Miedler mit Liverpool-Methode

Mit Klopps Stromtrick und Strichliste zum Wien-Coup

Lucas Miedler lässt sich beim Training Elektroden auf den Kopf setzen – und vertraut einem Intimus von Jürgen Klopp. Auch Strichlisten sind wichtig.
Martin Huber
16.10.2025, 07:06
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Lucas Miedler hatte keinen Trainer. Er fuhr auf eigene Faust durch den Wiener Prater, organisierte sich dort in den Tennisklubs Trainingspartner. Es war das Corona-Jahr 2021. Von Jänner bis September hatte er exakt 3.454 Euro Preisgeld verdient. Dabei war er einer der fünf besten Tennisspieler in Österreich. Auch das Bundesheer als Unterstützter war weggefallen. Vom Härtefonds gab es 1.000 Euro.

„Da stand alles auf der Kippe“
Lucas MiedlerZweifacher Stadthallen-Sieger

"Da stand alles auf der Kippe", sagt Miedler rückblickend zu "Heute".

Der 25-Jährige lebte in einer Keller-Wohnung bei seiner Mama, um sich die Miete zu sparen. "Heute" titelte: "Ich bin arbeitslos, wohne bei Mama im Keller".

"Diese Schlagzeile hat die Mama so richtig gefreut", lächelt Miedler vier Jahre später im "Heute"-Gespräch. Miedler hat gut lachen, seit 2021 ist viel passiert. Er ist Doppel-Spezialist und er ist 2025, im Tennis-Jahr eins nach Grand-Slam-Sieger Dominic Thiem, Österreichs erfolgreichster Tennisprofi.

Hilfe vom Klopp-Intimus

Der 29-jährige Tullner gewann zwei ATP-Turniere, zählt zu den Top 30 der Welt, verdiente heuer 240.000 Euro. Die Prämien vom sensationellen Einzug ins "Davis Cup Final 8" im November in Bologna sind da noch nicht miteingerechnet.

Wenn ab Montag bei den Erste Bank Open in der Stadthalle aufgeschlagen wird, ist Miedler der Österreicher mit den größten Siegchancen. Er greift nach dem Wien-Triple. Zweimal hat der Titelverteidiger am Vogelweidplatz schon triumphiert – so wie in Kitzbühel.

"Heute" weiß: Ein Vertrauensmann von Jürgen Klopp hilft Miedler beim Stadthallen-Coup. "Kloppo" war es, der Niklas Häusler zum Liverpool FC holte. Der Neurowissenschaftler sollte die mentale Stärke von Mohamed Salah und Co. steigern. "Wir können nun die mentalen Fähigkeiten und die Schusspräzision unserer Spieler direkt auf dem Spielfeld gezielt trainieren – auf eine Art und Weise, die uns bisher nicht möglich war", sagte Klopp damals.

Jetzt arbeitet Miedler mit den Methoden von "Neuro11". Im Fußball wird mit diesem Training an Standards und Elfmeter gefeilt. Im Tennis geht es vor allem um den ersten Schlag – Aufschlag und Return, die im Doppel extrem wichtig sind. "Beim Training habe ich Elektroden am Kopf", erzählt Miedler. "Hinter mir steht ein Laptop, der in Echtzeit Hirnströme auswertet und sofort aufzeigt, wenn mein Fokus nicht am Ball ist."

„Ich dachte mir, das kann es jetzt nicht sein“
Lucas MiedlerTennis-Ass

Die Ergebnisse sind verblüffend. Miedler realisiert, dass seine Aufmerksamkeit immer wieder abdriftet. Er beginnt mit Häuslers Hilfe sein Aufschlagritual zu verfeinern. "Ich atme durch, schaue in die Richtung meines Gegners. Ich päpple den Ball dreimal auf. Dann ist dieser Punkt, wo ich vollen Fokus habe."

Die Umsetzung im Match fällt ihm zunächst schwerer als gedacht. Beim nächsten Turnier trifft er im Auftaktspiel sieben erste Aufschläge in Serie nicht ins Feld. "Ich dachte mir, das kann es jetzt nicht sein." Er realisiert, dass er mit dem neuen Ritual in Matches einen Tick länger braucht als im Training. "Ich habe mich emotional gestresst, dass ich rechtzeitig fertig werde. Der Fokus war futsch."

Manager führt Strichlisten

Miedler hat 2025 noch mehr verändert. Kristof Ehringer, ein Freund aus Schulzeiten, wurde Teil seines Teams und begleitet ihn zu Turnieren. Ehringer hat in Oxford studiert, gab seinen gut dotierten Job auf, um die Karriere seines Kumpels zu professionalisieren.

„Die KI wird ein großes Thema im Tennis“
Kristof EhringerManager von Lucas Miedler

Er ist Manager und mehr. Bei Turnieren führt er Strichlisten, zählt wieviele Punkte und Fehler Miedler bei jedem einzelnen Schlag macht. "Die KI wird ein großes Thema im Tennis", ist Ehringer sicher. "Statistiken werden immer wichtiger. Ich weiß, dass einige Spieler einen Teil ihres Preisgeldes an Statistiker zahlen."

„Die Briten spielen nach Statistiken"“
Lucas MiedlerTennis-Ass

Aktuell dominieren die Briten im Doppel. Lloyd Glasspool ist die Nummer eins, mit Julian Cash, Henry Patten, Neal Skupski und Joe Salisbury sind vier weitere Briten in den Top 12. "Das ist eine Hausnummer – kein Zufall", sagt Miedler. "Die Briten spielen nach Statistiken. Sie wissen genau, was der Gegner wann macht. Sie trainieren auch nach dieser Schablone."

Im Frühjahr 2025 spielte Miedler an der Seite von Julian Cash und Luke Johnson Turniere. "Da habe ich vor Matches Einblicke in die Statistiken der Gegner gekriegt. Das hilft schon." Auch er selbst wurde ausgewertet. "Plötzlich steht da, beim Vorhand-Return mache ich so viel Prozent der Punkte, bei der Rückhand so viel."

„Ich bin ein Gefühlsspieler, auch mein Partner ist ein Kreativer“
Lucas MiedlerGewinner von neun ATP-Turnieren

Miedler will kein Schablonen-Spieler sein. "Ich bin ein Gefühlsspieler, auch mein Partner Francisco Cabral ist ein Kreativer." Trotzdem setzt der neunfache ATP-Turniersieger auf Statistiken. "Mir reicht aber die Info: Der Gegner serviert beim Breakball eher in die Mitte."

In Stockholm lief es diese Woche bei der Wien-Generalprobe nicht gut für die heimischen Tennis-Asse. Sebastian Ofner kassierte seine achte Auftaktpleite in Serie, Filip Misolic die fünfte. Miedler ist noch im Turnier. Er gewann mit Partner Cabral die Auftaktpartie gegen Leo Borg, dem Sohn von Björn Borg, und Nikola Slavic 6:1, 6:0.

„Wir merken jeden Tag, dass die Einzelspieler wichtiger sind“
Lucas MiedlerTennis-Ass

"Wir merken natürlich jeden Tag bei den Turnieren, dass die Einzelspieler wichtiger sind. Viele sagen, es ist nur Doppel. Für mich passt es aber sehr gut, wie es ist", sagt der Schützling von Wolfgang Thiem. "Ich habe einen Sprung geschafft, spiele die besten Turniere der Welt, habe vier Titel daheim in Österreich gewonnen. Das sind große Emotionen und darum geht es mir."

Ist er auch deshalb ein Österreich-Spezialist? "Ich denke, der erste Turniersieg mit Alex Erler in Kitzbühel war richtungsweisend. Wir haben uns von den Menschen mitziehen lassen. Das hat mich geprägt, ich habe das lieben gelernt. Du musst der Typ sein, dass dir die Fans taugen. Selbst wenn ich die US Open einmal gewinnen werde, wird die Stimmung nicht so gut sein wie in der Stadthalle."

Die Stadthalle ist für ihn mehr als nur ein Turnier. Es ist eine Rückkehr zu seinen Wurzeln. "Wir sind früher mit dem Zug mit dem Tennisklub hergefahren, um zuzuschauen", erzählt er. "Emotional ist es mein Jahres-Highlight. Einmal hab ich das Kleinfeldturnier in der Halle gewonnen. Im Finale durfte ich dann gegen Thomas Muster spielen."

Heuer steht er in der Stadthalle unter Strom. Nicht nur wegen den Elektroden am Kopf beim Klopp-Training.

{title && {title} } mh, {title && {title} } 16.10.2025, 07:06
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