Science

Forscher beleben 48.500 Jahre altes "Zombie-Virus" 

Forscher haben ein "Zombie"-Virus wiederbelebt, das seit Zehntausenden Jahren im sibirischen Permafrost schlummerte – und es ist noch immer infektiös.

Sabine Primes
Das "Zombie-Virus" Pandoravirus yedoma (li.) ist ein so genanntes "Riesenvirus", das unter einem normalen Mikroskop sichtbar ist. Es ist 48.500 Jahre alt und stammt aus einer Bodenprobe, die 16 Meter unterhalb eines arktischen Sees genommen wurde.
Das "Zombie-Virus" Pandoravirus yedoma (li.) ist ein so genanntes "Riesenvirus", das unter einem normalen Mikroskop sichtbar ist. Es ist 48.500 Jahre alt und stammt aus einer Bodenprobe, die 16 Meter unterhalb eines arktischen Sees genommen wurde.
mdpi.com; iStockphoto.com; Collage: heute.at

Der Klimawandel und die globale Erwärmung lassen den Permafrostboden der Arktis-Region auftauen – eine gefrorene Bodenschicht unter der Erde – und bringen möglicherweise Viren zum Vorschein, die, nachdem sie zehntausende von Jahren geschlummert haben, Tieren und Menschen gefährlich werden könnten. Eine Pandemie, die durch eine Krankheit aus der fernen Vergangenheit ausgelöst wird, klingt zwar wie ein Science-Fiction-Film, darf aber nicht unterschätzt werden. 

Permafrost ist wichtig

Grundsätzlich spricht man von Permafrost, wenn ein Boden im Untergrund mindestens über zwei Jahre gefroren bleibt.  In der Arktis gibt es Gebiete, in denen 70 Prozent des Untergrundes aus Eis bestehen – beispielsweise im nordöstlichen Sibirien. Dort gab es während der Eiszeit vor 100.000 bis 10.000 Jahren besonders kalte und lange Winter. Gleichzeitig wurde der Boden dort nicht von einem Eisschild geschützt, so dass kalte Luft tief in den Boden eindringen konnte. Bis circa 1,6 Kilometer reicht der Dauerfrost in dieser Region heute ins Erdinnere.

Ein Viertel der Nordhalbkugel ist von Permafrost bedeckt und bildet seit Jahrtausenden die Grundlage für die arktische Tundra und die Wälder in Alaska, Kanada und Russland. Er dient als eine Art Zeitkapsel, in der neben alten Viren auch die mumifizierten Überreste einer Reihe von ausgestorbenen Tieren aufbewahrt werden. Permafrost ist ein gutes Speichermedium, weil er kalt ist und er stellt eine sauerstofffreie Umgebung dar, in die kein Licht eindringt.

Pandoravirus yedoma: Fast 50.000 Jahre alt

Um die von gefrorenen Viren ausgehenden Gefahren besser zu verstehen, hat Jean-Michel Claverie, emeritierter Professor für Medizin und Genomik an der medizinischen Fakultät der Universität Aix-Marseille in Marseille (Frankreich) Erdproben aus dem sibirischen Permafrostboden daraufhin untersucht, ob die darin enthaltenen Viruspartikel noch infektiös sind. Er ist auf der Suche nach so genannten "Zombie-Viren" – und er hat einige gefunden.

In seiner neuesten Forschungsarbeit, die in der Fachzeitschrift "Viruses" veröffentlicht wurde, isolierten Claverie und sein Team 13 neue Stämme uralter Viren aus mehreren Permafrostproben, die an sieben verschiedenen Orten in Sibirien entnommen wurden und noch immer Amöbenzellen infizieren können. Die älteste Probe war fast 48.500 Jahre alt und trägt den Namen Pandoravirus yedoma. Es ist so groß, dass es bereits mit einem normalen Lichtmikroskop nachgewiesen werden kann, und stammt aus einer Bodenprobe, die 16 Meter unterhalb eines arktischen Sees genommen wurde. Die jüngsten Proben, die im Mageninhalt und im Fell der Überreste eines Wollhaarmammuts gefunden wurden, waren 27.000 Jahre alt.

Nach zehntausenden Jahren noch immer infektiös

Bereits im Jahr 2014 gelang es ihm und seinem Team, ein aus dem Permafrost isoliertes Virus wiederzubeleben, indem sie es zum ersten Mal seit 30.000 Jahren wieder infektiös machten, indem sie es in kultivierte Zellen einführten. Aus Sicherheitsgründen hatte er sich dafür entschieden, ein Virus zu untersuchen, das nur einzellige Amöben befallen kann, nicht aber Tiere oder Menschen. Im Jahr 2015 isolierte einen anderen Virustyp, der ebenfalls Amöben befällt.

Die Tatsache, dass Amöbenviren nach so langer Zeit immer noch infektiös sind, deutet auf ein möglicherweise größeres Problem hin, so Claverie. Er befürchtet, dass die Menschen uralte Viren, die wieder zum Leben erwachen können, nicht als ernsthafte Bedrohung der öffentlichen Gesundheit wahrnehmen. Das Problem: Wenn sich im Permafrost ein Virus verbirgt, mit dem wir seit Tausenden von Jahren nicht mehr in Berührung gekommen sind, könnte es sein, dass unsere Immunabwehr nicht ausreicht. Denn die Struktur von solch jahrtausendalter Viren ähnelt keiner, gegen die die heutige Menschheit eine Immunität entwickelt hat bzw. könnte auch die Wissenschaft auf kein Basiswissen für Medikamente zurückgreifen. 

Risiko steigt mit globaler Erwärmung an

In der realen Welt wissen Wissenschaftler nicht, wie lange diese Viren infektiös bleiben könnten, wenn sie den heutigen Bedingungen ausgesetzt sind, oder wie wahrscheinlich es ist, dass das Virus auf einen geeigneten Wirt trifft. Nicht alle Viren sind Krankheitserreger, die Krankheiten verursachen können. Einige sind gutartig oder sogar vorteilhaft für ihre Wirte. Und obwohl die Arktis 3,6 Millionen Menschen beherbergt, ist sie immer noch ein dünn besiedelter Ort, wodurch das Risiko, dass Menschen alten Viren ausgesetzt werden, sehr gering ist.

Dennoch "wird das Risiko im Zusammenhang mit der globalen Erwärmung zwangsläufig zunehmen", sagte Claverie, "bei der das Auftauen des Permafrostbodens weiter beschleunigt wird und mehr Menschen die Arktis im Zuge industrieller Unternehmungen bevölkern werden."

Ausgerottete Viren gefunden

Spuren von Viren und Bakterien, die den Menschen infizieren können, wurden bereits im Permafrostboden gefunden. Die Lungenprobe einer Frau, die 1997 in Alaska aus dem Permafrostboden geborgen wurde, enthielt genomisches Material des Grippestamms, der für die Spanische-Grippe-Pandemie von 1918 verantwortlich war. 2012 enthielten die 300 Jahre alten mumifizierten Überreste einer in Sibirien begrabenen Frau die genetischen Signaturen des Pockenvirus, das heute als ausgerottet gilt.