Seit über 20 Jahren amtiert Sergei Lawrow als russischer Außenminister, Erfahrung auf der diplomatischen Bühne sammelte der heute 75-Jährige schon ab 1972 beim Auswärtigen Dienst der Sowjetunion. Jetzt mehren sich aber Spekulationen, wonach Lawrow bei Putin in Ungnade gefallen sein könnte – über die Hintergründe gehen die Vermutungen auseinander.
Aufgekommen sind die Theorien vor allem, weil Lawrow bei wichtigen Anlässen fehlte bzw. fehlen wird: So reist anstelle des russischen Außenministers ein jüngerer Diplomat zum G20-Gipfel, der am Wochenende vom 22. und 23. November in Johannesburg stattfinden wird. Zuletzt fehlte Lawrow auch als einziges Mitglied bei einer Sitzung des russischen Sicherheitsrates.
Hat Wladimir Putin Sergei Wiktorowitsch Lawrow wirklich abgesägt? Von offizieller Seite wird den Gerüchten eine klare Absage erteilt: "Lawrow arbeitet weiter und ist aktiv", sagte Putin-Sprecher Dmitri Peskow. Der Minister werde sich der Öffentlichkeit bei relevanten Veranstaltungen wieder zeigen – "es ist alles in Ordnung und es gibt keinen Grund zur Beunruhigung", heißt es in der Stellungnahme des Kremls weiter.
Gut vernetzte Quellen berichten aber, dass es hinter den Kulissen zwischen Wladimir Putin und Sergei Lawrow schon länger rumort – zu einem Zerwürfnis soll es etwa in der zweiten Oktober-Hälfte im Rahmen der Verhandlungen mit Washington D.C. zu einem möglichen Treffen gekommen sein. Dieses wurde bis auf Weiteres auf Eis gelegt – laut Medienberichten nach einem angespannten Gespräch zwischen Lawrow und dem US-Außenminister Marco Rubio.
Wie ein hoher ehemaliger Kreml-Beamter gegenüber dem "Guardian" berichtet, sei der Spitzendiplomat zwar wohl nicht aus Putins elitärerm Zirkel verbannt worden, habe das Gespräch mit Rubio aber "falsch gehandhabt" und "diplomatisch vermasselt". Laut der Quelle soll der 75-Jährige beim Telefonat stets auf den Maximalforderungen Russlands beharrt und keinerlei Verhandlungsspielraum gezeigt haben, um in Moskau als patriotisch zu wirken.
Damit soll der Spitzendiplomat seinem Chef aber einen Bärendienst erwiesen haben: "Putin wollte das Treffen in Budapest, und es war nicht Lawrows Aufgabe, sich hier einzumischen", so der russische Ex-Beamte. Denn mit den Treffen hätte Putin gleich mehrfach profitieren können: In der Vergangenheit übernahm Donald Trump nach Treffen und Gesprächen mit Putin immer wieder russische Standpunkte und vertrat diese auch gegenüber der Ukraine. Zudem hätte der russische Präsident mit einer Durchführung im EU-Land Ungarn Europa düpiert, gilt doch seit gut zweieinhalb Jahren ein Haftbefehl gegen Wladimir Putin.
Stattdessen soll Lawrow beim Gespräch mit Rubio eine so harte Linie gefahren sein, dass der gegenteilige Effekt eintrat: Die USA teilten zunächst mit, dass das von Trump als so essenziell beschriebene Treffen in naher Zukunft nicht stattfinden wird. Wenig später sanktionierte Washington zwei der größten Ölproduzenten Russlands und übt seither Druck auf andere Länder aus, es ihnen gleichzutun.
Laut dem ehemaligen russischen Spitzendiplomaten Boris Bondarew, der sich nach Beginn der Invasion ins Ausland absetzte, könnte Lawrow aber auch einfach als Putins Sündenbock herhalten: "Putin arbeitet unter anderem gern mit Lawrow, weil dieser genau weiß, dass man nie etwas sagen sollte, was nicht 100 Prozent mit der Position des Präsidenten übereinstimmt", sagt er zum "Guardian".
Die Idee, dass Lawrow im Gegensatz zu Putin keine Verhandlungsbereitschaft zeigte und das vom Präsidenten erhoffte Treffen damit torpedierte, hält er für unrealistisch: "Es gibt keine separate Meinung Lawrows, nur die von Putin." Gut möglich sei aber, dass statt Putin der 75-Jährige nun die Konsequenzen für das gescheiterte Treffen tragen müsse: "Im russischen System kann der Chef nie falschliegen."
Schon vor den aktuellen Spekulationen soll der alternde Lawrow auf dem absteigenden Ast gewesen sein – unter anderem, weil Kirill Dmitrijew, ein enger Freund von Putins Tochter, seit 2024 direkt mit Trumps engsten Vertrauten Gespräche führen soll: Im Februar jenes Jahres soll Lawrow demnach versucht haben, Dmitrijew von den Friedensgesprächen in Riad auszuschließen. Auf Putins Intervention hin habe Dmitrijew aber wieder einen Platz am Verhandlungstisch erhalten. "[Lawrow und Dmitrijew] können sich absolut nicht ausstehen", beschreibt eine Kreml-Quelle die Beziehung der beiden Spitzendiplomaten gegenüber der britischen Zeitung.