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Nahtoderfahrung – das erleben wir beim Herzstillstand

Viele Überlebende eines Herzstillstands berichten von Erinnerungen an ihren "Tod". Obwohl das Herz nicht mehr schlägt, bleibt das Gehirn aktiv.

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Patienten, die einen Herzstillstand erlitten und klinisch tot waren, können sich oft an diesen Moment erinnern.
Patienten, die einen Herzstillstand erlitten und klinisch tot waren, können sich oft an diesen Moment erinnern.
Getty Images/iStockphoto

Ein Herzstillstand ist lebensbedrohlich, da das wichtigste Organ versagt. Der Blutfluss im Körper stoppt, die Atmung fällt aus und die Person wird bewusstlos – und gilt schließlich als klinisch tot. Gelingt es, Betroffene mit einer Reanimation zurückzuholen, ist dieser Zustand umkehrbar (siehe Box). Forschende der Grossman School of Medicine an der New York University haben nun untersucht, welche Prozessen sich während eines Herzstillstands im menschlichen Gehirn abspielen.

Ihre im Fachjournal "Resuscitation" veröffentlichte Studie zeigt, dass das Gehirn in diesem Zustand immer noch sehr aktiv ist, auch wenn die Person für klinisch tot erklärt wurde. Obwohl das Herz stillstehe, sei das Bewusstsein aktiver denn je, so die Forschenden. Dies sei der Grund, wieso einige Patienten sich an ihre Todeserfahrung erinnern könnten.

Unterschied: Klinischer und Hirntod
Der klinische Tod bezieht sich auf den Zustand, in dem die lebenserhaltenden Funktionen wie Atmung und Herzschlag vorübergehend aufhören und durch medizinische Maßnahmen wiederhergestellt werden können. Es handelt sich um einen reversiblen Zustand.
Der Hirntod hingegen bezeichnet den endgültigen Zustand, wenn alle Funktionen des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms irreversibel erloschen sind. Dies ist ein irreversibler Zustand und bedeutet den endgültigen Verlust des Lebens.

So erklären die Forschenden die Gehirnaktivitäten

Laut den Autoren der Studie berichten viele Herzinfarkt-Überlebende über ein erhöhtes Bewusstsein und klare, starke Erinnerungen. Dazu gehört die Wahrnehmung der Trennung vom Körper, Beobachtungen aus der Vogelperspektive oder ein detaillierter Filmdurchlauf des Lebens. "Diese Erfahrungen wurden in der Wissenschaft bisher als Halluzinationen, Illusionen oder Träume interpretiert", so Studienleiter und Kardiologe Sam Parnia in der Mitteilung.

Das Team um Parnia hat nun eine andere Hypothese entwickelt. In diesem Zustand würde das Gehirn alle vorhandenen Hemmsysteme oder mentalen Barrieren vollständig ausschalten. Dadurch könnten alle gespeicherten Erinnerungen abgerufen werden, von der frühen Kindheit bis zum Tod – das gesamte Bewusstsein stehe offen. "Wir wissen nicht, welchen evolutionären Nutzen dieses Phänomen hat. Aber es scheint die Menschen auf den Übergang vom Leben zum Tod vorzubereiten", so Parnia.

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    Getty Images/iStockphoto

    So lief die Studie ab

    Die Forschenden haben mit mehreren Spitälern in den USA und England gearbeitet und die Erfahrungen von Herzinfarkt-Überlebenden sowie deren Ärzten dokumentiert und analysiert. Vier von zehn Personen, die einen Herzstillstand überlebten, berichteten, dass sie die Wiederbelebungsmaßnahmen bewusst wahrnahmen, so die Forschenden. Ein Großteil dieser Patientinnen und Patienten sprach auch von Nahtoderfahrungen, die von vielen als fast spirituell und außerkörperlich beschrieben wurden.

    Das Vorhandensein eines Bewusstseins zeigte sich auch bei neurologischen Messungen mit der Elektroenzephalografie (EEG), bei der die Hirnaktivität mit Elektroden gemessen wird. An die 40 Prozent der Untersuchten wiesen bis eine Stunde nach Beginn der Wiederbelebungsmaßnahmen Gehirnaktivitäten auf. Es wurden Gamma-, Delta-, Theta-, Alpha- und Beta-Wellen gemessen, die mit einer höheren geistigen Funktion in Verbindung gebracht werden. Obwohl die Patienten klinisch tot waren.

    Das sind die weiteren Erkenntnisse der Forschenden

    Die Studie sei kein abschließender Beweis, dass diese Leute eine solche geistig klare Todeserfahrung auch wirklich erlebt hätten, so die Forschenden im Bericht. Die Erkenntnis werfe auch Fragen zur Widerstandsfähigkeit des Gehirns bei Sauerstoffmangel auf. Normalerweise sollte das Gehirn nach zehn Minuten ohne Sauerstoff permanent geschädigt sein, doch die neuen Ergebnisse zeigen, dass sich das Gehirn auch nach längeren Zeitspannen wieder erholen kann.

    "Die Studie öffnet eine Tür zur Erforschung dessen, was passiert, wenn ein Mensch stirbt", so Studienleiter Parnia. "In Zukunft könnten uns diese Erkenntnisse sogar Hinweise liefern, wie wir das Gehirn vor Verletzungen schützen oder gar konservieren können, um es später wieder mit dem gesamten Bewusstsein zurück ins Leben zu holen." Das sei für den Forscher der erste Schritt zur Transplantation des Gehirns.

    Die Studie wurde im Fachjournal "Resuscitation" veröffentlicht.