Mindestens 121.500 russische Männer haben die Eroberungsfantasien ihres Präsidenten Wladimir Putin bis Anfang August 2025 mit dem Leben bezahlt. Das ist die Zahl der namentlich bestätigten Gefallenen laut unabhängiger Zählung von "Mediazona". Die Liste ist allerdings bei Weitem nicht vollständig, da nicht jeder Todesfall an der Front öffentlich gemacht wird.
Noch einmal deutlich höher ist die Zahl der Verwundeten. Das Risiko auf Tod oder Verstümmelung an der Front wiegt der Kreml mit Rubel auf. Witwen erhalten eine Abfertigung, überlebenden Soldaten wurde ab Juli 2022 von Putin persönlich eine Zahlung von 3 Millionen Rubel (etwa 32.000 Euro) bei Verwundung im Rahmen seiner "Spezial-Operation" in Aussicht gestellt.
Einige russischen Soldaten haben nun offenbar einen Weg gefunden, ohne die tödlichen Gefahren an der Front zu diesem Geld – und zu Ruhm – zu kommen. Die russische Zeitung "Kommersant" berichtete am 20. August über einen großangelegten Betrug innerhalb einer Eliteeinheit der russischen Armee, der jetzt Fall für die Justiz wird.
Laut den Ermittlern, die ihre Untersuchungen nun abgeschlossen haben, sollen Dutzende Soldaten der 83. Luftlandebrigade der Garde ihre Kollegen dazu gebracht haben, auf sie zu schießen. Mit diesen nicht lebensgefährlichen Schusswunden machten sie dann ihren Anspruch auf die staatlichen Entschädigungszahlungen geltend.
Das System umfasste die Fälschung von Kriegsverletzungen, um nicht nur finanzielle Entschädigungen, sondern auch Dienstleistungen und staatliche Auszeichnungen zu erhalten, darunter den Orden für Tapferkeit und die Medaille "Für Tapferkeit", berichtet zudem "Mediazona". Die Ermittler identifizierten 35 Tatverdächtige, die dem Staat illegal so mehr als 200 Millionen Rubel (2,13 Millionen Euro) abgeluchst hatten.
Die mutmaßlichen Rädelsführer, Oberst Artem (auch Artyom) Gorodilow und Oberstleutnant Konstantin Frolow, Rufname "Henker", sollen gestanden und beteiligte Kameraden belastet haben.
Oberst Gorodilow hatte zuvor das Kommando über das 234. Luftangriffsregiment inne, das in den ersten Kriegswochen für das Massaker an Zivilisten in Butscha verantwortlich gewesen sein soll. Er steht deshalb auch auf einer Sanktionsliste der USA.
Die 83. Luftlandebrigade war auch in den weiteren Kriegsverlauf stark involviert, wurde dafür im Juli 2023 mit dem hochrangigen Suworow-Orden ausgezeichnet. Fast genau ein Jahr später klickten für beide Offiziere die Handschellen.
Oberst Gorodilow wurde nun wegen gewerbsmäßigen Betrugs angeklagt. Gegen seinen Komplizen, Oberstleutnant Frolow, werden zudem noch Anklagen wegen Bestechung und illegalem Besitz von Waffen, Munition und Sprengstoff erhoben. Ermittler haben in der russisch-besetzten Region Luhansk ein illegales Waffenarsenal entdeckt, das Frolow zugeschrieben wird.
Der Fall wird nun vor dem Militärgericht der Garnison Luhansk, da einige der Straftaten in seinem Zuständigkeitsbereich verübt wurden. Einige der fast drei Dutzend Angeklagten beteuern russischen Medienberichten zufolge ihre Kooperation und wollen die illegal bezogene Prämie zurückzahlen. Bislang durfte aber keiner die Untersuchungshaft verlassen.