Die Präsidenten der USA und Russland haben am Dienstagnachmittag über zwei Stunden miteinander telefoniert. Im Anschluss an das rund eineinhalbstündige Telefonat Trumps mit Putin hatten das Weiße Haus und der Kreml erklärt, die beiden Präsidenten hätten sich auf eine 30-tägige Aussetzung der russischen Angriffe auf die ukrainische Energieinfrastruktur geeinigt. Nach Angaben aus Moskau erteilte Putin umgehend einen entsprechenden Befehl.
Russlandforscher Alexander Dubowy hat gegenüber "20 Minuten" schriftlich die aktuelle Lage eingeschätzt.
Offenbar hat Putin einer 30-tägigen Angriffspause auf die Energieinfrastruktur zugestimmt. Wie werten Sie das? Ist das ein Teilerfolg für das Gespräch/für Trump?
Das Hauptergebnis des Gespräches besteht in der grundsätzlichen Bereitschaft Putins, einem 30-tägigen gegenseitigen Verzicht auf Angriffe gegen die Energieinfrastruktur zuzustimmen. Dieser Schritt sollte aber nicht als ein Erfolg überbewertet werden. Es ist ein Element von Putins bewährter Verzögerungstaktik: eine Scheinkompromissbereitschaft, die darauf abzielt, Trump von seinem vermeintlichen guten Willen zu überzeugen, ihn stärker in den Verhandlungsprozess einzubinden und den Druck auf Kiew zu erhöhen.
Ein Durchbruch ist es nicht – schließlich wurde zwischen der Ukraine und Russland bereits in jüngerer Vergangenheit über ähnliche Vereinbarungen gesprochen. Sehr gut möglich, dass auch dieser Vorschlag mit der Ukraine im Vorfeld abgesprochen wurde.
Putin hat Trump Berichten zufolge warten lassen. Was sagt das über das (Macht-)Verhältnis der beiden aus?
Trump hält sich für einen erfolgreichen Geschäftsmann und folglich auch für einen gewieften Staatsmann. Tatsächlich gibt es zwischen Wirtschaft und globaler Machtpolitik gewisse Parallelen – beide drehen sich um Ambitionen, Ressourcen und Einfluss. Doch diese Gleichsetzung greift zu kurz. In diesem Irrglauben könnte Trump in Putin seinen Meister finden. Eine bedingungslose Annäherung Washingtons an den Kreml bei gleichzeitiger bewusster Entfremdung von den zentralen Verbündeten in Europa birgt das Risiko, dass Putin den USA Zugeständnisse abringt, die seine Position für zukünftige Aggressionen stärken und die europäische Ordnung in ihren Grundfesten erschüttern.
Mit welchen Ambitionen sind die beiden Gesprächspartner ins Gespräch gegangen? Für wen ist das jetzt ein Erfolg? Wurden die Erwartungen erfüllt?
Nachdem für den Kreml die Aufhebung der internationalen Isolation und eine Verbesserung der bilateralen Beziehungen zu den USA – nicht jedoch ein schnelles Kriegsende – im Vordergrund stehen, ist die Tatsache des Telefonates bereits ein Erfolg für Wladimir Putin. Dabei betrachtet Putin den Ukraine-Krieg als essenzielle Voraussetzung für den Dialog mit Washington. Das Versprechen eines Kriegsendes hält er Trump dabei wie eine sprichwörtliche Karotte vor die Nase, um ihn in Verhandlungen zu halten.
Donald Trump braucht hingegen konkrete Ergebnisse. Diese kann er nach dem heutigen Telefonat nicht wirklich vorweisen. Eine 30-tägige Waffenruhe lehnte Putin faktisch erneut ab. Es bleibt abzuwarten, ob und in welchem Maße Donald Trump Putins Verzögerungstaktik durchschaut. Washingtons Einflussmöglichkeiten, Moskau zu einem Einlenken zu bewegen, sind allerdings begrenzt – insbesondere fehlen kurzfristig wirksame Hebel.
Eine friedliche Lösung des Ukraine-Krieges oder auch nur eine kurzfristige Waffenruhe ist damit nicht in Sicht.
Was bedeutet das lange Telefonat für die Diplomatie zwischen den beiden Ländern?
Ungeachtet großer Erwartungen und schlimmer Befürchtungen brachte das Telefonat keinen Durchbruch. Erneut wurde deutlich, dass Moskau in den zentralen Fragen nicht kompromissbereit ist. Abseits diplomatischer Floskeln bleibt nicht allzu viel an Substanz übrig. Die bilateralen Beziehungen scheinen sich bis auf Rhetorik und Symbolpolitik nicht vom Fleck zu bewegen. Es ist schon ganz bezeichnend, dass Trump in die Wahlen mit der Ankündigung, den Krieg innerhalb von 24 Stunden beenden zu wollen, ging, und rund zwei Monate nach seinem Amtsantritt lediglich ein Eishockey-Spiel zwischen NHL und KHL ankündigen kann. Und selbst das ist noch nicht einmal sicher.
Wie dürfte die Ukraine das Gespräch und den bisher bekannten Ausgang einschätzen?
Des Kremls mögliche Zustimmung zu einem 30-tägigen gegenseitigen Verzicht auf Angriffe gegen die Energieinfrastruktur ist ein bedeutender Erfolg für die Ukraine und bestätigt die Strategie der Vergeltungsangriffe. Ohne die Hunderten Angriffe auf russische Raffinerien wäre dies nicht denkbar gewesen. Die 30-tägige Waffenruhe lehnte Putin jedoch faktisch erneut ab.
In den vergangenen Tagen forderten mehrere hochrangige Vertreter des russischen Regimes, dass im Falle einer Waffenruhe sämtliche Waffenlieferungen sowie Geheimdienstinformationen an die Ukraine ausbleiben müssen. Es ist anzunehmen, dass auch diese Punkte heute diskutiert und von Trump abgelehnt wurden.
Trotz der für die Ukraine und Europa verstörend freundlichen Rhetorik des Weißen Hauses gegenüber dem Kreml bleiben die USA in den entscheidenden Fragen offenbar standhaft. Angesichts der Horrorerwartungen der vergangenen Tage lässt das Gesprächsergebnis für die Ukraine Raum für Hoffnung. Die Gretchenfrage bleibt freilich die US-Bereitschaft, die Ukraine mittel- bis langfristig mit Waffenlieferungen und Geheimdienstinformationen zu unterstützen.