Der Schock über die öffentliche Demütigung von Wolodymyr Selenskyj im Oval Office sitzt selbst unter amerikanischen Konservativen tief. Der Geheimdienst- und Cybersicherheitsexperte Ryan McBeth reagierte kurz darauf auf seinem populären YouTube-Kanal fassungslos, musste sich die Frage stellen: "Sind wir die Bösen?"
Nach eigenen Recherchen in seinem persönlichen Netzwerk aus Regierungs- und Nachrichtendienst-Insidern spricht er inzwischen von einem "Verrat der USA". Die Trump-Administration wolle schnell eine Art Friedensabkommen oder Waffenstillstand schließen – "unabhängig davon, ob dies der Ukraine, Russland, beiden oder keinem von ihnen nützt".
Der Ukraine-Krieg wird von der neuen US-Regierung offenbar als lästiger Nebenschauplatz, die europäische Sicherheitsproblematik als ein Klotz am Bein gesehen. Der wirkliche Fokus liege auf China. Das aufstrebende Reich der Mitte werde im Weißen Haus als DIE große geopolitische Bedrohung für die kommenden Jahrzehnte gesehen. Die chinesische Volksbefreiungsarmee rüste auf eine Invasion Taiwans 2027 hin. Ein schnelles Ende des Ukraine-Kriegs könnte es den USA ermöglichen, ihre 84.000 derzeit in Europa gebundenen Truppen zur Abschreckung in den pazifischen Raum zu verlegen.
Dieser neuen geopolitischen Ausrichtung des Weißen Hauses sei es auch die harsche Tonlage gegenüber den NATO-Verbündeten geschuldet. McBeth spricht von einem "kalkulierten Risiko": "Selbst drei Jahre nach Start der russischen Invasion der Ukraine haben es viele NATO-Länder nicht auf die Reihe gekriegt, 2 Prozent des BIP für Militärausgaben abzustellen. Es ist auch ihre Schuld, dass die US-Regierung nun sagt: 'Keine Freifahrtsscheine mehr, wir müssen uns jetzt auf den Pazifik konzentrieren'." Die Ukraine sei Opfer dieser Realpolitik geworden.
Doch warum hält Trump derzeit für Kriegstreiber Putin (fast) nur Zuckerbrot bereit, während er Selenskyj mit der Peitsche behandelt? Die US-Regierung habe Angst vor einem völligen Zusammenbruch Russlands, schildert McBeth. Ein Haufen verfeindeter Warlord-Staaten mit Zugang zu Atomwaffen parallel zum Aufstieg Chinas wäre eine "Katastrophe", die die Trump-Regierung nicht riskieren wolle.
"Die derzeitige Administration ist möglicherweise der Auffassung, dass es besser ist, die Ukraine zu einem für sie nachteiligen Frieden zu zwingen, die Sanktionen gegen Russland aufzuheben, um diesem eine 'sanfte Landung' zu ermöglichen, bei der Putin Herrscher im Kreml bleibt und die Atomwaffen sicher sind."
Ryan McBeth war 20 Jahre in der US-Infanterie, unter anderem als Ausbildner, tätig. Als Programmierer und Experte für Cybersicherheit und Künstliche Intelligenz arbeitet er inzwischen für einen privaten Nachrichtendienst, ist dazu regelmäßiger Kommentator beim rechtskonservativen Kanal "Newsmax". Auf seinem privaten YouTube-Kanal mit mehr als einer Million Follower veröffentlicht er u.a. seine nachrichtendienstlichen Einschätzungen zu den Geschehnissen im Ukraine-Krieg.
Das Problem an dieser Strategie: Das Ansehen der USA als Verbündeter und Verteidiger der freien Demokratien könnte bald irreparablen Schaden erleiden. McBeth spart nicht mit Kritik: "Das Problem ist, dass wir als Amerikaner bei der Verteidigung der Freiheit gerade schlecht abschneiden. Wir haben die Kurden im Stich gelassen, wir haben unsere afghanischen Partner dem Tod überlassen und jetzt ziehen wir uns aus der Ukraine und vielleicht auch aus Europa zurück."
Als Konsequenz müssten sich auch die Verbündeten fragen, ob die USA noch ein verlässlicher Partner für sie sind: "Die Antwort scheint Nein zu sein. Wenn wir die Waffenhilfe für die Ukraine stoppen, könnten wir auch die Hilfe für alle anderen beenden."
Für ihn als Nachrichtendienst-Insider sei dazu noch besonders schlimm, dass die Europäer oder die Five-Eyes-Partner als Resultat dieses Trump-Kurses ihren Austausch von Geheiminformationen mit den USA, aus Angst, dass diese versehentlich oder absichtlich an Russland gelangen könnten, einstellen könnten: "Das ist beängstigend, denn wir brauchen unsere Partner."
Das gilt auch wirtschaftlich: Die Entwicklung neuer Waffensysteme ist immens teuer, die Kosten können erst durch die Produktion großer Stückzahlen abgefangen werden. Brechen die bisherigen Verbündeten als Abnehmer weg, wird langfristig auch die Inlands-Beschaffung der US-Streitkräfte teurer.
McBeths Fazit ist eine Warnung: "Die Vereinigten Staaten stehen am Scheideweg: Sind wir die Nation, die für die Freiheit eintritt, oder sind wir die Nation, die wegläuft, wenn es unbequem ist? Wenn wir der Welt immer wieder beweisen, dass wir unzuverlässig sind, dass wir abhauen, wenn es schwierig wird... Warum sollte dann überhaupt jemand an unserer Seite stehen? Und in letzter Instanz: Wer wird uns helfen, wenn wir das einmal notwendig haben?"
Die öffentliche Demütigung des ukrainischen Präsidenten durch Donald Trump und JD Vance im Oval Office hat Ende Februar 2025 Schockwellen rund um den Globus ausgelöst. Die offizielle Version des Weißen Hauses: Der ukrainische Präsident habe Dankbarkeit vermissen lassen und kein Interesse an einer Friedenslösung gezeigt. Dieser hatte öffentlich auf Sicherheitsgarantien beharrt, um sein Land vor einem erneuten Überfall durch Russland zu schützen.
Der umgehend folgende Lieferstopp der für die Ukraine überlebenswichtigen Militärhilfen und Geheimdienstinfos, sollte laut Trumps Ukraine-Beauftragten Keith Kellogg als (tödlicher) Wink mit dem Zaunpfahl für die endende Geduld Washingtons verstanden werden: "Wie mit einem Maultier, dem man ein Kantholz ins Gesicht schlägt. Man hat seine Aufmerksamkeit". Gleichzeitig wechselten die USA noch deutlicher auf Kuschelkurs zu Moskau.
Nachdem die Ukraine am 11. März bei Verhandlungen in Dschidda, Saudi-Arabien, die Bereitschaft zu einem 30-tägigen Waffenstillstand mit den russischen Invasoren signalisiert hat, wurden die Waffenlieferungen wieder aufgenommen, auch Geheimdienst-Infos fließen wieder. Der Ball liegt jetzt beim Kreml. Dass Putin, der sich auf der Siegerstraße wähnt, dem zustimmen bzw. sich an die Feuerpause halten wird, gilt für viele Beobachter derweil aber als unwahrscheinlich. Seither hängt der transatlantische Haussegen mehr als schief.