Eine Studentin, die von 2021 bis 2023 mehr für ihr Semesterticket in Wien zahlen musste, weil sie ihren Hauptwohnsitz in einem anderen Bundesland hatte, fühlte sich diskriminiert. Sie klagte die Wiener Linien. Das Erstgericht, das Bezirksgericht Innere Stadt, wies die Klage ab. Doch das Berufungsgericht, das Landesgericht für Zivilrechtssachen, gab ihr Recht.
Die Studentin ist in Wien geboren und zog im Alter von einem Jahr in ein anderes Bundesland. Im Wintersemester 2021 begann sie in Wien Veterinärmedizin zu studieren, hatte hier auch eine Wohnung als Nebenwohnsitz. Während des Semesters lebte sie überwiegend in Wien. Die Wochenenden und Ferien verbrachte sie jedoch in der Wohnung ihrer Mutter, in der sie auch hauptgemeldet war.
Da sie aufgrund ihrer Hauptwohnsitz-Meldung in einem anderen Bundesland eine höhere Studienbeihilfe (etwa 100 bis 200 Euro mehr) bezog, beließ sie es dabei. Aufgrund der Hauptwohnsitz-Meldung in einem anderen Bundesland galt sie daher als auswärtige Studentin. Und das hatte Auswirkungen auf den Preis des Semestertickets.
Denn die Wiener Linien verlangten im Wintersemester 2021/2022, im Sommersemester 2022 und im Wintersemester 2022/2023 für ein Semesterticket für Studenten mit Hauptwohnsitz in Wien 75 Euro. Auswärtige Studenten mussten allerdings 150 Euro hinblättern. Das sah die künftige Veterinärmedizinerin nicht ein, sie klagte und trat ihre Ansprüche an einen Prozessfinanzierer ab, wie die "Presse" berichtet.
In der Klage berief sich der Prozessfinanzierer auf das verfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgebot. Das Wiener Landesgericht für Zivilrechtssachen folgte dieser Argumentation: "Einer nur durch den Hauptwohnsitz der Kunden bestimmten unterschiedlichen Preisgestaltung für öffentliche Verkehrsmittel mangelt es an einer sachlichen Rechtfertigung; die Ungleichbehandlung widerspricht daher dem Gleichbehandlungsgebot."
Da das Landesgericht in diesem Fall die letzte Instanz ist, müssen die Wiener Linien zahlen. Zu der Preisdifferenz in Höhe von 225 Euro (für drei Semester) kommen noch Zinsen in Höhe von 225 Euro dazu – macht insgesamt 450 Euro. Weiters müssen die Wiener Linien die Prozesskosten in Höhe von rund 1.240 Euro übernehmen.
Der Prozessfinanzierer betreibt die Homepage "ticketerstattung.at". Hier können sich Studenten, die ein Semesterticket zu einem erhöhten Preis erworben haben, für eine Sammelklage anmelden. Die Ansprüche können rückwirkend bis zu drei Jahren eingefordert werden. Laut Website haben sich bereits mehr als 17.000 Kläger registriert.
Die Wiener Linien sehen einer möglichen Klagsflut dennoch gelassen entgegen: "Bei den Senaten am Landesgericht für Zivilrechtssachen dürfte hinsichtlich der Frage, ob eine Verletzung des Gleichheitssatzes vorliegt, keine Einigkeit vorherrschen", heißt es von den Wiener Linien zur "Presse". Ein anderer Senat habe nämlich keinen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz gesehen.
Ganz so gelassen nahmen die Wiener Linien die Causa aber offenbar doch nicht hin: Denn mit Sommersemester 2023 wurden die Preise für Semestertickets für alle Studenten – unabhängig vom Wohnsitz – angeglichen.