Smartwatches und Fitness-Tracker können viel mehr als nur Schritte zählen und Trainingseinheiten aufzeichnen. Sie könnten ernsthafte medizinische Ereignisse vorhersagen. Wissenschaftler des Mount Sinai Hospitals (USA) haben herausgefunden, dass die körperlichen Daten, die von diesen alltäglichen Geräten erfasst werden, Muster erkennen können, die auf einen bevorstehenden Ausbruch von chronisch entzündlichen Darmerkrankungen, CED (Morbus Crohn und Colitis ulcerosa) hindeuten. Die Forschungsergebnisse wurden in der Fachzeitschrift "Gastroenterology" veröffentlicht.
"Diese Ergebnisse öffnen die Tür zur Nutzung von Wearable-Technologie für die Gesundheitsüberwachung und das Krankheitsmanagement auf innovative Weise, die wir bisher nicht in Betracht gezogen haben", sagte Erstautor Dr. Robert Hirten.
Morbus Crohn als auch Colitis ulcerosa betreffen den Verdauungstrakt und können schwere Entzündungen, Bauchschmerzen und andere schwächende Symptome verursachen. Die derzeitigen Überwachungsmethoden stützen sich in hohem Maße auf invasive Verfahren (Darmspiegelung), MRT, CT, Bluttests oder Stuhlproben, die nur Momentaufnahmen zu bestimmten Zeitpunkten liefern.
Dr. Hirten und sein Forscherteam sammelten sechs Monate lang Daten von 309 Menschen mit CED in 36 US-Bundesstaaten. Die Probanden trugen gängige tragbare Geräte (wie eine Apple Watch, Fitbit oder Oura Ring), die ihre Herzfrequenzvariabilität (die Schwankungen zwischen den Herzschlägen, die ein Maß für die Funktion des Nervensystems sind), ihren Puls, ihren Sauerstoffgehalt und ihre tägliche Aktivität aufzeichneten. Sie beantworteten außerdem täglich Fragebögen zu ihren Symptomen über eine Smartphone-App und gaben Blut- und Stuhlproben ab, die bei Routineuntersuchungen entnommen wurden. Diese nutzten die Forscher, um den Magen-Darm-Trakt auf Entzündungsmarker zu untersuchen.
Eine besonders wichtige Erkenntnis ergab sich hinsichtlich der körperlichen Signale des Körpers, bevor sichtbare Symptome auftreten. Ähnlich wie Umweltindikatoren, die Wetterveränderungen vorausgehen, stellten diese Geräte subtile Veränderungen im Herzrhythmus und anderen Messungen fest – und zwar bereits bis zu sieben (!) Wochen bevor die Patienten einen Schub erlebten. So stieg beispielsweise die Herzfrequenz der Teilnehmer in den Wochen vor einem Krankheitsschub tendenziell an, selbst im Ruhezustand. Auch die Herzfrequenzvariabilität und der Sauerstoffgehalt stiegen vor den CED-Schüben an. Diese Veränderungen blieben über die verschiedenen Arten von tragbaren Geräten hinweg konsistent, was auf eine breite Anwendbarkeit der verschiedenen im Handel erhältlichen Produkte hindeutet.
Im Gegensatz zu den derzeitigen Überwachungsmethoden von chronisch entzündlichen Darmerkrankungen, die immer nur Momentaufnahmen sind, erfassen Smartwatches und digitale Tracker die Körperwerte ständig – also solange man sie trägt. So können sie Veränderungen viel früher erkennen und einen bevorstehenden Schub ankündigen, bevor Symptome auftreten. "Anstatt in die Praxis oder in eine medizinische Einrichtung zu kommen, um den Zustand einer Person mit CED zu beurteilen, könnten Patienten diese Geräte im Alltag zu Hause oder am Arbeitsplatz nutzen", sagt Dr. Hirten. Auf dieser Grundlage könnte man die Dosis der Medikamente rechtzeitig anpassen und ggf. steigern und den Schub schon vor Ausbruch bekämpfen.