Das neu eingeführte Pflichtlehrmittel "Deutsch Vier" des Lehrmittelverlags Zürich (LMVZ) sorgte kürzlich für Wirbel: Eltern kritisieren, dass im Hörspiel "Anton taucht ab", das 9- und 10-jährigen Schülerinnen und Schülern vorgespielt wird, problematisches und übergriffiges Verhalten verharmlost wird. Konkret geht es um folgende Passage des Protagonisten Anton:
"In einen Swimmingpool hätte ich einen Köpfler gemacht. Ich hätte auch Arschbomben gemacht und zwei bis drei Minuten unter Wasser die Luft angehalten. Ich wäre getaucht und hätte den Mädchen die Füße weggezogen oder die Bikinihose, vielleicht."
Jetzt reagiert Milena Baisch, Autorin des Kinderbuchs, auf Anfrage von "20 Minuten" auf die Vorwürfe: "Die Beltz Verlagsgruppe und ich sind uns der Problematik der Formulierung bewusst", schreibt sie. Die betreffende Passage sei auf ihren eigenen Wunsch hin schon 2024 in allen bei Beltz verlegten Ausgabeformaten von "Anton taucht ab" entfernt worden. Baisch stellt klar: "Verharmlosende Darstellungen sexualisierter Gewalt sind in jeder Form bedingungslos abzulehnen." Auch aus dem Lehrmittel des Lehrmittelverlags Zürich seien die drei Worte inzwischen entfernt worden.
Die Passage mit der Bikinihose hatte bei Eltern für Empörung gesorgt: "Ich empfinde diese Passage als höchst problematisch – sie verharmlost respektloses Verhalten gegenüber Mädchen", sagt eine besorgte Mutter. "Meiner Meinung nach ist dies nicht altersgerecht und vermittelt eine Haltung, die wir gesellschaftlich nicht länger akzeptieren sollten." Sie wünsche sich eine Diskussion darüber, wie solche Inhalte in aktuelle Lehrmittel aufgenommen werden konnten.
Die Passage sei "unangemessen", sagt Aner Voloder, stellvertretender Leiter der Fachstelle für Gleichstellung Zürich. Mädchen und Frauen seien überdurchschnittlich häufig von sexualisierter Gewalt betroffen, weshalb Kinder früh lernen müssten, Grenzen zu respektieren. Durch solche Passagen könne deshalb die Gefahr bestehen, dass sich problematische Verhaltensmuster verfestigen können.
"Jungen können daraus mitnehmen, dass solche Grenzüberschreitungen als harmlos oder sogar als 'Spaß' gelten – während Mädchen wiederum vermittelt bekommen, dass sie so etwas womöglich hinnehmen müssen und dass sie ausgegrenzt werden, wenn sie sich dagegen wehren", erklärt Voloder. Dadurch könne fast "eine Romantisierung von übergriffigem Verhalten" entstehen: "Er hat sie gerne, darum zieht er ihre Hose aus", nennt er als Beispiel.
Auch Beat A. Schwendimann, Leiter Pädagogik des Dachverbandes der Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH), erachtet die Passage als problematisch: "Aus Sicht des LCH ist die Passage pädagogisch heikel und altersabhängig nur mit sorgfältiger didaktischer Einbettung vertretbar." Es brauche eine klare Distanzierung vom beschriebenen Verhalten sowie "eine geführte Auseinandersetzung zu Aspekten wie Respekt, Grenzen und Konsens", fügt er hinzu.
"Die Sorgen der Eltern sind nachvollziehbar: Ohne kritische Diskussion kann die Formulierung grenzüberschreitendes Verhalten bagatellisieren", erklärt Schwendimann. Werde sie klar als "inakzeptabel" markiert, könne sie jedoch auch als Anlass dienen, respektvolles Verhalten, Gleichwertigkeit und Schutz vor Diskriminierung explizit zu thematisieren, so Schwendimann.
Der LMVZ will reagieren: "Wir nehmen solche Rückmeldungen ernst und haben bezüglich der fraglichen Textpassage bereits eingehend diskutiert – mit dem Entscheid, diese Stelle im Lehrmittel zu überarbeiten", sagt Dirk Vaihinger, Verlagsleiter beim Lehrmittelverlag Zürich.
Auf den nächsten Nachdruck des Übungshefts von "Deutsch Vier" hin werde der LMVZ ein anderes Hörspiel auswählen und die Aufgaben im Übungsheft dementsprechend anpassen, sagt Vaihinger. "Dies auch vor dem Hintergrund, dass der Ausschnitt nicht kontextualisiert wird: Im Lehrmittel erfolgt keine unmittelbare Einordnung dieser Hörspiel-Stelle."