Immer mehr Jugendliche und junge Erwachsene sind von Wohnungslosigkeit betroffen. Rund ein Drittel aller Obdachlosen – rund 5.000 Personen – in Wien sind unter 30 Jahre alt: "In den vergangenen 20 Jahren wurden allein in der Jugendnotschlafstelle 'a_way' über 58.000 Nächtigungen gezählt. Diese Zahlen zeigen: Junge Wohnungslosigkeit ist keine Randerscheinung. Trotzdem ist es ein Thema, das oft im Schatten liegt – es muss stärker sichtbar gemacht werden", erklärte Caritas-Wien-Direktor Klaus Schwertner im Rahmen einer Pressekonferenz.
Wie viele junge Menschen österreichweit genau betroffen sind, lässt sich nicht sagen, denn es fehlt eine systematische Erhebung über Bundesländergrenzen hinweg. Den Hauptgrund der Wohnungslosigkeit sieht "a_way"-Leiter Tom Adrian nach wie vor in Gewalt in der Familie – "psychisch und physisch". Auch eine zunehmende Wohlstands-Vernachlässigung und Verrohung der Gesellschaft sei zu bemerken, so Adrian: "Wohnungslosigkeit beginnt manchmal schon mit 13 Jahren."
Das "a_way" in Ottakring sei oft das letzte Auffangnetz für diese Jugendlichen und jungen Erwachsenen, meinte Adrian und zählte konkrete Fälle aus dem vergangenen Monat auf: "Wir hatten hier eine 14-Jährige, die zu Hause geschlagen wurde. Dann gab es einen 15-Jährigen, der aufgrund eines Streits mit dem Nachbarn von zu Hause weggewiesen wurde. Und schließlich eine 16-Jährige, die seit vier Wochen auf einen Platz in einem Krisenzentrum wartet."
Um mehr Erkenntnisse über die wohnungslosen Jugendlichen zu gewinnen, hat die Caritas eigene, langjährige Daten zweier Wiener Einrichtungen – eben der Notschlafstelle "a_way" und dem Wohnhaus "JUCA" (für 18- bis 27-Jährige) – ausgewertet. "In den vergangenen 20 Jahren wurden in Wien mehr als 10.000 junge wohnungslose Menschen von der Caritas unterstützt und begleitet", so das Fazit von Schwertner.
„Viele junge Menschen sind völlig auf sich allein gestellt. Sie haben schon viel hinter sich, wenn sie bei uns ankommen“Tom AdrianLeiter der Jugend-Notschlafstelle "a_way"
Das Ergebnis: 76 Prozent der Jugendlichen haben den Kontakt zu ihrer Familie abgebrochen. Die Hälfte war bereits in Kontakt mit der Kinder- und Jugendhilfe (MA11). Und rund ein Drittel hat bereits auf der Straße oder in einer Notschlafstelle geschlafen. "Wir sehen: Viele junge Menschen sind völlig auf sich allein gestellt. Sie haben schon viel hinter sich, wenn sie bei uns ankommen", berichtete Adrian.
Eine weitere Erkenntnis: Biografische Brüche (Wegweisung, Schulabbruch, Delogierung usw.) haben signifikante Auswirkungen auf die langfristige Stabilität und Wohnchancen: "Je mehr biografische Brüche die Bewohner*innen in der Vergangenheit erlebt haben, desto schwieriger wird es für sie, langfristig in stabilen Wohnverhältnissen Fuß zu fassen", erklärte "JUCA"-Leiterin Maresi Kienzer.
Viele Jugendlichen würden durch die Zeit auf der Straße traumatisiert sein und bereits einen "vollen Rucksack" (an schlechten Erfahrungen, Anm.) mitbringen: "Wir können den Rucksack nicht auspacken, aber wir können versuchen, ihn umzupacken. Wir schaffen die Voraussetzungen, dass sie irgendwie selbstständig leben können", so Kienzer.
Weiters zeigt sich, dass bei jungen Menschen, die bereits eine Delogierung hinter sich haben, bevor sie in eine Einrichtung der Caritas kommen, die Wahrscheinlichkeit um 89 Prozent steigt, nach dem Auszug prekär zu wohnen. Und eine Nacht auf der Straße oder in einem Notquartier senkt die Chance auf ein gesichertes Zuhause nach dem Auszug um 58 Prozent. Haft führt sogar dazu, dass Personen mit 62 Prozent Wahrscheinlichkeit in einer schlechteren Auszugskategorie landen.
„Wir brauchen mehr spezifische Angebote für junge Wohnungslose“Klaus SchwertnerCaritas-Wien-Direktor
"Je früher Hilfe ansetzt und die jungen Menschen in Krisensituationen gezielte Unterstützung finden, desto früher kann Brüchen im Lebenslauf entgegengesetzt werden. Die Ergebnisse machen unmissverständlich klar, dass wir damit jungen Menschen eine höhere Chance auf ein stabiles Wohnen schenken", so "a_way"-Leiter Adrian.
Wo: 1160 Wien, Neumayrgasse 4
Wann: zwischen 17 Uhr abends und 9 Uhr früh
Wer: Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 14 und 20 Jahren
Was: kostenlose Übernachtung, Essen, duschen, Wäsche waschen, Kleidung, Freizeitmöglichkeiten (TV, Internet, Spiele, Tischfußball), Beratung und Begleitung bei Problemlagen, Hilfe bei Arbeits- und Schlafplatzsuche, Vermittlung und Begleitung zu Ämtern und sozialen Einrichtungen
Info: Telefon: 01 / 897 52 19, Caritas Wien
Spendenkonto:
Erste Bank
BIC: GIBAATWWXXX
IBAN: AT23 2011 1000 0123 4560
Kennwort: Hilfe für wohnungslose Jugendliche
Caritas-Wien-Direktor Schwertner wünscht sich eine bundesweite Gesamtstrategie im Einsatz gegen junge Wohnungslosigkeit: "Wir brauchen mehr spezifische Angebote und österreichweit einheitliche Standards im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe. Die Kinder- und Jugendhilfe wird dafür auch mehr Ressourcen benötigen als sie heute hat." Zudem sollte das Betreuungsangebot nicht mit 18 Jahren enden, sondern erst mit 24.