Barbara Schett bittet "Heute" zum Interview in der Wiener Stadthalle als der letzte Matchball an diesem Turniertag schon geschlagen ist. Die 13-fache Turniersiegerin auf der WTA-Tour hat dafür extra eine Stunde in den Katakomben gewartet. "Was ich zusage, halte ich auch ein", stellt sie klar.
Die Tirolerin schaffte es als Aktive bis auf Platz sieben der Tennis-Weltrangliste. Als Expertin spielt sie heute in der Top-Liga. Mit dem siebenfachen Grand-Slam-Sieger Mats Wilander bildet sie bei Eurosport ein beliebtes Analyse-Doppel. "Mats ist eigentlich schüchtern. Vor der Kamera redet er aber wie ein Wasserfall. Ich bringe die Emotionen rein, er ist der Analytiker. Da sage ich dann schon mal: ,Jetzt reicht's bitte. Da kommt ja keiner mehr mit.'"
Bei den "Erste Bank Open" in Wien moderiert die 49-Jährige für ServusTV. Auch heute beim ersten Aufschlag von Tennis-Superstar Jannik Sinner.
"Heute": Sie reisen mit dem Tennis-Zirkus rund um die Welt, kennen die Topstars auch, wenn die Kamera aus ist. Wie ist Jannik Sinner wirklich?
Barbara Schett: "Sehr konträr. Am Platz ist er der Killer mit der Vorhandpeitsche. Abseits des Platzes ist er anders: schüchterner, sehr geerdet, normal."
Ein Beispiel bitte.
"Es war hier in Wien, noch vor seinem ersten Grand-Slam-Titel – also 2023. Er saß bei uns im ServusTV- Studio und hat uns bei der Arbeit zugeschaut. Ich sagte dann: ,Jannik, kannst du mir bitte versprechen, dass du so bodenständig wie jetzt bleibst, wenn du große Titel holst?' Er hat mit ruhiger Stimme geantwortet: 'Ja, das kann ich dir versprechen.' Bis jetzt ist es so und das imponiert mir. Ich habe es oft erlebt, dass der Erfolg und die Millionen am Konto Menschen verändern. Für mich gibt es nichts Schlimmeres."
Sinner verdient heuer mit Preis- und Sponsorengeldern 100 Millionen Euro. Da ist es naheliegend, dass er sich verändert hat.
"Sein Leben hat sich total geändert. Er kann sich jetzt nicht mehr frei bewegen. Speziell in Italien, wo er der populärste Sportler ist. Nach Südtirol kommen die Leute, um zu schauen, wo die Großeltern und Eltern wohnen. Das ist natürlich schwierig. Jannik ist heute zurückhaltender in seinen Aussagen."
Was redet Ihr, wenn die Kamera aus ist?
"Das ärgste Tirolerisch – er Südtirolerisch, ich Nordtirolerisch. Ich frage ihn nie unangenehme Sachen, wenn die Kamera nicht läuft. Mir ist wichtig, eine gewisse Distanz zu wahren. Wir reden über die Berge, das Essen oder über das Törggelen in Südtirol."
„Der wichtigste Rat ist: Umgib dich mit den richtigen Leuten“Barbara SchettEx-Nummer 7 der Tennis-Welt
Sie haben ihr gesamtes Leben im Tennis-Zirkus verbracht. Mit den gemachten Erfahrungen: Was würden Sie heute der 17-jährigen Babsi Schett raten?
"Ich würde vieles anders machen: beim Trainer, beim Training oder bei der Ernährung. Aber das ist ganz normal. Federer oder Nadal würden auch vieles anders machen. Der wichtigste Rat ist: Umgib dich mit den richtigen Leuten. Das ist eine Kunst. Der zweite Rat ist: Spiele länger als bis 28 Jahre. Mir ist der Spaß genommen worden, deshalb habe ich so früh aufgehört."
Wie wurde Ihnen der Spaß genommen?
"Das war diese Zeit der Tränen bei mir. Mein Freund Thomas Prerovsky war damals mein Trainer. Ich habe mit ihm am Platz meine größten Erfolge gefeiert. Aber es ist der Spaß verloren gegangen durch die vielen Konfrontationen. Das schlug sich aufs Gemüt. Ich war dann müde im Kopf, das Karriereende war für mich eine Befreiung. Ich habe keine Lust mehr gehabt. Diese Lust ist mir zu einem gewissen Teil genommen worden. Heute würde ich mich mit anderen Menschen umgeben – mit positiveren."
Sie leben heute in Australien, sind mit dem Ex-Tennisprofi Joshua Eagle verheiratet. In Noosa war Thomas Muster einmal ihr Nachbar.
"Ja, mir wurde in Australien klarer, dass wir in Österreich schon gerne raunzen. Es ist viel negativ behaftet. Mein Mann ist extrem positiv. Da gibt es nie ein negatives Wort, daran habe ich mich erst gewöhnen müssen. Aber es ist total schön. Wenn etwas schlecht ist, musst du es regelrecht einfordern. Ich bin heute ein positiver Mensch, am Tennisplatz war ich das nicht. Durch meinen Mann habe ich realisiert, dass es andere Methoden gibt, mit Menschen zu arbeiten. Nicht nur Schreierei und so. Es ist schwierig, aus diesem System auszubrechen."
Wo ist heute Ihre Heimat?
"Heimat ist für mich, wo meine Familie ist. Heimat ist aber auch Tirol und Innsbruck. Meine Eltern leben noch und ich bin irrsinnig gerne dort. Mein Zuhause ist Australien, Noosa, mit meinen Jungs, die meine Familie sind. Aber die Heimat wird immer Österreich und Tirol bleiben. Ich bin jetzt bis Ende November in Österreich, da hole ich mir meine Dosis. Die brauche ich. Unsere Regel in der Familie ist, dass wir aber nie länger als sechs Wochen getrennt sind."
Wen bewundern Sie im Tennis?
"Novak Djokovic, wie er sich immer wieder neu motivieren kann. In meiner Tennis-Zeit war man mit 30 Jahren alt, er verschiebt diese Grenzen. Dann natürlich Federer und Nadal: Bei Federer habe ich immer das Gefühl, er will dem Sport etwas zurückgeben. Er nimmt sich heute noch immer so viel Zeit für jeden. Und dann natürlich Billie Jean King: Sie hat den Weg geebnet, dass Frauen im Tennis Geld verdienen können."
Was trauen Sie Österreichs Junioren-Grand-Slam-Siegerin Lilli Tagger zu?
"Ich glaube, es ist gut, dass Lilli nicht in Österreich trainiert. In Italien passiert alles in Ruhe. Sie ist abgeschottet, kann sogar bei Sinner nachfragen, wie es geht. Ehrgeiz, Leidenschaft und Disziplin – das ist alles da. Ich glaube, dass sie in den nächsten zwei Jahren Top 100 ist und es dann noch steil nach oben geht. Aber es kann vieles passieren – wie eine Verletzung. Eines fällt mir aber auf …"
Was genau?
"Lilli befasst sich extrem intensiv mit Tennis, wie das in dem Alter nicht oft vorkommt. Sie überlegt sich, wie sie besser wird. Oft macht man einfach, was der Trainer sagt. Sie ist analytisch unterwegs und hat ein perfektes Team. Trotzdem muss sie sich erst im Erwachsenentennis beweisen."
Die letzte Frage gehört Sinner: Finden Sie auch, dass viele Fans im Duell der Superstars in diesem Jahr zu Alcaraz geswitcht sind?
"Ja. Ich finde, das ist okay. Alcaraz lacht am Platz, bei ihm schaut halt alles noch kraftvoller und spektakulärer aus. Sinner ist introvertierter und zeigt weniger Emotionen. Ich finde aber nicht, dass die Fans jetzt gegen ihn sind. Wer beliebter ist, das wird noch öfter wechseln und Thema bleiben. Im Tennis gibt es so viele, die mit allen Wassern gewaschen sind. Und dann sind die Besten Sinner und Alcaraz komplett normal – das beeindruckt mich am meisten. Ihr Tennis ist unfassbar. Noch mehr fasziniert mich, wie sie ihre Gedanken am Platz kontrollieren können. Darum sind sie so gut."