglich gemacht worden, nachdem die AfD Klage dagegen eingereicht hatte. Dies kritisiert Weidel: "Sie können nicht solche schwerwiegenden Vorwürfe machen und dann intransparent sein."
Weidel wirft dem Verfassungsschutz vor, undemokratisch und intransparent zu handeln: Der Verfassungsschutz sei dem Innenministerium unterstellt, dessen Leitung Parteipolitik betreibe. Besonders brisant: Sie zitiert den früheren Chef Thomas Haldenwang, der angeblich eingestanden habe, dass man die Umfragewerte der AfD senken wolle.
Den Vergleich zur rechtsextremen und neonazistischen NPD, die heute "Die Heimat" heißt und ebenfalls als extremistisch eingestuft wurde, lässt Weidel nicht zu. Man habe ein "ganz anderes Profil". Das Vorgehen des Verfassungsschutzes sei mit dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit jedoch nicht vereinbar: Die AfD sei als Beschuldigte nicht angehört worden. Der Interviewer entgegnet darauf, es handle sich ja auch nicht um ein Strafverfahren, sondern um eine geheimdienstliche Einschätzung.
Die Co-Vorsitzende weigert sich im NZZ-Interview mehrfach, eine klare Grenze zwischen Rechtsextremismus und legitimen konservativen Positionen zu definieren – das sei Aufgabe des Verfassungsschutzes. Dass der Verfassungsschutz in seinem Gutachten das AfD-Wahlprogramm nicht thematisiert, sieht sie derweil als eine Legitimierung dessen. "Stattdessen werden irgendwelche Zitate gegen uns angeführt, wo wir etwa die Politik der offenen Grenzen kritisieren", so Weidel.
Die Verwendung eines abstammungsbasierten Staatsbürgerschaftsbegriffs verteidigt sie: Dies sei "verfassungsrechtlich vollkommen statthaft". Das Abstammungsprinzip sei ein "weltweit anerkanntes und zulässiges Kriterium für die Staatsangehörigkeit".
Aussagen wie "in unserer Kultur völlig unbekannt" im Zusammenhang mit Messerangriffen oder Gruppenvergewaltigungen werden von ihr nicht als Verallgemeinerungen verstanden: "Wir pauschalisieren nicht, sondern wir legen den Finger in die Wunde." Sie betont, dass nur ein "Scharia-Islam" problematisch sei: "Mit grundgesetztreuen Muslimen haben wir selbstverständlich kein Problem."
Weidel fordert derweil die Möglichkeit des Passentzugs für eingebürgerte Straftäter – ein rechtlich höchst umstrittenes Konzept. In diesem Zusammenhang lobt sie die Schweiz: Dort könne man noch zehn Jahre nach der Einbürgerung den Pass rückwirkend entziehen, wenn eine Person schwer straffällig geworden ist. "Das halte ich für richtig."
Zum Zitat eines AfD-Funktionärs über die "Flutung Europas mit Musels" sagt Weidel, so was würde niemals von der Partei kommen. Darauf angesprochen sagt sie dann zwar: "Ja, vielleicht hat irgendwer das irgendwo gesagt." Aber: Generelle Islamfeindlichkeit sei nicht Haltung der Partei.
Vom oft kritisierten und im Bericht detailliert besprochenen AfD-Politiker Björn Höcke distanziert sich Weidel nicht: Obwohl der Name des thüringischen AfD-Chefs über 600-mal im Gutachten auftaucht und dieser für NS-Rhetorik verurteilt wurde, lobt Weidel stattdessen seine Oppositionsarbeit.