Protest fordert Putins Sturz

Junge Russen singen Protestsong – Musikerin in Haft

Nach Jahren des Schweigens wagten sich am Montag in St. Petersburg Hunderte auf die Straße, um gegen den Krieg und für Putins Sturz zu demonstrieren.
Nick Wolfinger
16.10.2025, 13:56
Loading...
Angemeldet als Hier findest du deine letzten Kommentare
Alle Kommentare
Meine Kommentare
Sortieren nach:

Kommentare neu laden
Nach oben

Als Putins Truppen im Februar 2022 in die Ukraine einmarschierten, war es in Russlands Großstädten zu Demonstrationen mit hunderten bis tausenden Teilnehmern gekommen. Sie wurden damals brutal niedergeschlagen, es kam zu Massenverhaftungen. In den Wochen und Monaten danach wurde jeder Funken Protest im Keim erstickt. Schon das hochhalten eines weißen Zettels, auf dem gar nichts stand, führte am Roten Platz in Moskau zur sofortigen Verhaftung.

Jahrelanges Schweigen endet

Seither haben  sich Russen aus Angst vor Repression weitgehend ins Privatleben zurückgezogen, nehmen die Entwicklungen in der Ukraine – sofern sie in den streng zensierten russischen Medien überhaupt etwas davon wahrnehmen – schulterzuckend zur Kenntnis.

Jugendliche singen Schwanensee – Musikerin in Haft

Damit scheint es nun vorbei zu sein. Am Montag versammelten sich mehrere Hundert Jugendliche am zentralen Kasanskaja-Platz in der Millionenstadt St. Petersburg, um zu einem Regime-Wechsel aufzurufen. Die erst 18-jährige Straßenmusikerin Diana Loginova stimmte die Menge zu mehreren Protestsongs an. Zwar gab es vor Ort keinen Polizeieinsatz, doch wie das Exilmedium Moscow Times am Mittwoch berichtete wurde Loginova bald danach festgenommen.

Sie sangen dabei das Lied "Kooperative Schwanensee" ("Кооператив ‘Лебединое озеро") des russischen Rappers Noize MC. Das Lied hat sich seit seiner Veröffentlichung am 14. April 2023 zu einer heimlichen Widerstandshymne unter Oppositionellen in Russland entwickelt. Schon kurz nach seiner Veröffentlichung wurde der Kauf, die Aufführung oder die Verbreitung des Songs in Russland verboten.

"Schwanensee" hat besondere Bedeutung

Denn der scheinbar harmlose Text – "Lasst die Schwäne wieder tanzen" – bezieht sich auf eine alte "Tradition" des staatlichen Fernsehens während der Sowjetzeit. Damals wurde immer dann, wenn etwas schlimmes passiert ist (meist der Tod des Präsidenten oder einer anderen wichtigen Persönlichkeit), eine "Schwanensee"-Ballettaufführung im Fernsehprogramm abgespielt.

1991, als es zum Zusammenbruch der Sowjetunion kam, lief die "Schwanensee"-Einblendung jedoch in Dauerschleife – immer und immer wieder. Die Leute wussten damals zunächst nicht, was der Grund dafür war. Aber sie wussten, dass etwas Schlimmes geschehen sein musste, da nichts anders mehr im Fernsehen zu sehen war.

Raffinierieproduktion zusammengebrochen

Hintergrund für den nun neu aufkeimenden Protest ist eine gezielte ukrainische Angriffswelle auf russische Raffinerien in den letzten Wochen und Monaten, die zu einem Zusammenbruch der Benzinproduktion um rund 40 % geführt hat.

Deren Reparatur wird auf Wochen, wenn nicht gar auf Monate (wegen der westlichen Sanktionen auf Technologiegüter) geschätzt. Die Ergebnisse sind auf Videos im Internet längst für alle sichtbar: Kilometerlange Staus vor den Tankstellen im Land. Aufgrund des staatlichen Benzinpreisdeckels haben etwa auf der Krim ganze Tankstellenketten einfach zugesperrt, da sich der Betrieb aufgrund der gestiegenen Einkaufskosten gar nicht mehr lohnt.

In einer gezielten Drohnenkriegs-Kampagne hat die Ukraine in den letzten Wochen einige der wichtigsten russischen Raffinerien, Öl- und Gaspipelines getroffen und damit für Wochen bis Monate außer Betrieb gesetzt. Die Treffer lösten oft tagelange Brände aus. Die Raffinerieproduktion ist um 40 % eingebrochen.
Reuters

Inflation, Mangel, Steuererhöhungen

In weiterer Folge können nun viele Güter nicht mehr rechtzeitig transportiert werden, weil die Lkw in Staus vor Tankstellen feststecken und in vielen Regionen Treibstoff rationiert wurde. Die Folge: Die Preise für Kartoffel haben sich im Vergleich zum Vorjahr bereits verdreifacht. Auch andere Grundnahrungsmittel sind erheblich teurer geworden. Aufgrund ausbleibender Lkw-Transporte sind in vielen Supermärkten ganze Regalreihen leer.

Russlands Präsident Wladimir Putin dürfte das Lachen allmählich vergehen. Mit Steuererhöhungen versucht er das kriegsbedingte Budgetloch zu stopfen – zum Unmut der Bevölkerung.
via REUTERS

Gleichzeitig stagnieren die Löhne, auch die Arbeitslosigkeit steigt. Zusätzlich erhöhte Putin jetzt auch noch eine Reihe von Steuern, um die aus dem Ufer geratenen Kriegskosten finanzieren zu können.

Steht neue Protestwelle bevor?

All das bleibt von der russischen Bevölkerung – wie auch immer sie zu Putins Kriegspolitik auch stehen mag – nicht unbemerkt. Nachdem es mancherorts bereits kleinere Kundgebungen, etwa von der Kommunistischen Partei, gegeben hat, meldet sich nun auch die "unorganisierte" Jugend mit spontanen Protesten in der Öffentlichkeit zurück.

Es wird sich bald zeigen, ob es auch in anderen Städten zu Protesten kommt und wie Putin damit umgeht. Eines ist jedoch klar: Das Leben ist für viele Russen nicht mehr leistbar und der Druck, seinen Unmut in irgendeiner Form auszudrücken, wird immer größer.

{title && {title} } NW, {title && {title} } Akt. 16.10.2025, 15:54, 16.10.2025, 13:56
Jetzt E-Paper lesen