Wie schon die fast 73-jährige Wienerin, Eva G., zuvor wurde auch die Schweizerin aus ihrem Haus in der Wüstenstadt Agadez entführt. Auf Anfrage der APA bestätigt das Außenministerium den Kontakt zu den Schweizer Behörden. Laut Insidern im Niger könnte der Islamische Staat in der Sahelzone (ISGS bzw. ISSP) für die Taten verantwortlich sein.
Der Sohn der Wienerin Christoph G. hofft nun darauf, dass seine Mutter "nicht mehr alleine" in den Händen der Kidnapper ist. Er könne sich sehr gut vorstellen, dass es sich bei dem Fall der 67-jährigen Schweizerin um die gleichen Entführer handelt. Nach eigenen Angaben habe der Sohn, der selbst jahrelang in Agadez gelebt hatte, ein weitreichendes Netzwerk vor Ort.
Zur APA sagte G., es kann sich als hilfreich erweisen, "dass sich nun eine zweite Regierung der Sache annimmt und die Schweiz durch ihre neue und aktive Rolle mehr Druck auf lokale und regionale Player ausüben kann". Der Sohn verweist darauf, dass seine Mutter sich ab dem 21. April seit 100 Tagen in den Fängen der Entführer befindet.
Quellen aus der Region vermuten, dass es sich bei den Tätern um Banditen handelte, die Geiseln an den IS weiterverkaufen. Gegenüber der APA hieß es, dass es der Österreicherin, laut jüngsten Informationen, gut gehe. Die Insider ziehen Parallelen zum deutschen Entwicklungshelfer Jörg L. Er war nach vier Jahren Geiselhaft im Dezember 2022 aus den Fängen der ISGS freigekommen. Laut eigenen Angaben hätten ihn seine Entführer korrekt behandelt. Die islamistische Terrormiliz JNIM, ein regionaler Ableger der Al-Kaida, dementierte jedenfalls eine Beteiligung an der Entführung von Eva G..
Der Westafrika-Analyst der Konfliktdatenorganisation ACLED, Héni Nsaibia, bestätigte, dass der ISSP zuletzt eine Reihe von Entführungen ausländischer Staatsangehöriger in der Sahelzone organisiert habe. Die Zahl der Entführungen von Ausländern, die von dem ISSP durchgeführt wurden, sei in diesem Jahr beispiellos. Bisher wurden Operationen dieser Art nur "sehr sporadisch" durchgeführt. Die steigende Anzahl dieser Entführungen ließe sich auf den Ressourcenbedarf der Gruppe zurückführen. Ausländische Geiseln würden den Terroristen mehr Lösegeld einbringen als einheimische Gefangene.
Die Entführungen der ISSP würden neuerdings an andere bewaffnete Gruppierungen ausgelagert werden. Diese würden wissen, dass sie die Geiseln für gutes Geld an den ISSP verkaufen können, meinte Nsaibia in einem Interview, das auf der ACLED-Homepage veröffentlicht wurde.
Der Experte nannte diesbezüglich die Entführung eines Spaniers in Algerien als Beispiel. Der Mann wurde im Jänner durch eine Gruppe lokaler Krimineller verschleppt. Einer Gruppe von Tuareg-Rebellen der Azawad-Befreiungsfront (FLA) konnte die Übergabe an den ISSP vereiteln. Ein ähnliches Szenario soll auch der Wienerin widerfahren sein. Nsaibia geht davon aus, dass eine Gruppe, die mit ISSP in Verbindung steht, sie verschleppte und in eine ISSP-Hochburg brachte.
Die Vermutung des Experten wird vom Außenministerium nicht bestätigt. Bislang gebe es keine neuen Entwicklungen im Fall der Wienerin, hieß es in einer Stellungnahme gegenüber der APA. Ein Krisenteam sei vor Ort und gehe den vorliegenden Hinweisen und Kontakten mit Nachdruck nach. Ebenfalls keine Angaben zu den Geiselnehmern machte das Schweizer Außenministerium. Man stehe mit den nigrischen Behörden in der Hauptstadt Namey in Kontakt. Diese seien auch für die Lösung des Falls zuständig, hieß es seitens des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA).
Auch der EU-Sonderbeauftragte für die Sahelzone, João Cravinho, wollte sich auf Anfrage der APA nicht zu den "laufenden konsularischen Angelegenheiten" äußern. Sein Büro betonte, dass man lediglich bestätigen könne, den Fall zu verfolgen und mit der zuständigen österreichischen Botschaft in Kontakt stehe, um die entsprechenden Kontakte vor Ort herzustellen.
Nach Militärputschen in Mali, Burkina Faso und Niger ist die Lage in der Sahelzone stark angespannt. Aufgrund von Anschlags- und Entführungsgefahr hat das österreichische Außenministerium eine Reisewarnung für den Niger ausgesprochen. Das Schweizer Außenamt verweist darauf, dass in großen Teilen der Sahara und des Sahel bewaffnete Banden und terroristische Gruppierungen ihr Unwesen treiben, die von Schmuggel, Raubüberfällen und Entführungen leben. Diese seien gut organisiert, operieren grenzüberschreitend und hätten Verbindungen zu lokalen, kriminellen Gruppierungen.
Der Konfliktdatenorganisation ACLED zufolge habe sich die bilaterale Unterstützung der Region, nachdem westliche Länder wie Frankreich und die USA sich zurückgezogen hatten, auf Russland, in Person der Wagner-Söldner und deren Nachfolger, das Africa Corps, verlagert. In der Sahelzone sei der IS einer der gewalttätigsten und aktivsten bewaffneten Akteure. Die Terrororganisation nutze das, durch den Abzug der französischen Truppen entstandene, Sicherheitsvakuum aus, um ihren Einflussbereich in der Grenzregion auszuweiten, vor allem in der malischen Region Ménaka.
In der letzten Zeit habe ISGS seine Taktik von Massengewalt hin zu strukturierten Formen der territorialen Kontrolle mit dem Ziel, ein selbst ernanntes jihadistisches Regierungssystem zu errichten, geändert, heißt es auf der ACLED-Homepage.