Joe Bidens Gesundheitsprobleme waren offenbar schon Jahre vor seinem Rückzug aus dem Präsidentschaftsrennen bekannt. Dennoch hielten die Demokraten lange an ihm fest – davon profitierte letztlich Donald Trump.
Diese Erkenntnisse legen die Journalisten Jake Tapper (CNN) und Alex Thompson (Axios) in ihrem Buch "Original Sin" offen. Darin schildern sie den geistigen und körperlichen Abbau des früheren US-Präsidenten, der laut ihren Recherchen bereits im Wahlkampf 2019 erste sichtbare Spuren zeigte.
Bereits 2019 sei Biden der Name seines Beraters Mike Donilon nicht eingefallen, berichten Tapper und Thompson. An einer Spendengala erkannte er zudem Hollywood-Star George Clooney nicht. Später nutzten Mitarbeitende sogenannte "Nachrichtenkarten", um ihn auf Medienfragen vorzubereiten. Der Kontakt zur Presse wurde zunehmend reduziert, wie die "Süddeutsche Zeitung" aus dem Buch zitiert.
Im Wahlkampf 2023 konnte Biden laut dem Buch keine fünfminütigen Videos mehr fehlerfrei aufnehmen. "Nicht einmal zwei Minuten ohne Versprecher", heißt es. Clips seien deshalb mit mehreren Kameras zusammengeschnitten worden. Auch bei Anlässen mit Kongressmitgliedern habe er unverständliche Sätze gesagt.
Ein Spendenbankett habe einen früheren Parteistrategen dazu veranlasst, das Weiße Haus anzurufen. Biden sollte zum Verzicht auf die Kandidatur bewogen werden. Doch es sei gesagt worden: "Du darfst nicht über diese Dinge reden. Wir unterstützen Biden."
Tapper und Thompson schreiben: "Willkommen in einem System, in dem die Macht nach Seniorität vergeben wird." Ehepartner, Kinder, Mitarbeiter und Lobbyisten hätten viel in Biden investiert und seien nicht bereit gewesen, das aufzugeben.
Die Mitteilung, dass Präsident Biden an einem aggressiven Prostatakarzinom im fortgeschrittenen Stadium leidet, brachte die politische Debatte nur für kurze Zeit zum Stillstand. Für einige Stunden überwogen Mitgefühl und Respekt – selbst Donald Trump, sonst selten um eine Beleidigung verlegen, äußerte sich ungewohnt versöhnlich. Doch inzwischen hat die öffentliche Aufarbeitung wieder Fahrt aufgenommen. Warum wurde Bidens Gesundheitszustand so lange verharmlost – bis er sich in der desaströsen TV-Debatte mit Trump nicht länger verbergen ließ?
Bidens enger Kreis, darunter Ehefrau Jill und sein Sohn Hunter, hatte ihn laut Buch immer wieder bestärkt, weiterzumachen. Auch führende Demokraten wie die Obamas oder Clintons wollten ihn nicht zum Rückzug drängen. Durch seine Stellung als Parteichef hatte Biden Einfluss auf das Democratic National Committee, das von Jaime Harrison geleitet wurde. Dieser entschied über Spenden und Vorwahlen, was Herausforderer wie Dean Phillips benachteiligte.
Vergleiche mit anderen älteren Politikern sind naheliegend. Nancy Pelosi (85), Mitch McConnell (83) oder Kay Granger (82) blieben ebenfalls lange im Amt.
Auch Trump ist nicht mehr jung – er wird im Juni 79. Trotzdem wirkt er in der Öffentlichkeit deutlich aktiver. Im April 2025 wurde er nach einem fünfstündigen Check im Militärspital Walter Reed für "völlig fit" erklärt.
Trotzdem gibt es auch bei Donald Trump Auffälligkeiten. Bei einem Auftritt in Las Vegas 2024 sprach er wirr über Haie und Elektromotoren, in Pennsylvania tanzte er fast 40 Minuten lang wortlos auf der Bühne. Auch in seiner jüngsten Rede vor Militärkadetten in New York am Samstag wirkte der US-Präsident verwirrt. Seine Nichte Mary Trump sagte in der Vergangenheit: "Ich verstehe nicht, wie jemand glauben kann, dass mein Onkel noch an die Realität gebunden ist."
Trump kontrolliert inzwischen große Teile der Republikanischen Partei. Die beiden Präsidenten, so der Tenor im Buch, nutzten auf unterschiedliche Weise dieselben strukturellen Schwächen der US-Demokratie – persönliche Machtzentrierung, fehlende parteiinterne Kontrolle und ein politisches System, das Alter belohnt.