Gegen "Unmoral"

Die Taliban haben den Afghanen das Internet abgedreht

Ganz Afghanistan ist offline. Wie die Internetbeobachtungsstelle NetBlocks meldete, brachen am Dienstag 99 % der Verbindungen zusammen.
Nick Wolfinger
30.09.2025, 15:34
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Bereits am 17. September erließ Taliban-Führer Hibatullah Akhundzada ein Dekret, in Teilen Nordafghanistans das Internet abzuschalten, "um unmoralische Aktivitäten zu verhindern". Was damit gemeint ist, ging aus früheren Mitteilungen hervor. Darin äußerten die Islam-Fundamentalisten ihre "Besorgnis über Pornografie und Flirts zwischen Männern und Frauen", wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtete.

Stecker gezogen

Jetzt haben die Taliban den Stecker komplett gezogen. In mehreren Schritten wurde der Prozess bereits am Montag eingeleitet, berichtet Reuters. Zunächst nur phasenweise, nun aber dauerhaft. Betroffen sind alle kabelgebundenen Verbindungen in die Nachbarländer. Auch Telefonverbindungen sind betroffen. Journalisten von Associated Press (AP) meldeten am Dienstag, dass sie keinen Kontakt zu ihrem Büro in Kabul herstellen konnten.

Übrig bleiben nur noch satellitengestützte Verbindungen wie Starlink, die aber in dem verarmten Land bestenfalls einer kleinen Elite zugänglich sind. Es ist das erste totale "Blackout" des Landes seit der Machtergreifung der Taliban im Jahr 2021.

Afghanistan ist offline
mastodon.social/@NetBlocks

Netzausbau abgesagt

Der private Sender Tolo News warnte seine Zuschauer vor einer Unterbrechung seiner Dienste und erklärte, die Behörden hätten eine einwöchige Frist für die Abschaltung der 3G- und 4G-Internetdienste für Mobiltelefone gesetzt, sodass nur noch der ältere 2G-Standard aktiv bleibe.

Cloudflare Radar, ein globaler Internet-Verkehrsmonitor, sagte, dass die Internetverbindung in der Hauptstadt Kabul am stärksten zurückgegangen sei, gefolgt von der Stadt Herat im Westen und Kandahar im Süden.

Dabei wurde noch vor einem Jahr stolz verkündet, den Glasfaserausbau in allen afghanischen Provinzen voranzutreiben, da die Informationstechnologie der "am stärksten wachsende Wirtschaftssektor" des Landes sei. Daraus wird nun offenbar nichts mehr.

Zurück ins Mittelalter

Es ist nicht bloß eine Floskel, wenn es heißt, die Taliban wollen Afghanistan zurück ins Mittelalter werfen. Tatsächlich verfolgen sie dieses Ziel seit ihrer Machtergreifung vor mittlerweile vier Jahren zielstrebig und in großen Schritten.

Mädchen und Frauen ist der Schulbesuch, die Ausübung der meisten Berufe und sogar das ungefragte Sprechen in der Öffentlichkeit – die ohnehin nur in Begleitung des Ehemannes oder eines männlichen Vormundes vollverschleiert betreten werden darf – verboten.

Auch sämtliche Unterhaltungsmedien wie Musik, Filme und selbst Bücher und Bilder sind verboten, sofern diese keinen religiösen Inhalt vermitteln. Nun folgte der nur logische nächste Schritt: Die Abschottung des Landes vom "unmoralischen" Internet.

Totale Isolation der Frauen

Es war und ist der einzige Ort, den die religiösen Fundamentalisten nicht kontrollieren können. Daher haben sie den Internetknoten, der Afghanistan mit dem Rest der Welt verbindet, nun abgeschalten.

"Die Taliban nutzen jedes ihnen zur Verfügung stehende Mittel, um die Bevölkerung zu unterdrücken", sagt die Frauenrechtsaktivistin Sanam Kabiri, die außerhalb Afghanistans im Exil lebt, in einem Videobeitrag gegenüber Journalisten. Das Internet war der letzte Ort, in dem Frauen noch arbeiten konnten. "Was wollen diese unwissenden Männer eines anderen Jahrhunderts noch alles von unserem unterdrückten Volk?", fragt Kabiri.

{title && {title} } NW, {title && {title} } Akt. 30.09.2025, 16:07, 30.09.2025, 15:34
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