Kritik an "Klima-Kulturkampf"

Gewessler: "Was FPÖ sagt, geht auf keine Kuhhaut mehr"

Die Regierung würde "ein unsoziales Sparpaket" ausrollen, kritisiert Grünen-Chefin Gewessler. Und Kickl? "Er hätte gerne Moskau als Hauptstadt."
Clemens Oistric
16.09.2025, 05:00
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Sie kommt mit der Bim zum "Heute"-Interview, trägt eine mintfarbene Bluse, darüber einen taubengrauen Blazer. Die Arbeit der Dreier-Koalition ist ihr jedoch gar nicht grün: Leonore Gewessler (48) prangert im Talk (in voller Länge als Video unten) die bloße Ankündigungspolitik der Regierung an ("Macht das Leben der Menschen in diesem Land nicht besser") und kritisiert den "Kulturkampf beim Klima".

Gewessler im "Heute"-Interview

"Heute": Frau Klubobfrau, Sie feiern Ihren Geburtstag – den ersten in neuer Funktion – könnten Sie sich einen Wunsch erfüllen: Welcher wäre das?

Leonore Gewessler: Mein privater Wunsch ist: Immer wieder mal Zeit mit Mann und Familie zu haben – weil das in solchen Positionen am schnellsten zu kurz kommt.

Und fürs Land?

Ich fange mit dem drängendsten Thema an: Die Regierung – bisher Ankündigungsweltmeister – muss liefern. Wir haben weiterhin eine sehr hohe Teuerung, ein unsoziales Sparpaket und einen Anti-Klima-Feldzug. Nichts davon macht das Leben der Menschen in diesem Land besser. Wir werden daher nicht lockerlassen.

Als Ministerin sind Sie als strenge Umweltschützerin aufgetreten. Zuletzt wirkte es aber so, als wären Sie in die Mitte gerückt, haben sogar Instagram-Videos aus dem Auto geteilt und erzählt, dass Sie Ihren Mann im Flugzeug kennengelernt haben. Ein bewusster Imagewandel?

Ich war im Land unterwegs und habe viele Gespräche geführt. Ein Ehepaar aus Vorarlberg wollte ein Foto mit mir machen – für ihre Kinder, weil die Grün wählen. Sie meinten, sie selbst können nicht Grün wählen, weil sie ein Auto haben. Wenn das das Bild von uns ist, dann müssen wir etwas tun, denn wir sind alle unterschiedlich mobil. Und auch in meiner Garage steht ein Auto, wenn auch ein E-Auto.

Video: Gewessler im "Heute"-Interview

Ihnen hängt das Image der Verbotspartei nach. Zurecht?

Nein. Ich weiß, woher die Zuschreibung kommt – das kommt fast immer von der FPÖ. Was die zum Klimaschutz sagen oder auch nicht sagen, das geht auf keine Kuhhaut mehr. Ich kann nur sagen: Lieber Herr Kickl, liebe FPÖ – wer seine Heimat liebt, der schützt sie und macht Klimaschutz nicht zum Kulturkampf-Thema. Wir haben eine gemeinsame Verantwortung, da kann sich niemand wegstehlen.

Die FPÖ kritisiert etwa das neue Plastikpfand vehement.

An diesem Beispiel zeigt sich deutlich, wie die FPÖ Politik macht. Die Blauen haben jahrelang selbst ein Pfandsystem gefordert und Dutzende Anträge im Parlament eingebracht. Nun, wo es das gibt, sind sie dagegen. Nicht aus einem inhaltlichen Grund, sondern, um aus parteitaktischen Motiven Profit daraus zu schlagen. Das unterscheidet uns: Wir Grüne halten beim Thema Klima- und Umweltschutz Wort. Wir drehen uns nicht wie eine Fahne im Wind, sondern leben nach der Überzeugung, dass auch die nächsten Generationen noch ein gutes Leben haben. Dazu gehört eben auch, dass wir schauen, dass auf unseren Straßen, in unseren Wäldern, auf unseren Wiesen und in unseren Nationalparks nicht der Plastikmüll herumliegt. Wenn dann die größte Sorge von Herrn Kickl ist, dass er Plastikflaschen zurückbringen muss, sollte er vielleicht einmal darüber nachdenken…

Wie sind Sie zu unserem Interview angereist?

Mit der Bim.

Wie weh tut Ihnen, dass nach dem Klimaticket nun auch die Wiener Öffis teurer werden?

Mir tut es weh für die vielen Menschen, die wieder einmal gesehen haben, dass man sich auf die SPÖ beim Thema günstige Öffis sicher nicht verlassen kann. Wir Grüne werden weiter für günstige Öffis kämpfen.

Fakt ist aber auch, dass die Regierung ein Milliarden-Budgetloch sanieren muss. Daran sind Sie nicht unschuldig, haben Milliarden für Klimaboni, grüne Förderungen und den Öffi-Ausbau ausgegeben. Haben Sie in Ihrer Amtszeit als Ministerin überzogen?

Ich stehe zu alldem. Die Regierung sucht jetzt einen Sündenbock, weil sie ein Sparpaket auf dem Rücken derer macht, die es ohnedies schwer haben – am Rücken der Frauen, der Alleinerzieher, der Mindestpensionisten und der Klimaschützer.

„Ich war vieles in dieser Republik, Finanzministerin war ich nie.“
Leonore GewesslerKlubobfrau (Die Grünen)
Gewessler im "Heute"-Talk mit Clemens Oistric
Helmut Graf

Machen Sie es sich da nicht leicht, nachdem die türkis-grüne Vorgängerregierung für ein massives Defizit verantwortlich ist?

Ich war vieles in dieser Republik, Finanzministerin war ich nie. Ich habe das Gefühl, wenn es gegen das Klima und gegen die Zukunft geht, sind sich plötzlich alle einig. Da halten alle zusammen.

Dann machen wir es konkret: Wo würden Sie denn einsparen?

Ich mache seit Wochen Vorschläge. Wo sind denn in diesem Budget die Beiträge der breiten Schultern, die Andi Babler immer so intensiv beschwört? Groß angekündigt, nicht geliefert. Etwa die Besteuerung der großen Tech-Konzerne. Die Elon Musks dieser Welt machen mit unseren Daten Milliarden-Gewinne. Oder die klimaschädlichen Förderungen. Wir geben Millionen über Millionen für Dinge aus, die unserer Zukunft schaden. Ich verstehe nicht, warum sich die ÖVP schützend vor die ausländischen Frächter stellt. Da wäre Geld, das wir für sinnvollere Dinge einsetzen könnten. Ja, das Budget zu konsolidieren, ist das Gebot der Stunde, wie es diese Bundesregierung macht, ist aber komplett verkehrt herum.

Die Regierung ist jetzt sechs Monate im Amt und hat in manchen Umfragen schon die Mehrheit verloren. Können Sie den Ärger nachvollziehen?

Wie schon angesprochen: Die Menschen erwarten sich tatsächliche Maßnahmen, nicht bloß Ankündigungen und dann nichts liefern. Davon wird kein Packerl Butter und kein Liter Milch billiger.

Jeder dritte Pensionist bekommt nicht die volle Inflation abgegolten. Ist das gerecht?

Die verkündete Einigung ist an sich okay. Wichtig war mir, dass sie nicht auf dem Rücken jener Menschen passiert ist, die geringe Pensionen haben. Wir brauchen aber auch nicht so tun, als wäre damit alles gelöst. Die viel zitierten breiten Schultern leisten noch immer keinen fairen Beitrag zur Budgetkonsolidierung.

Von Global 2000 zur Chefin der Grünen: Leonore Gewessler
Helmut Graf

Sind Pensionen von 2.500 Euro brutto für Sie Luxus, wie manche Regierungsvertreter es nennen?

Ich würde da nicht von Luxus sprechen, nein.

Auch bei den Jungen wird gespart – etwa beim Gratis-Öffi-Ticket für 18-Jährige.

Das erachte ich wirklich als den falschen Ort zum Sparen. Wir wollen junge Menschen zum öffentlichen Verkehr bringen, haben jungen Menschen ein Versprechen gegeben und diese Regierung hat dieses Versprechen gebrochen. So schnell hat man gar nicht schauen können.

Weil wir es uns schlicht nicht mehr leisten können.

Dass wir uns das nicht leisten können, halte ich für eine Ausrede. Man will es sich nicht mehr leisten. Den Pendler-Euro erhöhen, Milliarden in Autobahnen buttern, die Lobau zubetonieren und gleichzeitig jungen Menschen das Klimaticket zu streichen und für andere teurer zu machen, das geht sich für mich nicht aus. Da werde ich immer dagegen aufstehen.

Unter Ihrer Führung legen die Grünen seit Wochen kontinuierlich zu. Liegt das an Ihrer Person oder erfährt die grüne Idee einen neuen Aufschwung?

Es ist immer Teamwork. Was die Grünen ausmacht, ist die Überzeugung, Frieden, eine intakte Umwelt und solidarische Gesellschaft, die aufeinander schaut, sicherzustellen. Dafür kämpfe ich, dafür argumentiere ich mit großer Überzeugung. Das ist in meinem hektischen Regierungsalltag in den letzten Jahren vielleicht zu kurz gekommen. Wenn die Menschen jetzt spüren, dass wir Dinge wieder anders machen, freut mich das.

„Ich finde es zynisch, die Teilzeit-Debatte auf dem Rücken der Frauen zu führen.“

Lassen Sie mich zu einem aktuellen politischen Thema kommen: Vergangene Woche wurde das Kopftuchverbot für Mädchen unter 14 Jahren angekündigt. Begrüßen Sie das?

Wenn ich eine Achtjährige an der Hand ihres Vaters mit Kopftuch sehe, dann denke ich mir, das ist nicht okay. Ich will in einem Land leben, wo ein achtjähriges Mädchen nicht gezwungen wird, ein Kopftuch zu tragen. Wir müssen ehrlich sein: Es gibt bei dem Thema auch an unseren Schulen ein Problem. Ich halte aber auch die Diskussion über den Gesetzesentwurf für notwendig. Es gibt schon Stimmen, die große Zweifel daran haben, dass er verfassungskonform ist.

Sie könnten das Gesetz mit der Regierung aber auch in Verfassungsrang haben und so der Beurteilung durch den VfGH entziehen?

Die Grünen hatten immer eine klare Linie: Die Rechte des Verfassungsgerichtshofs nicht zu beschneiden, indem man verfassungswidrige Gesetze einfach mit Zwei-Drittel-Mehrheit beschließt. Da machen wir nicht mit. Das wäre ja absurd.

Die Grünen-Chefin als Blattmacherin
Helmut Graf

Gewessler als Blattmacherin

Rollentausch: Für ein neues Social-Media-Format von "Heute" musste sich Leonore Gewessler als Blattmacherin beweisen. Welche Schlagzeile sie gerne auf der Titelseite lesen würde? Die Grünen-Chefin entschied sich für: "Strom günstig wie nie: Wind und Sonne senken Preise!" Video auf Instagram und TikTok (@heute.at). Gleich folgen!

In Wiener Pflichtschulen sind Muslime mittlerweile in der Mehrheit. Soll das Kreuz im Klassenzimmer bleiben?

Ich sehe aktuell keinen Handlungsbedarf für eine Änderung.

Sie haben Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer für seinen Sager "Lifestyle-Teilzeit" hart kritisiert. Warum ärgert Sie das so?

Ich finde es zynisch, diese Debatte auf dem Rücken der Frauen zu führen. Ja, wir haben ein großes Problem in diesem Land – das ist fehlende Kinderbetreuung. Von mir gibt es drei konkrete Forderungen: Recht auf Kinderbetreuung ab dem ersten Geburtstag, ein massiver und rascher Ausbau von Kindergartenplätzen und ein Recht zum Aufstocken von Stunden. Die Regierung müsste nur den Mut haben, tatsächlich etwas zu tun.

Sie teilen sich mit Herbert Kickl die Oppositionsbühne im Parlament – haben aber diametral unterschiedliche Zugänge…

Uns trennen Welten. Die FPÖ steht für eine Oppositionspolitik, die immer alles kurz und klein schlagen will. Herbert Kickl nennt Viktor Orbán als Vorbild und ich habe den Eindruck, er hätte gerne, dass Moskau die österreichische Bundeshauptstadt ist und nicht Wien.

Frau Klubobfrau, danke für das Gespräch.

{title && {title} } coi, {title && {title} } Akt. 16.09.2025, 12:34, 16.09.2025, 05:00
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