In Frankreich spitzt sich die Regierungskrise weiter zu. Am Abend soll eine Entscheidung fallen: Sébastien Lecornu, der zwar zurückgetreten ist, aber weiterhin mit den Verhandlungen beauftragt wurde, zeigt sich zuversichtlich.
Er will Präsident Emmanuel Macron bis zum Ablauf der Frist am Mittwochabend mehrere Lösungsvorschläge präsentieren. Der Wunsch, dass Frankreich zu Silvester ein Budget hat, sei so groß, "dass sich die Möglichkeit von Neuwahlen entfernt", sagte Lecornu am Vormittag.
Anschließend wollte er mit der "republikanischen Linken" darüber sprechen, "welche Zugeständnisse sie verlangt, um Stabilität zu garantieren". Gemeint sind vor allem die Sozialisten, deren Vertreter am Vormittag im Amt des Premierministers eingetroffen sind. Sie spielen in der Budgetdebatte eine entscheidende Rolle, weil sie in der Nationalversammlung das Zünglein an der Waage sind.
Die linkspopulistische Partei La France Insoumise (LFI) von Jean-Luc Mélenchon hat die Einladung zu einer weiteren Verhandlungsrunde abgelehnt. Das Präsidium der Nationalversammlung wies am Mittwoch einen von LFI eingebrachten Antrag auf Amtsenthebung des Präsidenten wie erwartet ab.
Schon am Vorabend hatte die ehemalige Premierministerin Elisabeth Borne das Aussetzen der von ihr 2023 durchgebrachten Pensionsreform ins Spiel gebracht. "Wenn dies die Voraussetzung für die Stabilität des Landes ist, muss man die Modalitäten und die Folgen einer Aussetzung prüfen", sagte sie der Zeitung "Le Parisien". Ob das mit Macron oder Lecornu abgesprochen war, blieb unklar.
Lecornu ging darauf nicht näher ein, zeigte sich aber überzeugt, dass die aktuelle Krise zu einem "Moment der Verantwortung" führen werde. Im bisherigen Regierungslager sorgte Bornes Vorstoß für heftige Kritik. Innenminister Bruno Retailleau bezeichnete das Aussetzen der Pensionsreform als "rote Linie". Finanzminister Roland Lescure warnte, dass so ein Schritt 2026 Hunderte Millionen und 2027 mehrere Milliarden Euro kosten würde. Auch Ex-Premierminister Edouard Philippe, der im Regierungslager seine eigene Partei vertritt, sprach sich gegen eine Aussetzung der Reform aus.
Lecornu meinte, er sei sich bewusst, dass die Krise auch "das Bild Frankreichs im Ausland" beeinträchtige. "In manchen Hauptstädten macht man sich Sorgen", räumte er ein. "Es ist klar, dass wir aus dieser Situation herauskommen müssen", fügte er hinzu. Lecornu wollte sich um 20 Uhr in einer TV-Ansprache an die Franzosen wenden.
Macron selbst schweigt weiterhin. Seit dem überraschenden Rücktritt seines engen Vertrauten Lecornu hat er keine öffentliche Stellungnahme abgegeben. Aus seinem Umfeld hieß es nur, dass er sich im Falle eines Scheiterns der Verhandlungen von Lecornu "seiner Verantwortung stellen" würde. Viele sehen das als Hinweis darauf, dass Macron vorgezogene Neuwahlen ausrufen könnte.
Bereits am Dienstag hatte Macron die Vorsitzenden beider Parlamentskammern zu Beratungen empfangen. Die Präsidentin der Nationalversammlung, Yaël Braun-Pivet, stellte danach klar, dass es dabei nicht um Neuwahlen gegangen sei. Nach der französischen Verfassung muss der Staatschef die Präsidenten beider Kammern konsultieren, falls er die Nationalversammlung auflösen will.
Hintergrund der schwersten politischen Krise seit Jahrzehnten ist die Debatte um nötige Einsparungen wegen der maroden Staatsfinanzen. Frankreich ist derzeit mit über 115 Prozent des Bruttoinlandsprodukts verschuldet und hatte zuletzt ein Defizit von 5,8 Prozent.
Das Budget für das kommende Jahr müsste eigentlich schon Mitte Oktober von der Nationalversammlung diskutiert werden. Bis jetzt ist aber kein Kompromiss in Sicht. Drei Vorgänger von Lecornu sind im Zuge der Budgetdebatten bereits gestürzt.