Es ist der 31. August 2015. Die damalige deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel spricht drei Worte aus, die bis heute ein Sinnbild für den Flüchtlingssommer 2015 und die immer noch anhaltende Migrationsdebatte stehen: "Wir schaffen das!"
Inzwischen ist sie schon längst nicht mehr Kanzlerin, auch die CDU hat inzwischen mit der Politik ihrer damaligen Chefin gebrochen. Jetzt, bald genau zehn Jahre nach ihrem geschichtsträchtigen Sager, zieht Merkel in einem ARD-Interview Bilanz: "Bis jetzt haben wir viel geschafft."
Sie sei damals vor einer "besonderen Entscheidung" gestanden, erinnert sich die Altkanzlerin zurück. Auch jetzt noch ist sie verwundert, wie sehr ihr diese drei Worte "um die Ohren gehauen" wurden: "Sie sollten ja nichts anderes ausdrücken, als dass wir vor einer großen Aufgabe stehen."
Menschenwürde und Menschlichkeit seien damals wie heute ihre zentrale Leitplanken der Flüchtlingspolitik. Die Alternative, geflüchtete Menschen mit Gewalt davon abzuhalten, nach Deutschland zu kommen, sei niemals eine Option gewesen: "Dazu hätte ich mich nie bereit erklärt."
Trotz überfüllter Asylunterkünfte, Schulen, Kindertagesstätten, verzweifelten Gemeinden und auch dem Horror der Silvesternacht 2015 als hunderte Frauen in Köln durch nordafrikanische und arabische Migranten sexuell belästigt oder ausgeraubt wurden, sah und sieht Merkel keine Überforderung Deutschlands durch ihre Entscheidung: "Deutschland ist ein starkes Land. Insgesamt war ich der Überzeugung, dass Deutschland das stemmen kann."
Dass sie dadurch das Erstarken der in Teilen gesichert rechtsextremistischen Partei Alternative für Deutschland (AfD) begünstigt hatte, weiß auch Merkel: "Natürlich hat die Entscheidung von mir, Menschen dazu gebracht, sich der AfD anzuschließen. Und dadurch ist die AfD sicherlich auch stärker geworden." Das sei dennoch kein Grund gewesen, von einer Entscheidung, die sie für richtig hielt, abzusehen.
Merkel verweist die große Willkommenskultur, die es in Deutschland auch gegeben habe: "Da, zwischen Maß und Mitte, die Sorgen aller im Land aufzunehmen, das war meine Aufgabe. Und da spielte die AfD eine Rolle, da spielten aber auch die anderen eine Rolle."
Dass es danach auch in ihrer Union gehörig krachte, sei "kein Geheimnis" gewesen. Der Streit innerhalb CDU/CSU sei "auch nicht hilfreich bei der Frage, wie bewältigen wir diese Aufgabe" gewesen. Merkel bleibt jedenfalls ihrer Linie treu, plädiert auf einen Schulterschluss in Brüssel und eine gesamteuropäische Lösung der Migrationskrise. "Obwohl das fürchterlich schwierig ist", so die deutsche Altkanzlerin: "Aber das ist dann eben Staatskunst oder diplomatische Kunst."
Sie selbst war freilich genau daran gescheitert. Europa wurde in der Flüchtlingspolitik ein Fleckerlteppich, die deutsche Kanzlerin war während ihrer Amtszeit zunehmend isoliert. Inzwischen spricht sich auch eine deutliche Mehrheit (68 Prozent) der Deutschen für eine restriktivere Flüchtlingspolitik aus. Merkel hält weiter an ihrem Kurs fest: "Das ist ein Prozess. Aber bis jetzt haben wir viel geschafft. Und was noch zu tun ist, muss weiter getan werden“
CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann hat zehn Jahre nach Angela Merkels Satz "Wir schaffen das" in der Flüchtlingskrise 2015 eine kritische Bilanz gezogen. Der "Neuen Osnabrücker Zeitung" vom Montag sagte Linnemann: "Seit 2015 sind 6,5 Millionen Menschen zu uns gekommen und weniger als die Hälfte ist heute in Arbeit – ich finde das, gelinde gesagt, nicht zufriedenstellend."
Die aktuelle Bundesregierung muss nach Linnemanns Vorstellung deshalb eine andere Politik verfolgen. "Wir müssen die illegale Migration in die Sozialsysteme stoppen und reguläre Zuwanderung in den Arbeitsmarkt fördern", sagte er der Zeitung. "Das muss die Politik dieser Regierung 2025 sein – und das ist sie auch. Das sollte unsere Marschroute sein für die nächsten Jahre."