In den ersten 100 Tagen seiner zweiten Amtszeit als US-Präsident hat Donald Trump im Regierungsapparat gewütet wie ein Elefant im Porzellanladen. Die Weltordnung, die die Vereinigten Staaten über die letzten Jahrzehnte federführend geschaffen haben und Europa äußerst zuträglich war, wird von ihm in Trümmer gelegt. Trump herrscht wie ein König per Dekret, sagen Beobachter, scheint sich selbst über die Justiz hinwegzusetzen – die USA haben für zahlreiche Verbündete das Vertrauen verspielt.
Einer, der all das schon einmal in den Geschichtsbüchern gesehen hat, ist der renommierte Historiker und Autor Timothy Snyder. Er ist Experte für osteuropäische Geschichte und hat unter anderem die immensen Verbrechen während des Zweiten Weltkriegs in Werken wie "Bloodlands: Europa zwischen Hitler und Stalin" akribisch aufgearbeitet.
Der Amerikaner lebt und arbeitet seit Kurzem in Kanada. "Nicht wegen Trump", wie er betont. Dennoch sieht er die Demokratie in seiner Heimat in Gefahr. "Was jetzt auf die Vereinigten Staaten zukommt, ist ein Versuch der Regierung, Konformismus und Denunziation zu fördern, um Terror und Idiotie zu verbreiten", schrieb der frühere Yale-Professor Anfang April zu Erpressungsversuchen der Trump-Regierung gegen Universitäten.
„Die Aufgabe der Universitäten ist es, die Bedingungen der Freiheit vorzuleben und zu schaffen. Es ist der wichtigste Grund, warum Tyrannen zuerst hinter ihnen her sind.“Timothy SnyderUS-Historiker, Osteuropa-Experte
Dienstagabend äußerte sich Snyder erneut zu den aktuellen Entwicklungen in den USA und seiner Bilanz der ersten 100 Tage von Donald Trumps zweiter Amtszeit – dieses Mal allerdings im ORF. Der Historiker nahm sich in der ZIB2 mit Armin Wolf kein Blatt vor den Mund: "Es gibt drei große Unterschiede" zwischen Trumps erster und zweiter Amtszeit, so Snyder.
Trump sei dieses Mal "von Rache getrieben, er will jeden bestrafen, der es ihm während seiner ersten Amtszeit schwergemacht hat". Zudem glaube er "an eine große Lüge", behaupte weiter, die Wahl 2020 nicht verloren zu haben. Und: 2016 habe er nicht erwartet gehabt, die Wahl zu gewinnen.
Dieses Mal aber ziehe man einen Plan durch, "die Regierung zu schwächen, dysfunktional zu machen und Dinge zu akzeptieren, die damit zu tun haben, die eigene Bevölkerung zu unterdrücken", so Snyder.
Immer weniger von Trumps Unterstützern würden erklären, dass Trump genau das tue, was er im Wahlkampf angekündigt habe – seine Beliebtheitswerte seien im Keller und würden noch weiter fallen, wenn man in einem Monat die Auswirkungen seiner Zollpolitik zu spüren bekommen werde. Trump sei ein Faschist, so Snyder, er stelle "den Willen über die Vernunft und glaubt an den Kult eines Führers".
"Wir werden in wenigen Wochen einen kritischen Punkt erreichen", so Snyder, an dem die unbeliebte Zoll- und Einwanderungspolitik den Bürgern klar werde und sich "die öffentliche Meinung und die demokratische Partei wieder annähern". Sein Urteil: "Diese Regierung ist eine Kombination aus Boshaftigkeit und Inkompetenz." Es sei "idiotisch", die bestehenden Handelsankommen neu aushandeln zu wollen, bisher sei das in keinem einzigen Fall passiert, so Snyder: "Sie können nur drohen und bluffen".
Trump nehme sich, was ihm gegeben werde, wenn er anderen drohe – das heiße aber nicht, dass auf "seine Drohungen unbedingt Taten folgen". Sei Trumps Kritik man Putin nun ein Wendepunkt? Die Waffenlieferungen der USA in die Ukraine laufen in zwei Wochen aus "und Russland wird weiter in die Ukraine einmarschieren, das ist die harte realität", so Synder. Das "Gerede" über ein Friedensabkommen sei nur ein "Ablenkungsmanöver", so der Experte, für Frieden müsse Trump Druck auf Russland ausüben, habe bisher aber immer nur Druck auf die Ukraine ausgeübt.
Die Folgen für die Ukraine und die strategischen Interessen der USA seien Trump vollkommen egal, er habe auch keine Ahnung, was Putin wolle und was die Ukraine verteidige. Und wer werde nach der nächsten Präsidentenwahl die USA regieren? "Ich will nicht ausweichen, aber ich glaube, es ist noch zu früh, auf diese Frage eine Antwort zu geben", so Snyder. Er glaube, der demokratischen Partei stehe ein "Generationenwechsel" bevor, während die Lage bei den Republikanern "dramatisch, fast schon tragisch" sein werde.
Trump wolle lebenslang an der Macht bleiben, die Republikaner müssten sich dagegen wehren, ein Personenkult zu wehren. Aber: Eine dritte Amtszeit Trumps sei "durchaus denkbar", durch einen "Umbau des Systems von innen". Kritiker würden eingeschüchtert, rechtliche Grenzen verschoben werden. "Putin ist sein großes politisches Vorbild", so Snyder. Er glaube aber nicht, dass die Amerikaner das akzeptieren würden, nicht einmal seine Wähler.