Wer beim Bürgergeld mehrmals Jobangebote ablehnt, muss jetzt mit deutlich strengeren Strafen rechnen. Die deutsche Regierung hat sich in der Nacht auf Donnerstag beim Koalitionsgipfel darauf geeinigt, dass Arbeitslose, die wiederholt Jobs nicht annehmen wollen, künftig alle Bezüge verlieren können.
Damit setzt die Union ein zentrales Wahlversprechen um. Die SPÖ hat einer teilweisen Rücknahme der Bürgergeldreform von 2022 zugestimmt, die sie damals selbst vorangetrieben hat. Kanzler Friedrich Merz (CDU) sieht darin einen Schritt zu mehr sozialer Gerechtigkeit. Grüne, Linke und viele Sozialverbände warnen aber vor einer Politik der sozialen Kälte.
Die komplette Streichung des Bürgergelds für sogenannte Totalverweigerer war in der Koalition lange umstritten. Die Union hat immer wieder darauf gepocht, während die SPÖ auf verfassungsrechtliche Bedenken verwiesen hat. Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat mehrmals bestätigt, dass jeder Mensch in Deutschland ein Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum hat.
Schon im Koalitionsvertrag hatten Union und SPÖ vereinbart, das von der Ampel-Koalition eingeführte Bürgergeld durch eine "neue Grundsicherung" zu ersetzen. Jetzt gibt es auch bei den Strafen eine Einigung: Wer zum zweiten Mal einen Termin im Jobcenter versäumt, bekommt künftig 30 Prozent weniger Bürgergeld. Nach dem dritten versäumten Termin gibt es gar kein Geld mehr.
"Es gilt wieder das Prinzip 'Fördern und Fordern' – für mehr Gerechtigkeit in Deutschland", schrieb Merz bei X. "Das Bürgergeld ist jetzt Geschichte", sagte CSU-Chef Markus Söder. Arbeitsministerin Bärbel Bas betonte: "Wir fördern Arbeit statt Arbeitslosigkeit. Wer nicht mitmacht, wird es schwer haben." Die SPÖ-Chefin warnte aber vor zu hohen Erwartungen an mögliche Einsparungen für den Staat. "Der Betrag wird sehr klein sein."
Die Einigung sorgt sowohl für Lob als auch für heftige Kritik. CDU-Chef Carsten Linnemann freut sich, dass Selbstständigkeit und Eigenverantwortung gestärkt werden. Es werde verhindert, "dass Menschen in irgendwelchen Maßnahmen versacken, aus denen sie nicht wieder rauskommen", sagte er der "Rheinischen Post".
Der Jungen Union gehen die Pläne nicht weit genug. Bas müsse "Rechte und Pflichten beim Bürgergeld wieder definieren", forderte JU-Chef Johannes Winkel im "Spiegel". Ohne dieses Mindestmaß könne kaum verhindert werden, "dass Leute sich im System einrichten".
Juso-Chef Philipp Türmer kritisierte den Koalitionspartner scharf: "Die Union tut immer so, als wenn genügend Härte beim Bürgergeld plötzlich alle Probleme im Bundeshaushalt und auf dem Arbeitsmarkt lösen würde", sagte Türmer dem "Spiegel".
Teile der Opposition im Bundestag warnen vor einem höheren Armutsrisiko. "Was hier vorgelegt wurde, ist wirklich harter Tobak", sagte Grünen-Chef Felix Banaszak den Zeitungen der Mediengruppe Bayern. Die Einigung sei "ein Schlag ins Gesicht all derjenigen, die ohnehin schon jeden Tag kämpfen".
Linken-Chefin Ines Schwerdtner wirft der Koalition vor, Politik auf Kosten der Schwächsten zu machen. "Bevor man bei den Ärmsten spart, sollte die Regierung besser nach oben gucken und schauen, welche starken Schultern mehr tragen können", sagte Schwerdtner der "Rheinischen Post".
Auch die Chefin des Deutschen Gewerkschaftsbunds, Yasmin Fahimi, spricht von geplanten "drakonischen Strafen, um vielleicht ein paar Hundert Menschen aus dem Bürgergeld zu drängen". Dem Redaktionsnetzwerk Deutschland sagte sie: "Ich denke nicht, dass das verfassungsgemäß ist." Das gelte vor allem für die komplette Streichung.
Kritik kommt auch von Sozialverbänden. "Es kann nicht wahr sein, dass der Bundesregierung angesichts all der Krisen, die wir erleben, nichts Besseres einfällt, als schon wieder am Sozialstaat zu sägen", erklärte Arbeiterwohlfahrt-Präsident Michael Groß. "Millionen von Familien" würden durch die Pläne bestraft. Diese betreffen auch "Arbeitnehmer mit kleinen Einkommen, die aufgrund von Stellenabbau ihren Job verlieren", warnte die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele, in der "Rheinischen Post".
Die Vorstandsvorsitzende des Sozialverbands Deutschland, Michaela Engelmeier, sagte der "Rheinischen Post", es müsse "auch nach oben" geblickt werden. "Solidarität bedeutet nämlich auch, dass diejenigen mehr beitragen, die auch mehr haben." Auch der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, Joachim Rock, lehnt die Pläne ab. "Die Pläne der Bundesregierung sind ein ungerechtfertigtes und unsoziales Misstrauensvotum gegen Arbeitsuchende", sagte Rock der "Rheinischen Post".