Niederösterreich

"Massenlager" – Asylquartier Traiskirchen überfüllt

Die Flüchtlingsunterkunft Traiskirchen ist voll und steht für eine völlig verfehlte Asylpolitik in Österreich. "Heute" machte sich ein Bild vor Ort.

Erich Wessely
Lager in Traiskirchen: Foto vom Innenhof (Archivfoto 13. September 2022).
Lager in Traiskirchen: Foto vom Innenhof (Archivfoto 13. September 2022).
privat

Das Erstaufnahmezentrum in Traiskirchen (Bezirk Baden) ist seit vielen Wochen übervoll, aktuell sind rund 1.800 Bewohner in Traiskirchen untergebracht. "Heute" machte sich in der Otto-Glöckl-Straße 24 in Traiskirchen ein Bild vor Ort, befasste sich tiefergehend mit der Materie, sprach mit Heimbewohnern, mit Polizisten, mit Mitarbeitern des Asylamtes sowie mit dem Traiskirchner Stadtchef und dem zuständigen Ministerium. Der Grundtenor: Die Belastungsgrenze ist erreicht.

Das Innenministerium skizziert auf Anfrage die derzeitige Lage in Traiskirchen und generell in Bundes-Betreuungseinrichtungen am Donnerstag (29.9.2022) wie folgt: "Grundsätzlich ist anzumerken, dass das Grundversorgungssystem an der Belastungsgrenze angekommen ist, das heißt, alle Bundesbetreuungseinrichtungen sind derzeit stark ausgelastet, davon betroffen ist auch der Standort Traiskirchen."

"Hektik, Lärm im Lager"

Auch die Bewohner von Traiskirchen sind nicht hellauf begeistert von der Unterkunft: Die 16-jährige Sara, die alleine von Afghanistan nach Österreich gekommen ist, spricht von schlimmen Zuständen im Asyllager: „Die Situation ist sehr schlecht hier. In unserem Zimmer sind wir zu sechst, immer wieder kommen Familien mit Babys, es gibt viel Hektik und Lärm. Vor Essensausgaben sind immer lange Schlangen. Es sind viel zu viele Leute hier. Die Situation ist noch schlimmer als im Sommer. Immer wieder sieht man wen, der verletzt ist an der Hand oder an den Füßen", erzählt das Mädchen aus Afghanistan, das seit zwei Monaten im Erstaufnahmezentrum untergebracht ist.

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    Das Erstaufnahmezentrum in Traiskirchen.
    Das Erstaufnahmezentrum in Traiskirchen.
    Thomas Lenger

    Der monotone, öde Tagesablauf macht dem künstlerisch äußerst begabten Teenager zu schaffen: "Wir müssen zwischen 7 und 8 Uhr aufstehen, bis 21.30 Uhr muss man wieder im Asyllager sein, sonst kommt man gar nicht mehr hinein. Mittagessen gibt es um 11 Uhr, Abendessen um 17 Uhr.“

    "Darf nicht in die Schule"

    Die junge Künstlerin sprüht vor Energie, ist aber im tristen Alltag gefangen: "Ich würde sehr gerne in die Schule gehen, kann ich aber leider nicht. Ich werde immer nur vertröstet. Sagen, warum ich nicht in die Schule darf, kann man mir nicht", so Sara in fließendem, sehr guten Englisch. Die Nationalitäten hier im Lager seien unterschiedlich. Was ihr die Zukunft bringen wird, weiß sie nicht.

    "Hoffe, dass Familie raus kommt"

    Sulaman Mohamed (24) lebt seit seiner Flucht aus Syrien in St. Pölten: "Meine Familie habe ich seit einem Jahr und fünf Monaten nicht mehr gesehen", erzählt der Syrer. Jetzt kam es endlich zur Zusammenführung vor dem Flüchtlingslager in Traiskirchen. Sulaman Mohamed hofft, dass alles mit den Unterlagen passt und er nach dem Behördenweg in Traiskirchen seine Frau Senab Alahmad (23) und seine beiden Kinder (3 und 4 Jahre alt) mit nach St. Pölten nehmen darf.

    Der 35-jährige Alsrhan steht indes völlig auf verlorenem Posten, möchte gerne seine „Driving Licence“, seinen Führerschein im Scheckkartenformat in einen österreichischen Führerschein umwechseln lassen. Via Handyübersetzung teilt der Syrer mit, dass er mittlerweile verzweifelt sei. Zur Polizei, gleich ums Eck, war er schon gegangen, diese hätte ihn aber weggeschickt. Die richtige Anlaufstelle könnte im Fall des 35-Jährigen wohl eher die Bezirkshauptmannschaft Baden oder die Gemeinde sein. "Heute" weist ihm den Weg zum Rathaus, Alsrhan dankt und macht sich sofort auf den zehnminütigen Weg zum Rathaus.

    "Sind an der Belastungsgrenze" - ein Sprecher aus dem BMI-Ressort

    Die Asylsituation in Österreich ist derzeit äußerst angespannt und die Lage spitzt sich weiter zu. Mit August 2022 waren 56.149 Asylanträge gestellt worden, ein Plus von fast 200 % im Vergleich zum Vorjahr. Auffällig: Es kamen zuletzt neben Afghanen und Syrern vor allem viele Inder und Menschen aus Nordafrika. Hier die "hard facts": Bis Ende August über 56.000 Asylanträge (Zahlen werden derzeit geprüft und Ende September – ein Monat zeitversetzt wie gewohnt - veröffentlicht). Es entziehen sich auch viele Flüchtlinge dem Verfahren – heuer etwa 15.000 (diese reisen dann in andere Länder weiter). Derzeit befinden sich insgesamt mehr als 90.000 Personen in der Grundversorgung, (57.000 Ukrainer), davon sind mehr als 7.100 Personen in Bundesbetreuung und mehr als 83.000 Personen im Zuständigkeitsbereich der Länder untergebracht.

    "Nichts aus 2015 gelernt"

    Ein Wiener Polizist, der viele Kollegen im Grenzeinsatz als Bekannte hat, meint: "Generell hat Österreich und die EU überhaupt nichts aus dem Jahr 2015 gelernt. Vor allem entstehen heuer durch die Asylwelle immense Kosten für den Steuerzahler und das in Zeiten der Teuerung und massiven Inflation." Viele Kollegen würden zudem beklagen, dass sie nur noch mit dem Abarbeiten von Flüchtlingsaufgriffen zu tun hätten und nichts mehr mit herkömmlicher, klassischer Polizeiarbeit.

    Was den Beamten aus der Bundeshauptstadt am meisten stört: "Es kommen derzeit sehr viele Menschen aus Ländern, in denen wir Urlaub machen, wie Indien, Tunesien oder Marokko. Also keine Kriegsgebiete, sonst gäbe es ja eine Reisewarnung. Der Minister predigt zwar immer, dass diese Menschen keine Chance auf Asyl hätten, was auch richtig ist. Aber entweder verkauft uns der Innenminister für blöd oder er weiß es nicht besser. Denn Fakt ist: Fast niemand aus den besagten Ländern bekommt einen positiven Bescheid. Aber: Keines der Herkunftsländer nimmt diese Menschen zurück. Ich erinnere mich an ein Quartal im Vorjahr oder Jahr 2020, als wir in Summe ganze neun Inder zurückschickten."

    Hilferuf aus BFA

    Mitte September hatte ein Mitarbeiter aus dem BFA Alarm bezüglich der Asylsituation im Osten Österreichs geschlagen: "Das BFA (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl) schafft das nicht mehr. Wir haben einfach zu wenig Personal und können kaum welche abschieben." Das Lager Traiskirchen sei nur ein Symbol für eine verfehlte Asylpolitik.

    Traiskirchens Bürgermeister Andreas Babler (SP) ging am Donnerstag mit dem Bund hart ins Gericht: "Es sind derzeit rund 1.800 Menschen im Massenheim. 480 war damals als Höchstgrenze mit Alt-Landeshauptmann Erwin Pröll und der damaligen Innenministerin Maria Fekter vereinbart worden. Wir haben alleine rund 120 schulpflichtige Kinder hier."

    Familienzusammenführung in Traiskirchen: Sulaman, seine Frau Senab und die beiden kleinen Kinder
    Familienzusammenführung in Traiskirchen: Sulaman, seine Frau Senab und die beiden kleinen Kinder
    Thomas Lenger

    Solch ein Massenquartier sei einfach schlecht für alle – für die Traiskirchner Bürger und für die Bewohner sowieso. Er habe schon Innenminister Gerhard Karner (VP) persönlich angerufen, dieser habe ihm eine Lösung zugesagt. "Entweder der Minister kann nicht oder er will nicht", sagt Andreas Babler und wird dabei noch deutlicher: "Ich will hier keine obdachlosen Kinder mehr sehen. Ich würde dieses Problem in fünf Tagen lösen. Man muss endlich viel mehr Bundesquartiere aufsperren, so einfach ist das. Wir brauchen mehr Ankunftszentren, viele Menschen ziehen ja zudem weiter."

    "Wir wollen keine Massenlager! Die Zeit von Innenminister Karner läuft ab" - Traiskirchens Bürgermeister Andreas Babler

    In Richtung Gerhard Karner meint der SP-Politiker: "Die Zeit des Innenministers läuft ab! Diese Asylpolitik richtet enormen Schaden an. Er ist der fünfte oder sechste Innenminister, den ich bis dato erleben durfte." Auch via Twitter hatte Babler erst vor rund zwei Wochen eine Attacke auf VP-Innenminister Gerhard Karner geritten: "Wir wollen kein Massenlager, seit Wochen suchen wir um Lösungen an" - alles dazu hier.

    "Grenzen offen wie Scheunentor"

    Immer wieder - wie nach dem Flüchtlingsdrama von Kittsee mit mehreren Toten - ist das Asylthema zwar wieder kurz in den Schlagzeilen und Köpfen der Menschen, kurz darauf herrscht indes wieder "business as usual". Im Prinzip vergeht derzeit keine Woche, an dem sich nicht ein verzweifelter oder resignierender Beamter an "Heute" wendet: Denn alleine im Burgenland werden an Spitzentagen bis zu 300 Aufgriffe am Tag gezählt, Insider reden sogar von bis zu 400 Aufgriffen pro Tag. "Die Grenzen sind offen wie ein Scheunentor", hatte es im Sommer ein Exekutivbeamter auf den Punkt gebracht.

    Ein burgenländischer Exekutivbeamter hatte im Sommer von der Kapitulation vieler Kollegen berichtet: "Wir haben die Kapazitätsgrenzen erreicht". In einer internen Dienstanweisung wurde Beamten beispielsweise sogar vorgeschrieben, Asylwerber nach 48 Stunden auf freien Fuß zu setzen – wenn innerhalb dieser Frist kein Erstgespräch durchgeführt werden kann. Dem Asylwerber sei aber "nachweislich" eine Ladung mitzugeben - alles dazu hier. Im Grenzort Nickelsdorf herrschte und herrscht daher massive Verunsicherung.

    "Es ist alles unter Kontrolle"

    Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SP), einst selbst Landespolizei-Chef und somit Vollprofi in Sachen Exekutive und Asylströme, hatte von einer politischen Bankrott-Erklärung gesprochen - alles dazu hier. Burgenlands Polizeisprecher Helmut Marban beruhigte jetzt erst wieder trotz der wahnsinnig hohen Zahlen: "Die Polizei hat in der Vergangenheit mit schwierigen Situationen umgehen müssen, daher hat man die Strategien angepasst." Es sei alles unter Kontrolle und Schlepper bekämpfen sei das Ziel Nummer Eins.

    Der niederösterreichische Asyllandesrat Gottfried Waldhäusl (FP) hatte jedoch kürzlich im "Heute"-Interview von der größten Flüchtlingswelle seit der Nachkriegszeit gesprochen: Pro Woche würden derzeit rund 3.000 Menschen nach Österreich kommen. Im Jahr 2015/16 waren es rund 60.000 Asylwerber, heuer würden es laut Schätzung des Landesrates rund 90.000 Menschen werden. Und Waldhäusl sieht einen wesentlichen Unterschied zur Situation im Jahr 2015: "Jetzt sind diese Personen gekommen, um zu bleiben. Die räumen uns in den nächsten Jahren unser Sozialhilfe- und Gesundheitssystem komplett aus." - alles dazu hier.

    "Die räumen unser Sozialhilfe- und Gesundheitssystem aus" - Asyllandesrat Gottfried Waldhäusl im September 2022.

    Innenminister Gerhard Karner (VP) hatte zwar bereits im Frühjahr 2022 eine "Aktion scharf" angekündigt und Schwerpunktkontrollen durchführen lassen. Die Ziele dabei: Die Bekämpfung von Schlepperei, Sozialleistungsmissbrauch und ein "entschlossenes Vorgehen" bei rechtswidrigem Aufenthalt. Der Minister hatte zudem klargestellt, dass ein Großteil der Asylwerber zurück in die Heimat solle und ohnedies aus Urlaubsländern käme - alles dazu hier.

    Bereits 26 Bundes-Asylquartiere

    Ein Sprecher des BMI gab zwar das Erreichen der Belastungsgrenze zu, wirft aber ein: "Wesentlich ist auch zu erwähnen, dass die Gesamtzahl der aktiven Bundesbetreuungseinrichtungen inzwischen auf 26 Einrichtungen erweitert (und somit innerhalb eines Jahres quasi verdoppelt) wurde. Auf Bundesebene findet eine laufende Evaluierung und Maßnahmensetzung im Hinblick auf die Generierung zusätzlicher Standorte zur Unterbringung hilfs- und schutzbedürftiger Fremder statt. Weiters erfolgt im Rahmen des Bund-Länder-Koordinationsrats sowie weiteren Gremien ein dahingehender regelmäßiger Austausch mit den Bundesländern."

    Und: Das Erstaufnahmezentrum Traiskirchen ist laut den Ausschreibungsunterlagen für die Betreuung des Zentrums für bis zu 1.840 Personen vorgesehen.

    Durch die schwankende Zahl an ankommenden Personen sowie laufend durchgeführten Überstellungen in andere Einrichtungen bzw. in die Grundversorgung der Bundesländer schwanke die Anzahl der Bewohnerinnen und Bewohner der einzelnen Einrichtungen, wie eben Traiskirchen, teilweise mehrmals täglich erheblich und beeinflusse damit auch die Quotenerfüllung. "Wir bitten um Verständnis, dass daher keine diesbezüglichen, zur Veröffentlichung bereinigten und aktualisierten Zahlen bekanntgegeben werden können", so ein Sprecher aus dem Innen-Ressort.

    Aufteilungsschlüssel

    Der zur Anwendung gelangende Aufteilungsschlüssel ergäbe sich aus der Grundversorgungsvereinbarung und entspräche einer jährlichen Gesamtbetrachtung unter Bedachtnahme auf das Verhältnis der Wohnbevölkerung in den Bundesländern. Die Grundversorgungsvereinbarung setze Partnerschaftlichkeit voraus und basiere auf der Aufgabenwahrnehmung durch die Vertragspartner (Bund und Länder).