Immer mehr Singles lassen sich beim Flirten von KI unterstützen – etwa mit Tipps für Chats oder Dates. Jetzt gehen die Dating-Plattformen selbst einen Schritt weiter: Sie wollen den gesamten Vorgang hin zum "perfekten Partner" ersetzen. Swipen, charmante Nachrichten schreiben, sich überwinden – all das soll bald überflüssig sein.
Das Prinzip ist einfach: Du erstellst ein Profil, die künstliche Intelligenz übernimmt den Rest. Sie sucht den passenden Match, schlägt einen Treffpunkt vor und koordiniert sogar Datum und Uhrzeit des Dates. Was klingt wie Science-Fiction, ist in Kalifornien schon Realität.
Die neue Dating-Plattform Ditto begeistert derzeit Tausende Studierende an der UC Berkeley und der UC San Diego. Ihr Slogan: das "Black Mirror-Dating-Erlebnis" – ein Hinweis auf die gleichnamige Netflix-Serie, in der ein Algorithmus das Liebesleben bestimmt – und so aller Widrigkeiten zum Trotz dafür sorgt, dass zwei Menschen, die füreinander bestimmt sind, zusammenfinden.
In etwa so funktioniert auch Ditto: Die Plattform simuliert Dates mit 1.000 unterschiedlichen Matches. Geht bei einem dieser simulierten Dates etwas schief, lernt die KI und achtet beim nächsten Matchmaking darauf, eine Person auszuwählen, bei der das Risiko klein ist, dass derselbe Stolperstein noch einmal zum Problem wird. Nach 1.000 simulierten Dates, so die Gründer Allen Wang und Eric Liu, ist der perfekte Partner gefunden. Nach eigenen Angaben nutzen schon 10.000 Studierende die App, die rasant wachse.
Diese Plattformen schlagen dir den perfekten Match vor
Ditto ist kein Einzelfall. Weltweit setzen mehrere Plattformen auf KI-gesteuertes Matchmaking:
SciMatch: Diese App geht über Interessen hinaus und analysiert mittels Gesichtserkennung Persönlichkeitsmerkmale. Ziel ist es, tiefere, langfristige Übereinstimmungen herzustellen – und nicht nur Oberflächen-Kompatibilität.
Hily: Hily ("Hey, I Like You") nutzt maschinelles Lernen, um Kommunikation, Interessen und Verhalten der Nutzenden zu analysieren. Die App schlägt nur dann Matches vor, wenn echte inhaltliche Gemeinsamkeiten erkannt werden.
Iris Dating: Iris basiert auf einem ästhetischen Matching-Modell. Die App analysiert, welche Gesichter und Typen dir gefallen – und schlägt dir Personen vor, die deinem Schönheitsideal entsprechen. Gleichzeitig zeigt sie dich nur jenen, die auch dich visuell attraktiv finden.
Das hängt laut KI-Experte Abraham Bernstein vor allem davon ab, was sich überhaupt beobachten lässt. "KI kann grundsätzlich alles gut einschätzen, was messbar ist und eine Regelmäßigkeit hat – zum Beispiel Hobbys, Musikgeschmack oder die Vorstellungen vom idealen Partner", erklärt der Informatikprofessor der Universität Zürich gegenüber "20 Minuten". Solche Daten nutzt sie ähnlich wie bei Produktempfehlungen, um passende Vorschläge zu generieren.
Doch wenn es um emotionale oder charakterliche Übereinstimmung geht, stößt die Technik allenfalls an Grenzen: "Ob sich solche tiefergehenden Aspekte verlässlich erfassen lassen, ist bislang offen – und letztlich eher eine psychologische als eine technische Frage." Sollte es jedoch gelingen, auch diese Merkmale präzise zu beobachten, wäre es durchaus denkbar, dass ein Algorithmus sie mit einbezieht.
Ganz anders sieht das der Psychologe und Paartherapeut Klaus Heer, der seit fünf Jahrzehnten Paare begleitet. Für ihn ist Liebe ein "unfassliches Rätsel", das sich weder durch Algorithmen noch durch vermeintlich wissenschaftliche Matching-Kriterien erklären lässt. "Solche Grundlagen sind Gugus – um nicht zu sagen: Beschiss", sagt Heer deutlich. KI-Plattformen könnten allenfalls Gelegenheiten zum Kennenlernen schaffen, wie jede andere soziale Situation auch. Den perfekten Partner hält er für eine Illusion: "Solche Träume landen immer unsanft auf Boden der Tatsachen."
Zudem warnt Heer davor, dass man durch digitales simuliertes Matching von schlechten Dates wichtige Erfahrungen wie Zurückweisung oder Herzschmerz verpasst. "Schmerz ist vermutlich die einzige Möglichkeit, zu relevanten Erkenntnissen zu kommen." Gerade dieser sei oft der Schlüssel zu persönlichem Wachstum. Der Anfang einer Beziehung sage ohnehin wenig über ihre Zukunft aus: "Jedes Paar hat die gleichen Chancen für eine geglückte Beziehung, egal, wie turbulent oder nüchtern diese gestartet ist."
Laut der "Singles in America"-Studie von Match Group von 2023 glaubt ein Drittel der 5.000 befragten Online-Dater, dass KI romantische Kompatibilität beurteilen kann. Erste Nutzerberichte auf Plattformen wie Ditto bestätigen zumindest, dass die Dates oft angenehm und "besser als erwartet" sind.
Zu den Experten
Abraham Bernstein ist Professor für Informatik an der Universität Zürich. Seine Forschung umfasst das Semantic Web, Knowledge Discovery, erklärbare KI und kollektive Intelligenz. Er promovierte am MIT, lehrte an der NYU und verbindet technische Innovation mit sozialwissenschaftlichen Perspektiven. Er ist Direktor der Digital Society Initiative und Präsident des Forschungsprogramms "Digitale Transformation".
Klaus Heer ist ein renommierter Schweizer Psychologe, Paartherapeut und Autor. Nach seinem Psychologiestudium in Hamburg und Bern promovierte er 1973 und eröffnete 1974 eine Privatpraxis für Paartherapie in Bern. Seine therapeutische Ausbildung umfasst Gestalt-, systemische und lösungsorientierte Ansätze.