Wenige Tage vor dem Start der Weltklimakonferenz im brasilianischen Belém schlägt das UN-Umweltprogramm (UNEP) Alarm: Die Anstrengungen beim Klimaschutz reichen bei weitem nicht aus. Selbst wenn alle bisherigen Zusagen eingehalten werden, steuert die Erde laut dem neuen Emissions Gap Report bis 2100 auf eine gefährliche Erwärmung von 2,3 bis 2,5 Grad zu.
Der Bericht wurde am Dienstag veröffentlicht und erhöht jetzt den Druck auf die Verhandler in Belém. Laut UNEP hapert es vor allem bei der Umsetzung der eigenen Klimaziele. In Wahrheit droht die Erde sogar auf eine Erwärmung um 2,8 Grad bis 2100 zuzusteuern – und nicht "nur" auf 2,3 bis 2,5 Grad.
Im Pariser Klimaabkommen von 2015 wurde vereinbart, die globale Erwärmung möglichst auf 1,5 Grad im Vergleich zur Zeit vor der Industrialisierung zu begrenzen. Die Klimaforschung ist sich einig: Wird es wärmer, drohen immer öfter und heftiger Stürme, längere Trockenperioden und andere Katastrophen.
Nach zahlreichen neuen Temperaturrekorden zeichnet sich ab, dass die 1,5-Grad-Grenze in den kommenden Jahren dauerhaft überschritten wird. Bei den internationalen Klimaverhandlungen geht es jetzt darum, zumindest das Ausmaß dieses Überschreitens so gut es geht zu begrenzen.
Vor allem die größten Verursacher müssten ihre Treibhausgas-Emissionen rascher und stärker senken als bisher zugesagt. Der Aufforderung, die eigenen Klimaziele zu verschärfen, sind bis zum Stichtag Ende September aber nur knapp 60 von über 190 Staaten nachgekommen, die das Pariser Abkommen unterschrieben haben.
"Der Ehrgeiz und die Maßnahmen reichen nirgends auch nur annähernd an den global benötigten Umfang heran", kritisierte Klima-Expertin Anne Olhoff, die maßgeblich am UNEP-Bericht mitgearbeitet hat, gegenüber der Nachrichtenagentur AFP. Laut Experten sind damit noch mehr und heftigere Extremwetter wie Stürme, Dürren und Überschwemmungen zu erwarten.
Zusätzlich drohen sogenannte Klima-Kipppunkte. Wird diese Grenze überschritten, kann der Klimawandel noch schneller voranschreiten. Durch die bisherige Erwärmung ist die Erde schon jetzt zu warm für das dauerhafte Überleben der tropischen Korallenriffe. Wird die Erwärmung nicht klar unter zwei Grad gehalten, drohen schwere und bleibende Schäden für die Eisschilde an den Polen und den Amazonas-Regenwald.
Trotz aller Warnungen steigen die weltweiten Treibhausgas-Emissionen weiter. Im Jahr 2024 gab es laut UN-Bericht sogar einen deutlichen Anstieg um 2,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Hauptverantwortlich dafür war Indien, gefolgt von China, Russland und Indonesien. Die 20 führenden Industrie- und Schwellenländer (G20) waren für drei Viertel der Emissionen verantwortlich. Von den sechs größten Emittenten hat 2024 nur die EU ihren Ausstoß gesenkt.
Am Donnerstag und Freitag beraten in Belém die Staats- und Regierungschefs, darunter auch Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU), über die Klimakrise. Die eigentliche UN-Klimakonferenz (COP30) startet am Montag in der Millionenstadt im Amazonas-Gebiet, zuvor berieten die 27 Umweltminister in Brüssel über das Klimaziel für 2040 – und ob sie dem ambitionierten Vorschlag der EU-Kommission folgen, den Treibhausgasausstoß um satte 90 Prozent gegenüber 1990 zu senken.
Klimaökonomin Sigrid Stagl von der Wirtschaftsuniversität Wien analysierte die Geschehnisse am späten Dienstagabend in der "ZIB2" bei ORF-Moderator Armin Wolf. Es gebe ein von der EU vereinbartes Klimaziel, nun müssten aber die Nationalstaaten zustimmen, so Stagl. "Es gibt das Ziel, aber um es wirklich in Brasilien auf den Tisch legen zu können", brauche es eine Behandlung der Staaten. Dass die Ziele unrealistisch seien, sei "eine Fehleinschätzung", hieß es. "Wenn wir klimaneutral werden, dann werden wir eher mit erneuerbaren Energiequellen wirtschaften", so Stagl.
Diese Quellen würden geringere Kosten verursachen und die Kreislaufwirtschaft ankurbeln, so die Expertin – Kosten sowohl für die Energiegewinnung als auch die Folgekosten der Klimakrise. Zertifikate außerhalb der EU könnten als "Entwicklungshilfe" verstanden werden, so Stagl, ein Anrechnen auf ländereigene Maßnahmen unterstütze sie aber nicht: "Das ist so, wie wenn man jemanden dafür bezahlt, dass er mir meine Hausaufgaben macht." Und: "Früher oder später kommt aber die Schularbeit. Und da muss ich dann zeigen, was ich kann."