"Ich könnte mir nicht vorstellen, nur eine Person zu lieben", sagt Anette. Die 36-Jährige lebt seit knapp zwei Jahren polyamor – also in einer Beziehung, in der mehrere Liebesbeziehungen gleichzeitig erlaubt und gewollt sind. "Mir geht es dabei nicht um sexuelle Freiheit, sondern um echte, parallele Partnerschaften und Gefühle", erzählt sie.
Polyamorie – das Wort kommt aus dem Griechischen und Lateinischen und bedeutet "viele Lieben". Dahinter steckt die Idee, dass Liebe kein begrenztes Gut ist. Menschen, die polyamor leben, gehen mehrere emotionale und/oder sexuelle Beziehungen gleichzeitig ein – offen, ehrlich und mit dem Einverständnis aller Beteiligten.
Immer mehr Menschen zeigen Interesse an alternativen Beziehungsmodellen. Laut wissenschaftlichen Schätzungen empfinden rund vier bis fünf Prozent der Bevölkerung polyamor. Das bedeutet jedoch nicht, dass alle dieses Modell tatsächlich leben. In der Praxis tun das nur etwa 0,5 Prozent – in Österreich also rund 30.000 bis 40.000 Menschen.
Eine Meta-Analyse von Terri D. Conley et al. mit über 25.000 Teilnehmenden aus 35 Studien zeigt, dass polyamore und monogame Paare gleich zufrieden mit ihrer Beziehung und ihrem Sexleben sind.
Entscheidend ist weniger die Beziehungsform, sondern wie gut die Beteiligten kommunizieren, Grenzen definieren und mit Eifersucht umgehen.
Das bestätigt auch Anette. Sie erzählt: "Nach 14 Jahren monogamer Beziehung, davon 12 verheiratet, leben wir seit Mitte 2023 in einer offenen Ehe. Bereits in meinen ersten Beziehungen als Jugendliche konnte ich nicht treu sein. Es ist schwierig zu erklären, da eben doch etwas fehlt, obwohl 'nichts fehlt'."
"Ich fragte mich oft, was mit mir nicht stimmt – ich hatte doch alles, was man sich wünschen kann. Dann stieß ich auf einen Artikel über Polyamorie. Schon während des Lesens wurde mir klar: Ich bin polyamor. Endlich verstand ich, was mit mir 'nicht in Ordnung' war. Daraufhin beschlossen mein Mann und ich, unsere Ehe zu öffnen. Für ihn war das nicht leicht, doch er ließ sich darauf ein."
Sie findet: "Polyamorie wird oft mit offenen Beziehungen gleichgesetzt, ist aber etwas anderes: In einer offenen Beziehung bleibt das Herz beim Partner, während man sexuelle Erlebnisse anderswo sucht. Polyamorie hingegen bedeutet, mehrere Menschen gleichzeitig lieben zu können."
Auch Zoe lebt in einer offenen Beziehung. "Es war für meinen Partner anfangs schwierig, aber heute haben wir eine tolle Verbindung, die auf Ehrlichkeit und Vertrauen basiert. Seit diesem Schritt reden wir viel mehr darüber, was uns in der Beziehung wichtig ist".
"Untreue in einer Partnerschaft entsteht meist durch unerfüllte Bedürfnisse oder Erwartungen – das möchten wir vermeiden. Eifersucht ist ab und zu ein Thema, aber solange wir ehrlich zueinander sind, kommen wir beide gut damit klar", so die 26-Jährige.
Für die 35-jährige Amanda war eine offene Beziehung nie ein Thema, wie sie erzählt. Heute sieht es jedoch anders aus: "Jetzt lebe ich polyamor und bin glücklich damit. Ich sage meinen männlichen Partnern auch, dass sie mehrere Partnerinnen haben können, und ich handhabe es genauso. Ich könnte mir aber vorstellen, dass ich, wenn ich mich verliebe und dieser Mann eine monogame Beziehung möchte – dann nur mit ihm zusammen bin."
Mehr Einblick in die Polyamorie der Community kannst du in der Bildergalerie nachlesen:
Friends with benefits, Polyamorie und mehr – diese und weitere Formen des Zusammenlebens beweisen, dass Beziehungsgesetze nicht in Stein gemeißelt sind. Und das ist auch gut so. Möglicherweise heißt es ja bald auf der nächsten Familienfeier: "Tante Frieda, darf ich dir meine Lebenspartner Tom und Marko vorstellen?"
