Wiener Boxer Derouiche

Wie Hermann Maier – Von der Baustelle zum WM-Held

Michael Derouiche holte als erster österreichischer Boxer eine WM-Medaille. Sein Weg dorthin war brutal. "Ich habe viel Schlechtes gesehen."
Martin Huber
24.09.2025, 07:07
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"Ich bin ein K.o.-Schläger", sagt Michael Derouiche zu "Heute". "Ich kann schon auch taktisch boxen, aber am liebsten ist mir das vorzeitige Ende."

Mit nur 22 Jahren boxte sich der Wiener vom Boxclub Bounce bei der Amateur-WM in Liverpool mit Bronze in die Geschichtsbücher. Als erster Österreicher gewann er eine Medaille bei Weltmeisterschaften. "Wenn ich Gold geholt hätte, wäre das keine Überraschung gewesen", sagt er zu "Heute".

Nach nur 32 Kämpfen am WM-Podest

"Ich wusste vor der WM: Da geht was. Eine Medaille hole ich." Es war erst seine dritte große internationale Veranstaltung. Derouiche hatte gerade einmal 32 Kämpfe in den Beinen, als er die ganz große Bühne betrat. "Ich habe viel investiert - drei Monate lang intensives Training, Sparrings mit Europa- und Weltmeistern. Da habe ich realisiert, wie gut ich eigentlich bin."

Marcos Nader, als EU-Meister und IBF-Champion Österreichs bester Boxer der letzten Jahre, ist heute der Boss im Bounce und war Derouiches erster Trainer im Kinderkurs. "Mit 32 Kämpfen ist er ein Küken. Jetzt geht seine Reise erst los. Er muss performen und zeigen, dass er keine Eintagsfliege ist."

„Mich kann nichts stoppen - außer der Punktrichter“
Boxer Michael Derouiche

Derouiche ist nicht zufrieden mit Bronze und sieht Luft nach oben. "Auf Gold hat nicht viel gefehlt. Die Erfahrung geht mir noch ab. Ich habe keine Angst, dass ich eine Eintagsfliege bin. Das war ich nie. Mein Ziel ist ganz klar, Gold zu holen. Mich kann nichts stoppen - außer der Punktrichter."

Boxen sei ein harter Job, sagt Derouiche. "Du musst es wirklich wollen: Ich will es. Du bist ganz allein im Ring und trägst die volle Verantwortung für alles. Verlierst du, tut es weh und liegt es nur an dir. Das macht den Reiz aus. Für mich hat Boxen im Leben nur Vorteile gebracht. Ich lernte mich dadurch selbst kennen."

Derouiche musste viele Hürden am Weg in die Spitze nehmen, schon seine Kindheit war schwierig - und später im Park auch ein Kampf. "Familiär war es sehr gebrochen bei mir", blickt er zurück. "Meine Eltern haben sich früh getrennt. Wenn du dich daheim nicht wohlfühlst, gehst du raus - und kommst in schlechte Kreise."

„Ich sah viel Schlechtes, hatte Glück, dass ich nicht ganz falsch abbog“
Boxer Michael Derouiche

Gruppendruck, falsche Freunde, Gewalt. "Ich hatte Glück, dass ich nicht ganz falsch abgebogen bin. Ich habe viel Schlechtes gesehen. Ich wollte mich distanzieren, aber immer schaffst du das als Junger auch nicht."

Das Bounce in der Enenkelstraße mitten in Wien-Ottakring wurde sein sicherer Hafen. "Ich bin dort aufgewachsen. Ich wollte mich verteidigen können - mit elf, zwölf Jahren, wenn etwas schiefläuft im Park." Der Sport wurde immer wichtiger in seinem Leben. Er gab ihm Halt - und lehrte ihm Disziplin. "Nach der Schule ging es direkt zum Training. Dann ins Bett."

Von der Baustelle zu WM-Bronze

Dass es Derouiche trotz aller Hürden so weit geschafft hat, ist nicht selbstverständlich. Sein Weg war nicht schnurstracks aufs WM-Podest. Ähnlich wie Hermann Maier arbeitete er nach der Schule auf der Baustelle, trainierte trotzdem zweimal am Tag. "Ich bin um vier Uhr aufgestanden, laufen gegangen, dann habe ich trainiert. Um sechs Uhr wurde geduscht, gefrühstückt. Um sieben war ich in der Arbeit. Nach der Arbeit ging es direkt wieder ins Training. Vor 20 Uhr war ich nie daheim", erzählt er.

„Ich litt unter Schlafmangel, mir fielen in der Arbeit die Augen zu“
Boxer Michael Derouiche

"Ich habe alles gemacht - Baustelle, Security, Magenta. Ich litt dann irgendwann unter Schlafmangel, mir fielen in der Arbeit immer wieder die Augen zu."

"Eigentlich ist es ein Teilzeit-Job"

Heute weiß er: "Regeneration ist so wichtig wie Training." 22 Stunden trainiert er pro Woche. "Jeden Wochentag vier Stunden, am Samstag zwei. Eigentlich ist es ein Teilzeit-Job", grinst er. "Nach dem Training heißt es aber regenerieren. Genau darauf zu achten, was du isst. Damit du voll geladen ins nächste Training gehst. Dann wird es zum Vollzeit-Job."

Trotz WM-Bronze erhält Derouiche keine Förderungen. "Ich bekomme immer noch Geld von meinen Eltern. Ohne sie könnte ich das nicht machen. In Österreich gibt es keine echte Unterstützung für Kampfsportler."

WM-Bronze soll jetzt Türen öffnen - und Bares bringen. Nader denkt an die Polizei oder das Bundesheer. "Ich wollte als Kind schon bei der Polizei arbeiten", sagt Derouiche.

Seinen Vater sieht der Halbschwergewichter nicht nur als Förderer, sondern auch als Anker. "Er war immer für mich da. Er hat viel richtig gemacht, mich nie geschlagen, nie wirklich angeschrien. Er war selbst Boxer, im Nationalteam. Ich wollte in seine Fußstapfen treten."

Arbeiter und Ausnahmetalent

Für Trainer und Mentor Nader ist Derouiche Arbeiter und Ausnahmetalent zugleich: "Er ist einer der fleißigsten Trainierer. Wir haben sogenannte Superstars im Klub, die Trainings auslassen. Es ist schön zu sehen, dass der Arbeiter belohnt wird. Sein Kampfstil ist aggressiv und unorthodox. Er hat den Gegnern Respekt eingeflößt. Das hat zum Erfolg geführt und ist spektakulär - auch für Sponsoren."

„Michael ist ein Role-Model für Kinder in dieser Stadt“
Marcos NaderBoss Boxclub Bounce

Nader weiter: "Michael ist ein Role-Model für Kinder in dieser Stadt. Er kommt aus schwierigen Verhältnissen und hat durch den Sport Anschluss gefunden. Eigentlich ist die Geschichte hollywoodreif." Nader sieht in Derouiche viel mehr als nur einen Medaillengewinner: "Mir ist es egal, ob wir einen Weltmeister ausbilden. Wenn wir Kinder von der Straße holen und ihnen Werte vermitteln, ist das ein Sieg. Michael ist ein Vorzeigeprojekt. Er hat sich angepasst, ein Ziel verfolgt, ist sympathisch - und im Ring haut er die Leute nieder."

Was ist seine größte Stärke? "Das Feuer", sagt Derouiche. "Das ist unauslöschbar bei mir. Entweder du hast es oder nicht. Ich habe es."

Bei der WM in Liverpool dachte Derouiche auch an Daniel Nader, seinen verstorbenen Trainer. Im November 2024 starb der Bruder von Marcos Nader mit nur 42 Jahren an der unheilbaren Nervenkrankheit MLS. "Es war ein Schock. Wir haben gemeinsam trainiert und auch gemeinsam gelacht. Es gibt viele Momente im Alltag, wo ich an ihn denken muss."

Sein Blick richtet sich nach vorne, der große Traum ist jetzt Olympia. "Das war schon als Kind mein Ziel." Dass er auf der Straße als WM-Dritter jetzt erkannt wird, nimmt er mit einem Lächeln. "Wien ist nicht so groß. Da kennt man sich."

Michael Derouiche hat sich von der Baustelle ins Rampenlicht geboxt. Mit Feuer in der Faust. Sein Ziel ist klar: Gold. Nicht irgendwann. Bald.

{title && {title} } mh, {title && {title} } Akt. 24.09.2025, 10:16, 24.09.2025, 07:07
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