Es ist immer eine Herausforderung, den Nachfolger eines Spiels zu entwickeln, das bereits bei Fans und Kritikern gleichermaßen eingeschlagen ist. "Ghost of Tsushima" war 2020 ein Überraschungserfolg, der nicht nur Gamer, sondern auch Film- und Kulturfans in seinen Bann zog. Der Spagat zwischen historischer Genauigkeit, künstlerischer Freiheit und packender Open-World-Action gelang so gut, dass Spieler Tsushima als eine Art interaktiven Samurai-Film wahrnahmen. Mit "Ghost of Yōtei" wagt sich Sucker Punch nun an eine Fortsetzung, die zeitlich Jahrhunderte später angesiedelt ist, geografisch aber auf vertrautem Boden bleibt: Japan. Doch kann die Fortsetzung den Geist des Originals einfangen, ohne sich zu wiederholen?
Diesmal verschlägt es die Spieler nach Ezo, das heutige Hokkaidō, eine Insel, die für ihre wilde Natur, ihre indigene Kultur und ihre schneebedeckten Landschaften bekannt ist. Doch die Frage stand von Beginn an im Raum: Kann das Studio ein weiteres Meisterwerk abliefern, oder bleibt der neue Titel hinter den Erwartungen zurück und auf Spieler wartet nur eine gute Kopie? Während "Ghost of Tsushima" noch während der mongolischen Invasion im Jahr 1274 spielte, springt die Handlung von Ghost of Yōtei ins Jahr 1603, den Beginn der Edo-Zeit. Japan ist im Umbruch, das Tokugawa-Shogunat erstarkt, und die Nordinsel Ezo ist eine Region, die historisch von Spannungen zwischen den Ainu und japanischen Siedlern geprägt war.
Sucker Punch hat diese Epoche als Bühne gewählt, um ein Setting zu schaffen, das sich vertraut anfühlt und gleichzeitig neue Impulse setzt. Der Berg Yōtei, ein Vulkan, der dem Fuji gleicht, ragt majestätisch über die Spielwelt. Er wird zum Symbol des Spiels – nicht begehbar, aber immer präsent. Schon dieser Designentscheid verdeutlicht, dass "Ghost of Yōtei" weniger auf pure Freiheit setzt als sein Vorgänger. Die Welt ist in separate Zonen aufgeteilt, teils gibt es Ladezeiten und einen stärkeren Eindruck, immer neue Gebiete zu betreten. Das ermöglicht den Entwicklern, detaillierte Areale zu gestalten, nimmt der Spielwelt aber ein Stück ihrer Weite. Während man auf Tsushima eine nahtlose Insel erkundete, fühlt sich Ezo fragmentierter an.
Spieler spüren das besonders, wenn sie zwischen schneebedeckten Bergen, ländlichen Dörfern und Küstenregionen wechseln müssen. Im Mittelpunkt steht diesmal Atsu, eine junge Frau, die ihre Eltern durch die Grausamkeit von Lord Saito verloren hat. Dieser Antagonist ist eine reine Erfindung der Entwickler, ein Tyrann, der mit seinen "Yōtei Six" die Insel unterdrückt. Historisch hat es den Saito-Clan in dieser Form nicht gegeben – doch dramaturgisch funktioniert er als klarer Gegenspieler. Atsu ist keine Kopie von Jin Sakai aus dem Vorgänger. Während Jin zwischen Tradition und Moderne, zwischen Samurai-Ehre und Ghost-Taktiken schwankte, ist Atsus Motivation von Beginn an eindeutig: Es geht um eiskalte und brutale Rache.
Diese Klarheit verleiht der Geschichte einen anderen Tonfall. Sie ist persönlicher, emotionaler, weniger politisch und stärker von individuellen Schicksalen geprägt. Eine der markantesten Neuerungen ist zudem die computergesteuerte Wölfin, die Protagonistin Atsu nach einigen Spielstunden begleitet. Was anfangs im Titel wie ein zufälliges Treffen wirkt, entwickelt sich im Spielverlauf zu einer tiefen Bindung. Die Wölfin ist kein reines Gimmick, sondern greift aktiv und meist überraschend gut in Kämpfe ein, rettet Atsu in kritischen Momenten und verleiht dem Gameplay frische Dynamik. Besonders eindrucksvoll sind Szenen, in denen sie einen Gegner im letzten Augenblick von Atsu fernhält – cineastische Highlights, die sich einprägen.
Schon "Ghost of Tsushima" nahm es mit historischen Fakten nicht ganz so genau. Doch "Ghost of Yōtei" treibt diese Freiheit noch weiter. Der Matsumae-Clan, der in der Realität die Kontrolle über Ezo erlangte, wird im Spiel zu einer Art Ordnungsmacht stilisiert, die an Atsus Seite gegen Lord Saito kämpft. Die Ainu, die indigene Bevölkerung Hokkaidōs, treten hingegen kaum in Erscheinung und werden in eine Nebenrolle gedrängt. Das wirft Fragen auf: Ist es kreative Freiheit oder eine problematische Geschichtsumdeutung? Fakt ist: Wer völlige Authentizität sucht, wird enttäuscht. Wer aber eine Rachegeschichte im Stile klassischer Samurai-Dramen erwartet, erhält eine packende Handlung voller Wendungen, Pathos und großen Emotionen.
Die Story lebt von ihrer persönlichen Dimension. Sie verlässt die große politische Bühne und konzentriert sich auf eine Heldin, die durch Schmerz und Verlust definiert ist. Damit unterscheidet sich "Ghost of Yōtei" klar vom Vorgänger, der stärker auf historische Kontexte und moralische Dilemmata setzte. Vierlmehr erinnert die Erzählung eher an das jüngste "Assassin's Creed Shadows". Eines der größten Markenzeichen von Sucker Punch bleibt indes erhalten: das Kampfsystem. Noch immer basiert es auf präzisem Timing, blitzschnellen Reaktionen und brutalen Exekutionen. Jeder Kampf wirkt filmreif inszeniert, jeder Schlag hat Gewicht. Doch es gibt wesentliche Unterschiede im Vergleich zum "Ghost of"-Vorgänger.
Anstelle der vier Schwert-Haltungen aus Tsushima beherrscht Atsu gleich fünf Waffen: den Yari-Speer für Reichweite, das Odachi für wuchtige Schläge, die Kusarigama mit ihrer tödlichen Kette, die Doppelschwerter für aggressive Angriffe, sowie die klassische Katana-Klinge. Jede Waffe ist bestimmten Gegnertypen überlegen, wodurch Spieler gezwungen sind, ständig zu wechseln – die neuen Waffen übernehmen die Funktion der Schwerthaltungen. Das sorgt für taktische Tiefe, macht die Steuerung aber noch komplexer. Viele Spieler empfinden die Vielzahl an Möglichkeiten als Bereicherung, andere als überladen. Der Haltungs-Wechsel wirkte im Vorgänger intuitiver, aber auch langweiliger, als das ständige Umschalten von Waffensets.
Besonders gelungen ist die Entwaffnungsmechanik. Gegner können im Kampf ihre Waffen verlieren, die Atsu aufheben und temporär einsetzen kann. Dieses Element bringt Spontaneität ins Spiel und sorgt für unvorhersehbare Momente, die gerade in Bosskämpfen für Abwechslung sorgen. Ein Bereich, der klar schwächelt, ist indes das Stealth-System. Schon in Tsushima war es eher Beiwerk als Kernmechanik, und daran hat sich kaum etwas geändert. Grasbüschel als Versteck, eingeschränkte Kletterrouten und vorhersehbare Gegner-Intelligenz wirken etwas altmodisch. Besonders ärgerlich: In manchen Missionen zwingt das Spiel den Spieler förmlich zu Schleichpassagen, selbst wenn diese spielmechanisch unbefriedigend sind.
Visuell schöpft "Ghost of Yōtei" dafür die Stärken der PlayStation 5 aus. Schneestürme, Nebel, Sonnenuntergänge über weiten Feldern – die Kulisse ist atemberaubend. Doch beim genauen Hinsehen fällt auf, dass das Spiel technisch nicht viel über den Stand des schon sehr schönen Vorgängers hinausgeht. Die Areale bieten zwar Abwechslung – von verschneiten Bergen über heiße Quellen bis zu dichten Wäldern – doch die neue Fragmentierung zerstört etwas von der Illusion, in einer riesigen, lebendigen Welt unterwegs zu sein. Auch die Siedlungen wirken hier nicht mehr so beeindruckend wie einst. "Ghost of Yōtei" bleibt bei kleinen Dörfern und einzelnen Bauwerken. Das passt atmosphärisch, ist aber kein Fortschritt zu Tsushima.
Die Stärke von Sucker Punch liegt seit jeher darin, Nebeninhalte liebevoll zu gestalten. Auch in "Ghost of Yōtei" gibt es unzählige Nebenquests, die kleine Geschichten erzählen und die Spielwelt lebendig machen. Atsu trifft auf Figuren, die ihre eigenen Schicksale tragen, und hilft ihnen in Missionen, die mehr sind als bloße Sammelaufgaben. Wiederkehrende Mini-Aktivitäten wie das Bambus-Schneiden oder das Finden geheimer Schreine sind ebenfalls vorhanden, haben sich aber kaum verändert. Neu hinzugekommen sind kreative Beschäftigungen wie das Malen per Touchpad, das Lagerfeuer-System mit Kochmöglichkeiten oder das Münz-Schnipsen-Minispiel. Manche dieser Features sind atmosphärisch, andere eher Gimmicks.
Ein Beispiel: Das Shamisen, das Atsu spielen kann, ersetzt im Grunde nur die frühere Menüfunktion, sich vom Wind leiten zu lassen. Nett anzusehen, aber mechanisch nicht unbedingt notwendig. Technisch gibt es wenig auszusetzen. "Ghost of Yōtei" läuft auf der PlayStation 5 stabil, bietet einen Performance-Modus mit flüssigen 60 fps und einen Qualitätsmodus für maximale Details. Ladezeiten sind kurz, Animationen geschmeidig, und die Kamera inszeniert Kämpfe spektakulär. Es bleibt eine berechenbare Gegner-KI und eine manchen zu überladene Steuerung im Waffenwechsel, aber auch eine der optisch schönsten und abwechslungsreichsten Spielwelten, die Games bisher zu bieten haben.
Trotz aller Kritik gelingt "Ghost of Yōtei" immer wieder das, was nur wenige Spiele schaffen: emotionale Höhepunkte. Atsus Schicksal, die Beziehung zu ihrer Wölfin, die Inszenierung japanischer Kultur und die cineastische Präsentation schaffen Momente, die man nicht so schnell vergisst. In diesen Szenen wird klar, warum viele Spieler trotz Schwächen begeistert sein werden. "Ghost of Yōtei" mag nicht perfekt sein, aber es erzeugt eine Atmosphäre, die seinesgleichen sucht. Es ist wunderschön, erzählt eine packende, emotionale Geschichte, bleibt historisch aber oberflächlich. Es bietet ein präzises, fesselndes Kampfsystem, schwächelt aber beim Schleichen. Wer den Vorgänger geliebt hat, wird auch diesmal in die Welt eintauchen.
Wer Innovationen erwartet, wird feststellen, dass "Ghost of Yōtei" im Schatten von "Tsushima" steht. Die Antwort auf die Frage, ob das Game genug Neuerungen bringt, fällt komplex aus – denn "Ghost of Yōtei" ist eine beeindruckende Fortführung, eine riskante Neuinterpretation und in manchen Momenten auch am Stand von "Tsushima" hängengeblieben. "Ghost of Yōtei" steht gewissermaßen unter Druck eines Meisterwerks. Das Spiel erzählt eine berührende, visuell beeindruckende Geschichte und baut die emotionale Bindung zwischen Heldin und Gefährten stark aus, bleibt aber bei Möglichkeiten wie einem neuen Schleich-System stehen. Trotz allem bleibt es ein Erlebnis, das man als Fan japanischer Historien-Settings nicht verpassen sollte.