"Seit dem Lockdown hat sich mein Arbeitsalltag radikal verändert." Diese Aussage trifft wohl auf die meisten Arbeitnehmer zu. Gesellschaftliche Normen haben sich verändert, neue Technologien wurden etabliert und Prioritäten neu gesetzt. Wie ein Angestellter aus der Schweiz aber berichtet, ist dieses neue Arbeitsmodell mit der Rückkehr ins Büro an seine Grenzen gestoßen – und entsprechend fällt seine Reaktion aus: "Die meiste Zeit tue ich nur noch so, als würde ich arbeiten."
Er wisse genau, wie er den Eindruck aufrechterhalten kann und er sei damit nicht alleine. "Pünktlich in Meetings erscheinen, Kamera an, nicken, ein paar schlaue Floskeln einwerfen – und schon glaubt jeder, wir seien voll dabei", erzählt er. "In Wirklichkeit machen wir dabei Witze, reden über Netflix-Serien oder planen unseren Feierabend." Bei seinem Arbeitgeber habe er gleich eine ganze Gruppe Gleichdenkender gefunden.
Das Phänomen beschränkt sich auch nicht nur auf sein Unternehmen. Anderenorts organisieren die Mitarbeiter etwa Fake-Meetings oder "faule Calls", in denen es eigentlich um nichts geht, verschwinden aus dem Büro, sobald der Chef, aus den Augen ist.
Während sich die Art des "Zeitschindens" unterscheidet, vereint sie eines: Der Auslöser ist die erzwungene Rückkehr ins Büro.
Das Phänomen zeigt, wie wichtig den Angestellten seit der Pandemie das Homeoffice geworden ist. Aus Sicht der Angestellten werde gemäß Arbeitspsychologen und HR-Experten mit der Büropflicht ein psychologischer Vertrag gebrochen. Dahinter steckt aber auch der verstärkte Wunsch nach mehr Mitbestimmung am Arbeitsplatz und mehr Work-Life-Balance.
So berichtet ein ehemaliger Angestellter einer IT-Firma, sein Chef habe die Angestellten ins Büro geordert, um die direkte Kommunikation zu fördern. Die Realität sei aber eine andere gewesen. "Tatsächlich musste ich regelmäßig vor Ort erscheinen, einfach nur um Präsenz zu markieren. 90 Prozent der Aufgaben konnten problemlos im Homeoffice erledigt werden." In der Folge habe er im Büro kaum mehr noch gearbeitet.
"Ich war stinksauer. Ob man im Büro unproduktiv ist oder zu Hause, macht keinen Unterschied." Folgen vom Arbeitgeber habe es keine gegeben. Seine Aufgaben scheint er erledigt zu haben. Am Ende zog er selber die Reissleine und kündigte. "Ich arbeite jetzt drei Tage die Woche wieder im Homeoffice. Würde sich das ändern, suche ich mir wieder einen neuen Job."
Das Phänomen ist auch bei weitem nicht nur auf die Schweiz begrenzt. In den USA wird es medial als "Revenge RTO" bezeichnet – was auf Deutsch ungefähr Büropflicht Rache heißt. Im Internet, etwa auf dem Subreddit "Antiwork", tauschen sich verärgerte Angestellte in Kommentarspalten mit Erfahrungen und Tipps aus.
So berichten Nutzer etwa von Arbeitnehmern, die sich großzügig aus dem Büro-Kühlschrank bedienen, um den eigenen zu Hause aufzustocken. Andere raten – mit Verweis auf ein Handbuch der CIA zur Sabotage – möglichst viele Reden zu halten oder den Chef genau dann zu stören, wenn er besonders konzentriert aussieht.
Viele der Arbeitnehmer berichten ebenfalls von ähnlichem Vorgehen. Direkt sabotieren wollen sie ihren zwar Arbeitgeber nicht – ihre Pflichten erledigen sie zumindest nach eigenen Angaben immer noch. Darüber hinaus machen sie allerdings nicht mehr.