Der Internationale Gerichtshof (IGH) hat am Mittwoch ein brisantes Gutachten veröffentlicht, das die Länder der Welt beim Klimaschutz in die Pflicht nimmt. Das oberste UN-Gericht hat den Klimawandel als "existenzielle Bedrohung" für die Menschen und damit auch für die Menschenrechte eingestuft.
Staaten sind demnach völkerrechtlich verpflichtet, die Erderwärmung zu bekämpfen und für Klimaschäden aufzukommen, die sie verursacht haben, etwa durch Entschädigungszahlungen an betroffene Länder.
Das 140 Seiten starke IGH-Gutachten geht auf einen Vorstoß der Regierung der Republik Vanuatu zurück. Der etwa 1800 Kilometer östlich von Australien im Pazifik gelegene Inselstaat ist von den Folgen des menschenverursachten Klimawandels besonders stark betroffen.
Obwohl das Gutachten des IGH nicht rechtsverbindlich ist, wird es dennoch internationale Folgen haben: "Es ist Wasser auf die Mühlen all jener, die im Rahmen von strategischer Prozessführung Menschenrechte einklagen und Menschenrechte gegen den Klimawandel und seine Auswirkungen in Stellung bringen möchten", erklärt der Völkerrechtler Michael Lysander Fremuth am Donnerstag im Ö1-Morgenjournal.
Der wissenschaftlicher Direktor am Ludwig Boltzmann Institut für Grund- und Menschenrechte (LBI-GMR) in Wien ordnet im Radio-Interview die Signifikanz des Gutachtens im juristischen Kampf gegen die Klimakrise, aber auch die großen Probleme damit ein.
"Das entscheidende Problem ist, dass es eine Einzelfallbeantwortung braucht, welche konkreten Verantwortlichkeiten die Staaten für den Klimawandel und seine negativen Folgen, die Schäden in anderen Staaten, haben", so Fremuth. Dabei stoße man schnell an ein "Kernproblem im Völkerrecht": Staaten können nicht ohne Weiteres geklagt werden. Diese müssen nämlich einem möglichen Verfahren gegen sich selbst erst zustimmen. Dass das passiert, sei "nicht ausgesprochen wahrscheinlich".
"Der IGH ist als Hauptrechtssprechungsorgan der Vereinten Nationen schon gewissermaßen der Weltgerichtshof. Auch China und die USA erkennen ihn an. Sie erkennen halt nicht immer seine Zuständigkeit an. Das macht es schwierig."
Im Falle von China komme allerdings eine weitere Besonderheit hinzu. Denn obwohl es einen enormen wirtschaftlichen Aufschwung erfahren hat und im Jahr 2024 für 34 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich war, gilt es im Völkerrecht immer noch als Entwicklungsland - "weil es sich selbst so bezeichnet." Und damit hat China nur reduzierte Verpflichtungen.
Dem zum Trotz sei das Klimaschutz-Gutachten mehr als nur ein zahnloser Papiertiger, so der in Wien arbeitende Jurist: Der IGH habe darin keine revolutionären Ausführungen gemacht, sondern sich nahe an der bisherigen Auslegung des Völkerrechts durch andere Gerichte gehalten.
"Und das ist vielleicht der Schlüssel zum Erfolg", betont der Fremuth. Der IGH habe eine richtungsweisende Ausstrahlung und verstärke damit die Rechtsmeinung in Klima-Fragen signifikant. "Es wird sehr stark darauf ankommen, wie es gelingt, die Ausführungen des IGH geltend und operabel zu machen. Das Vertrauen ruht nun auf Gerichten, die eine zwingende Zuständigkeit haben, wo sich die Staaten nicht entziehen können."