Etienne-Emile Baulieu

Der Erfinder der Abtreibungspille ist tot

Der französische Chemiker Etienne-Emile Baulieu ist im Alter von 98 Jahren gestorben. Er ist der Vater der modernen Abtreibungspille.
Newsdesk Heute
30.05.2025, 17:12
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Der französische Wissenschaftler Etienne-Emile Baulieu, der als Vater der Abtreibungspille bekannt ist, starb am Freitag im Alter von 98 Jahren in seinem Haus in Paris. Das gab seine Frau Simone Harari Baulieu gegenüber AFP bekannt.

"Seine Forschung wurde von seinem Engagement für den durch die Wissenschaft ermöglichten Fortschritt, seinem Einsatz für die Freiheit der Frauen und seinem Wunsch, allen Menschen ein besseres und längeres Leben zu ermöglichen, geleitet", so die Gattin des Chemikers in einer Erklärung. Im Jänner hatte sich der Franzose bei einem Sturz vier Rippen gebrochen.

"Ich sah das tote Kind in ihrem Arm"

Erst vor Kurzem hatte Etienne-Emile Baulieu noch der "Zeit" ein ausführliches Interview gegeben und dabei auch über seine Forschung an der Abtreibungspille RU486 (Mifepristone) gesprochen. Seinen "Erweckungsmoment" habe er Anfang der 1970er Jahren bei einem Aufenthalt im indischen Kalkutta mit seiner damaligen Lebensgefährtin, der Künsterlin Niki de Saint Phalle, erlebt.

Baulieu: "Wir gingen über eine Brücke, und da gab es zahllose Frauen mit zahllosen Kindern, die bettelten. Eine von diesen Frauen kam langsam auf mich zu und sah mich an. Ich sah das tote Kind in ihrem Arm. An ihrer freien Hand hielt sie ein zweites Kind, und dieses zweite Kind hatte wiederum ein drittes an der Hand. Dieser Fatalismus der extremen Armut und der Schwangerschaften! In diesem Moment beschloss ich, mich für die Frauen einzusetzen. Dafür, dass sie selbst über ihren Körper entscheiden können. Es ist dieser Moment, der meinem Leben als Arzt und Forscher einen Sinn gegeben hat. Ich habe noch oft daran zurückgedacht."

Von Abtreibungsgegnern mit Mengele verglichen

Der jüdische Wissenschaftler, der sich 1945 sogar der Résistance angeschlossen hatte, wurde von Abtreibungsgegnern und katholischen Fundamentalisten gehasst. 1992 wurde er bei einer Demonstration vor seinem Kongresshotel in San Francisco sogar mit Ausschwitz-Arzt Josef Mengele verglichen: "Baulieu = Mengele" stand auf einem Schild, das Ist-Gleichzeichen war im Stil des SS-Schriftzugs gehalten.

Etienne-Emile Baulieu arbeitete zuletzt in der Alzheimerforschung, sah sich kurz vor einem Durchbruch.
JOEL SAGET / AFP / picturedesk.com

Diese Leute bezeichnete er auch mehr als dreißig Jahre später noch als "einfach irre": "Meine Pille sollte die Sicherheit für die Frauen erhöhen. Mit einem Sadisten verglichen zu werden, der Experimente an Juden vollzog – das ist so unerhört, dass es mich nicht verletzt. Aber es trägt dazu bei, die Grausamkeiten der Nazis zu relativieren – das ist es, was mich am meisten verletzt", sagte er zur "Zeit".

Die letzten 15 Jahre seines Lebens hatte sich der Vollblutwissenschaftler dem Kampf gegen Alzheimer gewidmet. Demenz sei einer der großen Ängste, auch für ihn. Zuletzt sah er sich in seiner Hypothese, dass das Protein Tau für die Ursache der Alzheimer-Krankheit ist, bestätigt. Ansammlungen dieses Proteins wurden in den Nervenzellen von betroffenen Verstorbenen gefunden.

Geht um die Kontrolle des Menschen über sein Leben

Ein Molekül, das er und sein Team zehn Jahre zuvor entdeckt hatten, sah Baulieu als Hoffnungsträger: "Meine Vermutung war, dass dieses Molekül, es heißt FKBP52, als Schutz gegen Alzheimer wirken könnte. Ich denke jetzt, nach vielen Jahren, dass meine Hypothese bestätigt ist." Zuletzt entwickelte er auf dessen Basis ein Präparat, das sich nun bereits in der Testphase befindet.

Rückblickend auf seine Arbeit schloss Baulieu eine Parallele zwischen seinen beiden großen Erfolgen: "Alle Vitalprozesse, unsere Gedanken und Emotionen basieren auf der Chemie. Das ist das Spannende daran. Sowohl bei der Abtreibungspille als auch bei der Alzheimer-Forschung geht es im Grunde um die Kontrolle des Menschen über sein Leben. Darum, dass er selbst bestimmt."

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