Gigantischer Gletscherabbruch

Dorf vernichtet: "Blatten wird es so nicht mehr geben"

Das Horror-Szenario ist Realität geworden! Das Dorf Blatten im Lötschental wurden fast völlig zerstört. Der Ortschef spricht von Wiederaufbau.
29.05.2025, 19:41

Das Schweizer Bergdorf Blatten im Lötschental wurde am Mittwoch durch einen gigantischen Gletscherabbruch beinahe vollständig ausgelöscht. Die wenigen Gebäude, die den Schuttmassen entkamen, versinken jetzt im sich aufstauenden Fluss Lonza.

Dennoch halten die Bewohner an ihrem Heimatdorf fest, wollen Blatten an Ort und Stelle wieder aufbauen. "Das Unvorstellbare ist eingetroffen. Wir haben das Dorf heute verloren, aber nicht das Herz", hielt Gemeindepräsident Matthias Bellwald wenige Stunden nach der Katastrophe fest.

Er schwor die Überlebende auf einen Neuanfang ein: "Wir halten zusammen und machen es möglich, dass wir das Dorf wieder aufbauen können. Der Berg und der Gletscher kann nicht zwei Mal runterkommen. Wir helfen einander und trösten einander."

"Blatten wird es so nicht mehr geben"

"Der Gemeindepräsident hat alles richtig gemacht", kommentiert Geologe und Sozialwissenschaftler Marcos Buser gegenüber "20 Minuten die Ansage des Gemeindepräsidenten. Solche Worte seien wichtig, um Trost zu spenden und Zuversicht zu verbreiten, jedoch reiner Zweckoptimismus, der mit der Realität wenig zu tun habe.

"Den Ort Blatten wird es so, wie er war, nicht mehr geben. Man kann das woanders wieder aufbauen, an andere Orte ausweichen. Aber nicht mehr an der gleichen Stelle, diese Massen werden nicht mehr weichen", hält der Experte schonungslos fest.

"Müssen froh sein, dass sie überlebt haben"

Er rechnet vor: Das Verladen eines Kubikmeters Material koste zwei bis drei Franken, der Transport zu einer nahegelegenen Stelle noch einmal so viel. Bei den Millionen Kubikmetern, die das Tal zugeschüttet haben, seien die Kosten schlicht und ergreifend zu hoch. "Dieses Material wird nicht mehr abtransportiert werden.

Das sei hart für die Menschen, die erst am 19. Mai evakuiert worden seien und jetzt vor einer Schuttwüste stünden. Doch sie müssten sich schon bald damit beschäftigen, ob sie ihr Dorf woanders wieder aufbauen wollen.

"Der Schock und der Verlust des eigenen Zuhauses sind natürlich riesig. Doch am Ende müssen die Blattner froh sein, dass sie überlebt haben."

"Kann die ganze Schweiz zusammenschweißen"

Kanton und Bund, aber auch der Lotteriefonds müssen laut Buser schnell zeigen, dass sie die Menschen nach diesem Schicksalsschlag auch finanziell unterstützen. Das ist teuer: "Die Folgekosten von solchen Ereignissen gehen schnell in die siebenstelligen Zahlen."

Die nächsten Monate würden hart für die Blattner: Am Ende, so glaubt der Geologe, könne ein solches Ereignis aber auch zusammenschweißen: "Wenn sie es schaffen, ihr Dorf andernorts wieder aufzubauen, kann das enormen Zusammenhalt bringen. Wünschenswert wäre, dass sich viele Menschen auch von außerhalb an diesem Aufbau beteiligen, etwa mit Trost aber auch mit einer kleinen Spende. Dann kann solch ein tragisches Ereignis, das den Menschen vor Augen führt, dass immer etwas passieren kann, nämlich über die Region hinaus die ganze Schweiz zusammenschweißen."

"Es gibt eine Zukunft im Lötschental"

Hoffnung macht auch die Politik. "Ich konnte eine Weile nicht mehr sprechen. Ein Weiler ist von der Landkarte verschwunden", zeigt sich auch Christophe Darbellay, Vizepräsident der Kantonsregierung, geschockt. Zahlreiche Betriebe wurden zerstört, einige Landwirte hätten "keinen Boden mehr."

Staatsrat Christophe Darbellay macht Mut
20 Minuten

Dennoch betont er: "Es gibt eine Zukunft im Lötschental". Blatten – die "Lunge der Tourismusregion" aufzugeben, sei keine Option. Es brauche jetzt dringend eine langfristige Perspektive für Tal und Dorf, so der Staatsrat. Wie, wann und mit welchen Mitteln könne man derzeit aber noch nicht sagen. Die ganze Hilfekette müsse man aber noch definieren. Die Hilfswerke seien bereits bei der Arbeit. Man werde die Menschen nicht im Stich lassen.

"Der Klimawandel ist eine Tatsache – hier im Wallis sind wir besonders stark davon betroffen." Es brauche auch diesbezüglich mehr Mittel, mahnt Staatsrat Darbellay.

"Nicht ausgeschlossen, dass wir Täler aufgeben müssen"

Durch den Klimawandel wird die Zahl von Extremwetter-Ereignissen im Alpenraum weiter zunehmen, warnen Klimatologen. Angesichts des Klimawandels kann nicht ausgeschlossen werden, dass wir in den kommenden Jahren vermehrt einzelne alpine Wohngebiete in Schweizer Tälern aufgeben müssen. Der auftauenden Permafrost auf den Gipfeln ist mit vermehrten Felsstürzen zu rechnen.

„Wir werden in den Alpen Lebensraum verlieren“
Reinhard SteurerProfessor für Klimapolitik, BOKU Wien

Reinhard Steurer, Professor für Klimapolitik an der BOKU Wien, ist überzeugt, dass exponierte Regionen wohl angesichts immer häufigerer Katastrophen aufgegeben werden müssen – und das alleine schon aus dem Blickwinkel der Wirtschaftlichkeit: "Die Infrastruktur wird dort öfter zerstört werden, als man sie wieder aufbauen kann."

Steurers erschütternde Prognose: "Wir werden in den Alpen Lebensraum verlieren. Wir reden einfach noch nicht darüber, weil es so nah und deshalb so unangenehm ist." Mehr dazu hier:

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