Faktencheck

Schädliche Impfungen – Das steht wirklich im Papier

Eine "Studie" soll belegen, dass Impfungen Autismus verursachen. Doch sie ist methodisch mangelhaft – und stammt aus einem Blog von Impfgegnern.
15.03.2025, 16:29

In den sozialen Medien kursiert eine angebliche Studie, laut der bei geimpften Kindern signifikant häufiger neurologische Entwicklungsstörungen und Autismus diagnostiziert werden als bei nicht geimpften Kindern. Der neue US-Gesundheitsminister unter Donald Trump, Robert F. Kennedy Jr., zitierte die Untersuchung in seiner Senatsanhörung (etwa ab 02:38:42), Plattformen griffen das in einem Artikel auf.

Die Bewertung

Die angebliche Studie ist keine. Sie enthält mehrere methodische Mängel. Die von den Autoren gezogenen Schlüsse sind nicht zulässig – so wie auch bei früheren Arbeiten, die von wissenschaftlichen Fachzeitschriften zurückgezogen wurden. Die Plattform, auf der die aktuelle "Studie" veröffentlicht wurde, ist auch kein wissenschaftliches Journal, sondern ein Word-Press-Blog. Der Chefredaktor und andere Vorstandsmitglieder sind bekannte Verbreiter von Falschinformationen zu Impfstoffen. Die Studie wurde von zwei Institutionen finanziert, die mit Impfgegnern in Verbindung stehen. Zudem zeigen mittlerweile zahlreiche Studien, dass Impfungen nicht zu Autismus führen.

US-Gesundheitsminister Robert F. Kennedy Jr. schenkt Arbeit Glauben

Es war der neue US-Gesundheitsminister Robert F. Kennedy Jr., der der Studie große Reichweite bescherte. Als es in seiner Anhörung vor dem Senat um Impfstoffe und Autismus ging und der republikanische Senator Bill Cassidy ihn mit einer Metastudie konfrontierte, laut der Masernimpfungen keinen Autismus verursachen, erklärte Kennedy: "Letzte Woche erschien eine Studie mit 47.000 Neunjährigen im Medicaid-System in Florida, die von einem Wissenschaftler namens Mawson aus Louisiana durchgeführt wurde und das Gegenteil beweist." Doch wer sie genau anschaut, erkennt: Das tut sie nicht.

Die "Studie" wurde in keinem Fachjournal veröffentlicht, sondern auf einem Blog

Bei "Science, Public Health Policy and Law", der Website, auf der die Arbeit veröffentlicht wurde und die von den Verantwortlichen als Journal verkauft wird, handelt es sich um kein Fachjournal, sondern um einen WordPress-Blog, wie der Blick in den Quelltext der Website zeigt (siehe Bild). Der Blog ist auch nicht bei PubMed, einer Datenbank für wissenschaftliche Publikationen, die von der National Library of Medicine in den USA betrieben wird, zu finden. Auch nicht bei anderen Datenbanken.

Das "WP" im Quelltext weist auf Wordpress hin. (Im Bild: Ausschnitt des Blog-Quelltextes)
Screenshot publichealthpolicyjournal.com

Hinter dem Blog stehen Impfgegner und Verbreiter von Falschinformationen

Der Chefredaktor der Plattform ist James Lyons-Weiler, der in den vergangenen Jahren etwa mit Falschbehauptungen zum Coronavirus und Impfungen auffiel. Er gilt als Impfgegner.

Im redaktionellen Beirat des Blogs finden sich weitere Personen aus der Impfskeptiker- und Impfgegnerszene, die vor allem im Zuge der Covid-Pandemie mit unbelegten und falschen Behauptungen auffielen: etwa Sucharit Bhakdi, Dolores Cahill und Peter McCullough. So objektiv, wie sich der Blog darstellt, ist er nicht.

Keine unabhängige Finanzierung

"Diese Forschung wurde vom National Vaccine Information Center (NVIC) finanziert. Die Kosten für die Veröffentlichung dieser Studie wurden teilweise vom NVIC und von IPAK übernommen", heißt es im Abschnitt "Danksagungen" (Acknowledgements). Bei Ersterem handelt es sich um eine Organisation von Impfgegnern, die 1982 unter dem Namen Dissatisfied Parents Together (DPT, siehe Box) gegründet wurde. IPAK ist die Abkürzung für Institute for Pure and Applied Knowledge. Dessen CEO und Präsident ist Lyons-Weiler, der Chefredaktor des Blogs, der die aktuelle Studie veröffentlicht hat. Der Artikel wurde von derselben Organisation veröffentlicht, die die Studie finanziert hat.

DTP: Abkürzung weist Impfbezug auf

Dass der ursprüngliche Name zufällig gewählt wurde, ist unwahrscheinlich. Schließlich stehen die Anfangsbuchstaben DPT auch für eine Impfung: die gegen Diphtherie (D), Starrkrampf (T) und Keuchhusten (P), abgekürzt DPT oder DTP. Und genau diese hatten die Kinder der Gründer der Organisation erhalten und daraufhin gesundheitliche Probleme bekommen, die aus Sicht der Eltern auf die Impfung zurückzuführen waren. Ein kausaler Zusammenhang konnte jedoch nicht objektiv nachgewiesen werden.

Autoren sind keine Unbekannten

Die Autoren der Studie, Anthony R. Mawson und Binu Jacob, sind für ihre Studien mit impfkritischem Ausgang bekannt. Auch dafür, dass diese schon mehrfach von Fachjournalen zurückgezogen wurden, so 2016 vom Fachjournal "Frontiers of Public Health" und 2017 vom "Journal of Translational Science".

Obwohl sich die Titel der beiden Arbeiten änderten, waren die Zusammenfassungen nahezu identisch, schreibt Retractionwatch.com: "Beide Studien befragten die Eltern von 666 zu Hause unterrichteten Kindern, von denen 39 Prozent nicht geimpft waren." In beiden waren die Autoren zu dem Schluss gekommen, dass Impfungen das Risiko neurologischer Entwicklungsstörungen erhöhen, insbesondere bei Frühgeburten. Der Artikel wurde wegen fehlerhafter Methoden, Schlussfolgerungen und Autorenschaft scharf kritisiert – und darum auch zurückgezogen.

Studie hat "viele schwere methodologische Mängel"

Auch die aktuelle Studie selbst ist aus verschiedenen Gründen kritisch zu betrachten. So werteten die Autoren Florida-Medicaid-Abrechnungsdaten von 47’155 neunjährigen Kindern aus. Florida Medicaid ist eine Krankenversicherung für Familien und Einzelpersonen mit geringem Einkommen in Florida.

So gingen die Autoren vor

Mawson und Jacob werteten Kinder dann als geimpft, wenn in ihren Dossiers ein oder mehrere Impfcodes auftauchten, die mit einem Arztbesuch in Verbindung standen. War das nicht der Fall, galten sie als ungeimpft. Die beiden schauten außerdem, ob sich in den Abrechnungsunterlagen auch eine medizinische Kennzahl für Autismus oder eine neurologische Entwicklungsstörung fand. Solche Kennzahlen werden dafür verwendet, um medizinische Interventionen wie eine Behandlung oder eine Diagnose mit dem Versicherer zu berechnen. Bei der Arbeit handelt es sich somit um eine sogenannte Beobachtungsstudie. Dabei werden Muster erkannt. Ob die Beobachtungen kausal zusammenhängen, kann eine solche Studie jedoch nicht sagen.

Problem 1: Offen, ob als ungeimpft gewertete Kinder wirklich ungeimpft waren

Das Vorgehen der Autoren ist problematisch. Denn nur weil in den Medicaid-Daten keine Abrechnungscodes für Impfstoffe erscheinen, heißt das nicht, dass die Kinder tatsächlich ungeimpft waren. Angaben dazu, ob die Kinder über andere Programme wie Vaccines for Children, bei anderen Anbietern oder in anderen Bundesstaaten geimpft wurden, kommen in den Abrechnungsdaten von Florida-Medicaid nicht vor. Der tatsächliche Impfstatus der "ungeimpften" Kinder ist damit nicht bekannt.

Dass das die Aussagekraft ihrer Arbeit einschränkt, wissen auch Mawson und Jacob: Sie nennen die "Validierung der Impfaufnahme" unter dem Punkt "Einschränkungen der Studie" (Limitations of the Study), und auch, dass "Medicaid-Abrechnungsansprüche als Forschungsinstrument" genutzt wurden.

"Da es sich bei den Anspruchsdaten nicht um Krankenakten handelt, können Kodierungsfehler auftreten, die dazu führen, dass einige Kinder hinsichtlich der Diagnose falsch klassifiziert werden" – die Autoren weisen explizit auf das Problem hin.
Screenshot publichealthpolicyjournal.com

Problem 2: Wichtige Faktoren wurden aussen vor gelassen

Mawson und Jacob ignorieren auch sogenannte Störvariabeln: etwa die Ethnie und das Alter der Eltern, sozioökonomische Faktoren, Umwelteinflüsse oder andere als die untersuchten gesundheitliche Probleme. "Ohne Berücksichtigung dieser Faktoren sind alle wahrgenommenen Zusammenhänge im Wesentlichen bedeutungslos", schreibt Bertha Hidalgo, ausserordentliche Professorin für Epidemiologie an der School for Public Health an der University of Alabama in Birmingham im US-Bundesstaat Alabama.

Problem 3: Verzerrte Betrachtung

Die Autoren lassen den Umstand außer Acht, dass "eine Familie, die ihr Kind nicht impfen lassen möchte, mit diesem Kind auch sehr wahrscheinlich weniger häufig zum Arzt gehen wird, um dort eine neurologische Entwicklungsverzögerung feststellen und diagnostizieren zu lassen", so Sylvia Kerschbaum-Gruber, Molekularbiologin an der Med-Uni Wien, auf Instagram. Auch das ist eine bekannte Störvariable, auf die Mawson und Jacob jedoch nicht eingehen.

Problem 4: Zeitpunkte nicht beachtet

Ein weiteres Problem ist, dass die Autoren nur das Auftauchen von Codes und Kennziffern berücksichtigten, nicht aber die Zeitpunkte. Wie Jeffrey S. Morris, Leiter der Abteilung für Biostatistik an der Perelman School of Medicine der University of Pennsylvania, zu Factcheck.org (hier archiviert) sagte, haben die Autoren "nicht einmal überprüft, ob die Diagnose der neurologischen Entwicklungsstörungen vor oder nach der ersten Impfaufzeichnung erfolgte."

Problem 5: Studien, die keinen Zusammenhang belegen, werden ignoriert

Morris nennt noch ein weiteres Problem: "Dass die Autoren sämtliche aktuelle Literatur ignorieren, die ihrer Hypothese widerspricht, ist ein weiterer schwerwiegender Fehler", sagte er. Dass in den letzten Jahren tatsächlich mehrere Studien keinen Zusammenhang zwischen Impfungen und Autismus fanden, zeigt dieser Post von Molekularbiologin Kerschbaum-Gruber:

Als weiteren schwerwiegenden Fehler der Autoren bezeichnet Morris "das Zitieren eigener früherer Arbeiten, die zurückgezogen wurden." Laut ihm weist die Studie von Mawson und Jacob "so viele schwerwiegende methodologische Mängel auf, dass sie eindeutig kein legitimes Peer-Review hätte bestehen dürfen."

Peer-Review? So läuft es in der Wissenschaft

Um neue Erkenntnisse unters Volk zu bringen, publizieren Forschende ihre Studien in Fachzeitschriften (Journals). Dafür arbeiten sie zunächst ein Manuskript aus, das sie der Fachzeitschrift vorlegen. Nimmt diese den Entwurf an, findet die Begutachtung, das sogenannte Peer-Review, statt. Das heißt: In der Regel anonyme und unabhängige Fachkollegen begutachten die Arbeit, kritisieren und machen Anmerkungen. Dies dient der Qualitätssicherung. Dann wird die Arbeit an die Autoren zurückgesandt, welche sie überarbeiten. Dieses Vorgehen kann sich einige Male wiederholen. Abschließend wird die Arbeit im Journal publiziert. Bevor dieser Prozess abgeschlossen ist, werden Studien in sogenannten Preprints veröffentlicht.

Der Glaube, die Masern-Impfung führe zu Autismus, ist alt

Die Falschannahme geht auf eine 1998 im Fachjournal "The Lancet" veröffentlichten Studie zurück. Diese wurde später jedoch zurückgezogen, weil ihr Autor, Andrew Wakefield, Interessenkonflikte nicht deklariert und Beweise manipuliert hatte. Die Studienergebnisse wurden schlussendlich als "grundfalsch" disqualifiziert und Wakefield der arglistigen Täuschung bezichtigt. Die britische Ärztekammer sprach gegen ihn sogar ein Berufsverbot aus.

Fazit

Die angebliche Studie, die einen Zusammenhang zwischen Impfungen und neurologischen Entwicklungsstörungen bzw. Autismus behauptet, weist gravierende methodische Mängel auf und ist nicht wissenschaftlich fundiert. Sie wurde nicht in einem Fachjournal veröffentlicht, sondern auf einem Blog mit Verbindungen zur Impfgegnerszene. Die Autoren sind bereits für fragwürdige und zurückgezogene Studien bekannt, und die Finanzierung stammt aus impfkritischen Kreisen. Zudem ignoriert die Arbeit wissenschaftliche Standards, relevante Störfaktoren und bestehende Forschungsergebnisse, laut denen kein Zusammenhang zwischen Impfungen und Autismus besteht.

{title && {title} } red,20 Minuten, {title && {title} } 15.03.2025, 16:29
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