Mit dem Vorrücken auf die Stadt Gaza hat das israelische Heer den Druck auf die islamistische Hamas weiter erhöht. Am Donnerstag forderte das Militär Krankenhäuser und internationale Organisationen in der als Hamas-Hochburg geltenden Stadt auf, mit Evakuierungsvorbereitungen zu beginnen. Die Hamas lehnte das strikt ab. Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu ordnete unterdessen die Aufnahme "sofortiger Verhandlungen" zur Freilassung "aller Geiseln" an.
Das Heer kündigte eine bevorstehende "vollständige Evakuierung" der Stadt Gaza an. Spitäler und medizinisches Personal wurden aufgefordert, "einen Plan für den Transport von medizinischem Material vom Norden in den Süden auszuarbeiten". Das Heer versicherte, dass sie ihnen "einen Ort zum Operieren zur Verfügung stellen werde, sei es ein Feldlazarett oder ein anderes Krankenhaus".
Bereits am Mittwochabend hatte das Heer erklärt, mit "vorbereitenden Einsätzen" zur Einnahme der letzten Hamas-Hochburg in der größten Stadt des Palästinensergebiets begonnen zu haben. An der Offensive sollen laut Armee fünf Divisionen beteiligt sein.
"Wir werden unsere Angriffe gegen die Hamas im Gazastreifen verstärken", sagte Armeesprecher Effie Defrin. Die Streitkräfte kontrollierten bereits "die Vororte der Stadt". "Wir werden die Voraussetzungen schaffen, um die Geiseln zurückzuholen."
Aus Sicht von Defrin ist die Hamas "heute nicht mehr dieselbe" wie früher. Die islamistische Palästinenserorganisation, die mit dem brutalen Angriff auf Israel am 7. Oktober 2023 den Krieg im Gazastreifen ausgelöst hatte, sei "nur noch eine geschwächte Guerillagruppe unter Druck".
Die Hamas reagierte auf die Evakuierungsaufrufe mit klarer Ablehnung. Das Hamas-Gesundheitsministerium betonte am Donnerstag in einer Erklärung "seine Ablehnung aller Maßnahmen zum Ausdruck, die das nach der systematischen Zerstörung durch die israelische Armee noch verbliebene Gesundheitssystem weiter schwächen würden".
Verteidigungsminister Israel Katz hatte den Plan des Heeres zur Einnahme von Gaza am Mittwoch abgesegnet. Außerdem gab er grünes Licht für die Mobilisierung von etwa 60.000 Reservisten, die laut Armee Anfang September beginnen soll.
Das israelische Heer will nach eigenen Angaben die Stadt Gaza und die in Al-Mawasi im Zentrum des Gazastreifens gelegenen Flüchtlingslager einnehmen. Ziele des Anfang August vom israelischen Sicherheitskabinett beschlossenen Plans sind die Zerschlagung der letzten Hamas-Stützpunkte im Gazastreifen, die Errichtung einer israelischen Sicherheitskontrolle und die Befreiung der verbliebenen israelischen Geiseln aus der Gewalt der Hamas und ihrer Verbündeten.
Bewohner von Gaza berichteten der Nachrichtenagentur AFP am Donnerstag von nächtlichem Beschuss in Gebieten wie Dschabalija, Nasla und Sabra. "Das Haus hat die ganze Nacht gewackelt. Der Lärm von Explosionen, Artillerie, Kriegsflugzeugen, Krankenwagen und Hilfeschreien macht uns fertig", schilderte der Palästinenser Ahmad al-Schanti.
Viele Menschen sind bereits aus dem Gebiet geflohen. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) bezeichnete die Ausweitung der Angriffe als "nicht tolerierbar". Durch die Intensivierung werde es mehr Tote, mehr Vertriebene, "mehr Zerstörung und mehr Panik" geben.
Laut Medienberichten rechnet das israelische Heer mit einem langen Einsatz zur Einnahme der Stadt. Die Streitkräfte bereiten sich auf eine "ausgedehnte Operation von mehreren Monaten vor, die bis in das Jahr 2026 andauern wird", berichtete der israelische Armeerundfunk.
Israel steht im seit 22 Monaten andauernden Krieg gegen die Hamas wegen der katastrophalen humanitären Lage im Gazastreifen immer mehr in der Kritik. Hilfsorganisationen warnen schon länger vor einer drohenden Hungersnot.
Unterdessen ordnete Netanjahu die Aufnahme "sofortiger Verhandlungen" zur Freilassung "aller Geiseln" an. Er habe angeordnet, "unverzüglich Verhandlungen über die Freilassung aller unserer Geiseln und die Beendigung des Krieges unter für Israel akzeptablen Bedingungen aufzunehmen", sagte Netanjahu am Donnerstag in einer Videobotschaft während eines Besuchs bei der Gaza-Division.
Der aktuell auf dem Tisch liegende Vorschlag der Vermittler Katar und Ägypten, dem die Hamas nach eigenen Angaben zugestimmt hat, sieht eine Freilassung einiger von ihr festgehaltener Geiseln vor – aber nicht aller. Die Hamas ist laut AFP bereit, zehn lebende und 18 tote israelische Geiseln an Israel zurückzugeben, wie aus Kreisen der Hamas und des mit ihr verbündeten Islamischen Dschihad verlautete.
Beim Angriff der Hamas und ihrer Verbündeten auf Israel vor fast zwei Jahren wurden laut israelischen Angaben mehr als 1.200 Menschen getötet, 251 Personen als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Noch immer hält die Hamas in dem Palästinensergebiet 49 Geiseln fest. Nur 22 von ihnen sind laut Einschätzung des israelischen Heeres noch am Leben.
Israel geht seit dem Hamas-Großangriff massiv militärisch im Gazastreifen vor. Nach Angaben der Hamas-Behörden, die nicht unabhängig überprüft werden können, wurden bisher mehr als 62.000 Menschen getötet.
Gleichzeitig forderten 27 Länder Israel auf, "unabhängigen ausländischen Medien unverzüglich Zugang" zum Gazastreifen zu gewähren. In einer unter anderem von Deutschland, Frankreich und Großbritannien unterzeichneten Erklärung hieß es am Donnerstag, Journalisten und Medienmitarbeiter spielten "eine wesentliche Rolle dabei, die verheerende Realität des Krieges ins Rampenlicht zu rücken".