Kann es Frieden in der Ukraine geben? Falls ja, zu welchem Preis? Diese Fragen brennen seit den beiden Gipfeltreffen von Donald Trump – erst mit Kriegstreiber Wladimir Putin, dann mit Wolodymyr Selenskyj und EU-Vertretern – unter den Fingernägeln.
Der Kreml gibt sich weiter siegessicher und rückt bisher nicht von seinen Eroberungsfantasien ab. Die Chefdiplomatin der Europäischen Union warnt deshalb nun davor, die Ukraine zu Gebietsabtretungen an den Aggressor-Staat Russland zu drängen. Trump hatte zuletzt auch von einem gegenseitigen "Gebietstausch" gesprochen.
In einem Interview mit der BBC-Sendung "Today", sprach Kaja Kallas (48) von einer "Falle, in die Putin uns tappen lassen will". Der Donbass werde seit langem umkämpft, durch die militärischen Aggressionen seit 2014 hatten 1,5 Millionen Ukrainer dort ihre Heimat verloren, waren zur Flucht gezwungen.
Die Ukraine lehnt eine Abtretung dieser östlichen Region aus vielen Gründen vehement ab. Alleine aus militärischer Sicht käme eine Aufgabe der Regionen Luhansk und Donezk entlang der Verwaltungsgrenzen – also inklusive weiterhin umkämpfter und noch nicht russisch-eroberter Städte – aus heutiger Sicht einem Selbstmord gleich. Die Ukraine würde nach Experten-Ansicht nicht nur einen wichtigen Festungsgürtel verlieren, das Land dahinter böte auch kaum natürlichen Schutz, sollte Russland neuerlich einfallen.
Deswegen fordert auch die EU-Außenbeauftragte "robuste Sicherheitsgarantien" für die Ukraine ein: "Die stärkste Sicherheitsgarantie ist eine starke ukrainische Armee", sagte sie und betonte die Wichtigkeit von Garantien, die "nicht nur auf dem Papier stehen".
Putin habe bei dem Alaska-Gipfel mit Trump "alles bekommen, was er wollte". Die Estin sieht bei dem Kriegstreiber weiterhin kein echtes Interesse an Friedensverhandlungen: "Er wurde so herzlich empfangen und wollte, dass keine Sanktionen verhängt werden, was ihm auch gelungen ist. Putin lacht nur, hört nicht auf zu töten, sondern tötet noch mehr", so Kallas. "Wir vergessen, dass Russland kein einziges Zugeständnis gemacht hat."
Auch Ukraine-Präsident Selenskyj zweifelt an Putins Bereitschaft für ein Treffen "in jeder Form" mit ihm und wirft dem Kreml in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur AFP Verzögerungstaktik vor.
Es gebe noch immer keine Anzeichen aus Moskau, dass dort wirklich beabsichtigt werde, substanzielle Verhandlungen aufzunehmen: "Die aktuellen Signale aus Russland sind, ehrlich gesagt, unanständig. Sie versuchen, die Notwendigkeit eines Treffens zu umgehen. Sie wollen diesen Krieg nicht beenden."
Am 20. August wurde in Estland das Ende eines halben Jahrhunderts sowjetischer Besatzung gefeiert. Anlässlich dieses Jahrestages veröffentlichte die frühere Premierministerin von Estland eine mahnende Botschaft. Kallas im Wortlaut:
"Jeder, der unter Besatzung gelebt hat, wird Ihnen bestätigen, dass kein Maß an Unterdrückung einen die eigene Identität vergessen lassen kann. Die Esten haben es nie vergessen. Auch Estlands Verbündete, darunter die Vereinigten Staaten, haben es nicht vergessen."
Und weiter: "Wir Esten wussten in unseren Herzen, wer wir waren, auch wenn die Sowjetunion versuchte, uns von der Landkarte zu tilgen. Aber die Nichtanerkennung [der Annexion] durch andere, darunter auch den USA, hielt unsere Hoffnung auf Freiheit am Leben.
Diejenigen, die den Preis der Freiheit verstehen, werden immer anderen helfen, die ebenfalls dafür kämpfen."