Seit Jahresbeginn ist das bislang verwendete Zahnfüllmaterial Amalgam verboten. Seither verhandeln die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) und die Österreichische Zahnärztekammer um einen gleichwertigen Ersatz.
Zuletzt konnte ein Erfolg im Bereich der Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau (BVAEB) und der KFA Wien vermeldet werden. "Die Materialien Glasionomerzement und Alkasit sind hier Vertragsinhalt, wobei die Letztentscheidung beim behandelnden Vertragszahnarzt liegt", wie es in einem Statement der Österreichischen Zahnärztekammer auf Nachfrage heißt.
Solange die beiden Parteien zu keiner einvernehmlichen Lösung kommen, bekommen ÖGK- und SVS-Versicherte in Zahnarztpraxen Steinzement als Zahnfüllung.
Anders in den ÖGK-Zahngesundheitszentren: Wer dort behandelt wird, bekommt ebenso Glasionomerzement oder Alkasit.
Glasionomerzement, Alkasit oder Steinzement: Was können diese Amalgam-Alternativen und sind sie ebenso beständig? "Heute" sprach mit ao Univ.Prof.DDr. Andreas Schedle, Leiter des Kompetenzzentrums für Dentalmaterialien an der Universitätszahnklinik Wien. Er forscht seit mehr als 30 Jahren zu Eigenschaften von Füllungsmaterialien. "Alle Alternativen zu Amalgam sind komplizierter zu verarbeiten, müssen angeklebt oder in Schichten verarbeitet werden", stellt der Experte gleich zu Beginn klar.
Seiner Ansicht nach ist das EU-weite Amalgam-Verbot nicht gerechtfertigt. Über 150 Jahre als Zahnfüllmaterial verwendet, hat sich Amalgam als Zahnfüllung aufgrund seiner positiven Verarbeitungseigenschaften in der Zahnheilkunde bewährt. "Mit Amalgam lässt sich der Zahndefekt in einem Schritt füllen und während es aushärtet, dehnt es sich aus und dichtet komplett ab", erklärt Schedle.
Amalgam als Zahnfüllung ist eine Legierung von Quecksilber mit anderen Metallen.
Die Bedenken um die Gesundheitsschädlichkeit von Amalgam kann Schedle nicht teilen. "Dentalamalgam ist ein Silberamalgam, bestehend aus einer Silber-, Zinn- Kupferlegierung mit Quecksilber vermischt. So liegt das Quecksilber in gebundener Form vor und wird fast nicht abgegeben." Man wisse auch von Arbeiterinnen in der Quecksilberindustrie um den sogenannten "Biologischen Arbeitsstofftoleranzwert" – also welche Maximalkonzentration des Stoffes in Blut und Urin vorhanden sein kann, ohne dass gesundheitliche Beeinträchtigungen zu erwarten sind. "Legt man diesen Wert auf die Quecksilberabgabe von Amalgam um, müssten die Patienten je nach Füllungsgröße 1000 bis 3000 Füllungen im Mund haben – aber auch da wären noch keine gesundheitlichen Probleme zu erwarten." Der gesundheitliche Aspekt würde in der EU-Verordnung als Grund für das Amalgamverbot aber gar nicht erwähnt, so Schedle. "Amalgam wurde von der EU aus umweltpolitischen Gründen verboten, weil es eine der letzten Anwendungen ist, die Quecksilber verwendet und die EU aus der Quecksilberanwendung raus möchte."
Obwohl die Entsorgung von Quecksilber umwelttechnisch problematisch ist, beträgt "die jährliche weltweite Quecksilberfreisetzung aus natürlichen Quellen, Vulkanismus, Bodenerosionen und industrieller Freisetzung laut WHO 10.000 Tonnen, während der jährliche Quecksilberverbrauch im Dentalbereich in der EU zuletzt bei 40 Tonnen – also nur 0,4 Prozent der Gesamtbelastung", so Schedle.
Im Gegensatz zu Amalgam, welches sich ausdehnt, schrumpfen alle Alternativmaterialien während sie härten. Infolgedessen würde eine Lücke zwischen der Füllung und dem Zahn entstehen. Um dem entgegenzuwirken, müssen sie an den Zahn angeklebt werden oder von selbst am Zahn haften.
Glasionomerzement wird – wie Amalgam – von selbst hart und kann in einem Schritt in den Zahn gefüllt werden. Er geht eine chemische Verbindung mit der Zahnhartsubstanz ein, haftet von selbst, hat aber einen Nachteil: Seine Biegefestigkeit liegt unter dem internationalen Normwert für den Seitenzahnbereich (Kaubereich). Deshalb kann er nur für kleine Zahndefekte verwendet werden. Wird auch vom Hersteller so empfohlen.
Nicht Gegenstand der derzeitigen Verhandlungen zwischen ÖGK und Österreichischer Zahnärztekammer sind die sogenannten Kompositmaterialien, die qualitativ am hochwertigsten sind. Die müssen aber in 2-Milimeter-Schichten aufgetragen und an den Zahn angeklebt werden. Das macht sie in ihrer Anbringung aufwändiger. Aber: Kompositmaterialien liegen sogar über dem internationalen Mindestwert für Biegefestigkeit. Diese Füllungen waren bis dato privat zu zahlen und werden es auch weiterhin bleiben.
In Neuentwicklungen versuchen Hersteller aktuell, die Selbsthaftung des Glasionomerzements und die bessere Biegefestigkeit der Komposite – in neuartigen Glasionomer-Komposit-Hybridmaterialien – zu verbinden.
Alkasite liegen qualitativ zwischen dem Glasionomerzement und dem Komposit. Haften jedoch nicht am Zahn, sondern müssen – wie auch das Komposit – angeklebt werden. Punkto Biegefestigkeit liegen Alkasite ebenso über dem internationalen Normwert.
Steinzement wird laut Schedle seit Jahrzehnten nicht mehr verwendet. Er vermutet, dass dieser deshalb im Vertrag steht, "weil der Vertrag zwischen der Zahnärztekammer und der ÖGK schon so alt ist und nicht upgedatet wurde." Laut Lehrbuch ist Steinzement "wenig belastbar und nicht indiziert".
Der Experte meint: "Aus Tarifgründen werden nur einfachere Materialien infrage kommen. Aus fachlicher Sicht wäre es wichtig, dass die Materialien bestimmungsgemäß verwendet werden. D.h. für kleinere Defekte sind auch die einfachsten Materialien geeignet, bei komplexeren Defekten müssen technisch aufwändigere Materialien verwendet werden, die auch die Norm der Biegefestigkeit erfüllen."
Für die Zukunft hofft die Branche auf ein Material, das alles kann, was Amalgam kann. "Also einfach zu verarbeiten, selbsthaftend, auf einmal einsetzbar, feuchtigkeitstolerant, ästhetisch ansprechend und mit Materialeigenschaften ausgestattet, die für die Langzeitversorgung im Seitenzahnbereich Voraussetzung sind. Im Grunde also Amalgam in Weiß. Es wird dran geforscht, aber bisherige Prototypen waren leider nicht erfolgreich."