Die Flüchtlingswelle 2015 war ein prägendes Ereignis für Europa und insbesondere für Österreich, die vielen Menschen bis heute im Gedächtnis geblieben ist. Tausende Menschen, die vor Krieg, Verfolgung, Terror und Armut flohen – vor allem aus Syrien, Afghanistan, dem Irak und Teilen Afrikas – kamen innerhalb kürzester Zeit hierzulande an. Der Syrienkrieg, das Vorrücken des IS und die teils katastrophalen Lebensbedingungen in Flüchtlingslagern der Nachbarländer Syriens trieben hunderttausende Menschen zur Flucht Richtung Europa.
Im Verlauf des Jahres 2015 erreichten über eine Million Flüchtlinge Europa – die meisten über die sogenannte "Balkanroute". Besonders Ungarn reagierte mit strengen Maßnahmen wie einem Grenzzaun zu Serbien. Andere Länder, darunter Österreich, wollten helfen, die Hilfe war aber vielerorts durch mangelnde Koordination, überfüllte Lager und teils chaotische Zustände gekennzeichnet. Österreich kam damals eine zentrale Rolle zu – sowohl als Transitland als auch als Aufenthaltsort, nachdem berühmte Worte gefallen waren.
Die damalige deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte das berühmte "Wir schaffen das" gesagt und die Grenzen wurden geöffnet. Daraufhin kamen in kurzer Zeit zehntausende Flüchtlinge über Ungarn nach Österreich – viele wollten weiter nach Deutschland, manche blieben. Die Flüchtlingswelle führte europaweit zu einer politischen Polarisierung. In Österreich erstarkten Parteien, die sich gegen Migration aussprachen, das Asylrecht und die EU-Migrationspolitik bestimmen seitdem den politischen Diskurs in ganz Europa.
Was vom "Wir schaffen das" geblieben ist, fasste am späten Donnerstagabend der bekannte Migrationsexperte Gerald Knaus in der "ZIB2" bei ORF-Moderator Stefan Lenglinger zusammen. "Österreich hat in diesen letzten zehn Jahren über 175.000 Menschen positive Asylentscheidungen gegeben, also sie als Flüchtlinge anerkannt. Das war pro Kopf die Nummer 1 in Europa", so Knaus. Dazu kämen noch einmal 80.000 Ukrainer, wo Österreich unter den aufnahmebereitesten Ländern liegen würde, so der Experte.
Durch diese Entscheidung einiger Länder, den Menschen Schutz zu gewähren, hätten sie sie vor Krieg, Gewalt und Verfolgung in Sicherheit gebracht, das sei "auf jeden Fall positiv", hieß es. Und die Probleme? Österreich und Deutschland hätten mehr als die Hälfte aller positiven Asylentscheidungen in den letzten zehn Jahren in der gesamten EU getroffen, "die anderen haben weniger getan", so Knaus. Zehn Jahre lang hätten sich nun Diskussionen in Europa "im Kreis gedreht", geschehen sei aber so gut wie gar nichts.
Auch die Schließung der Balkanroute haben niemanden daran gehindert, nach Europa zu kommen. "Das untergräbt das Vertrauen in die Politik", so Knaus, die Menschen bekämen das gefühl, dass Parteien der Mitte überall in Europa Dinge und Kontrolle versprechen würden, "und dann nicht in der Lage sind, das auch umzusetzen". Und: "Das ist politisch gefährlich", denn ohne die Unterstützung der Mehrheit der Bevölkerung sei "auf Dauer eine humane Politik der Flüchtlingsaufnahme nicht möglich". Die Menschen müssten sehen, dass etwas funktioniere.
Der Experte rechnete knallhart ab: "Erstens, wir führen zu viele Scheindebatten. Und zweitens, die Lösung liegt nicht an der österreichischen Außengrenze." Man könne in einem offenen Schengenraum auch mit Grenzkontrollen irreguläre Migration nicht stoppen, das gehe nur an der Außengrenze, so Knaus. Eine Beispiel solle das EU-Türkei-Abkommen sein, mit dem die Überfahrten von Flüchtlingen über das Meer auf einen Schlag auf drei Prozent gefallen seien, so der Migrationsforscher. "Darauf aufzubauen" müsse Ziel sein. "Wir hatten vier Jahre lang, von 2016 bis 2020, einen dramatischen Rückgang der irregulären Migration aus der Türkei und gleichzeitig eine Verbesserung der Lebensumstände für Syrer im Land", so Knaus.
Im März 2020 sei der Deal zusammengebrochen und die Türkei habe kurze Zeit später und seitdem nie jemanden mehr zurückgeholt. Ab diesem Moment hätten sich die Zahlen der Syrer, die auch noch Österreich gekommen seien, verdoppelt, die Zahl der Afghanen zum Teil sogar versechsfacht. Wenn man nicht wie Donald Trump "auf Terror" setze, könne man "irreguläre Migration nur mit Abkommen mit anderen Staaten reduzieren". Und: "Alle scheitern" daran, eine größere Anzahl an Ausreisepflichtigen auch wirklich auszuweisen.