Demonstrationen & Verhaftungen

Opposition im Visier: Kampf um Erdogans Machterhalt

In der Türkei läuft eine Verhaftungswelle. Im Visier steht die Opposition – und eigene Soldaten.
20 Minuten
02.07.2025, 14:09
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Was ist passiert?

In Izmir – nach Istanbul und Ankara die drittgrößte Stadt der Türkei – regiert die größte türkische Oppositionspartei CHP. Bei den vergangenen landesweiten Kommunalwahlen war sie als stärkste Kraft hervorgegangen und steht seither unter zunehmendem politischen und juristischen Druck. Dieser entlud sich am Dienstag: Bei einem groß angelegten Einsatz sind in der CHP-Hochburg am Dienstag 126 Personen festgenommen worden. Darunter befinden sich laut der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu auch der ehemalige Oberbürgermeister von Izmir, Tunc Soyer, sowie der CHP-Provinzvorsitzende Senol Aslanoglu. Insgesamt wurden 157 Festnahmen im Rahmen von Korruptionsermittlungen der Staatsanwaltschaft Izmir angeordnet.

Wieso kam es zu den Festnahmen?

Präsident Recep Tayyip Erdogan (71) begründet die Verhaftungen mit angeblichen illegalen Machenschaften der Partei. Viele Beobachter werten das Vorgehen aber als gezielte Kampagne der Regierung gegen die CHP. Auftakt war die Verhaftung des populären CHP-Politikers Ekrem Imamoglu vor hundert Tagen: Der Bürgermeister von Istanbul und potenzielle Erdogan-Herausforderer war wegen Korruptionsvorwürfen Mitte März festgenommen, später verhaftet und abgesetzt worden. Imamoglu weist die Vorwürfe zurück, während die CHP ihn unmittelbar nach der Festnahme zu ihrem Präsidentschaftskandidaten kürte. Zahlreiche weitere Personen aus Imamoglus Umfeld wurden in mehreren Festnahmewellen in Gewahrsam genommen. Der CHP-Vizevorsitzende Murat Bakan schrieb auf der Plattform X, in Izmir passiere nun etwas Ähnliches wie in Istanbul.

Wie reagiert das Land?

Seit der Absetzung des Istanbuler Bürgermeisters Imamoglu regt sich Widerstand im Land, gerade in den Städten kommt es immer wieder zu Demonstrationen. Auch am Dienstag, wenige Stunden nach den Verhaftungen in Izmir, gingen in Istanbul mindestens 10’000 Menschen gegen die Verhaftung Imamoglus auf die Straße. "Heute stehen wir alle zusammen an dem Ort, an dem alles begann", sagte CHP-Chef Özgür Özel vor dem Istanbuler Rathaus. "Dieser Kampf richtet sich gegen den Faschismus, für die Freiheit."

Özel wandte sich auch direkt gegen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan wegen der Bemühungen, Imamoglus Bild von Plakaten in der Stadt zu entfernen. "Sie fürchten die Plakate von Bürgermeister Ekrem, seine Broschüren, sein Foto und seine Stimme. Doch Angst ist angesichts des Schicksals sinnlos", fuhr er fort. "Sie werden gehen. Ekrem Imamoglu wird Präsident werden."

Was steckt dahinter?

Beobachter zufolge denken Erdogan und seine AKP an den Machterhalt in drei Jahren. Von Gesetzes wegen muss der 71-Jährige am Ende seiner derzeitigen fünfjährigen Amtszeit das Präsidentenamt 2028 verlassen. "Es gibt jedoch deutliche Anzeichen dafür, dass er dies nicht vorhat", schreibt das Portal "World Politics Review". Erdogans politische Manöver sind demnach bereits im Gange. So nimmt er die ohnehin schon gespaltene Opposition in die Zange, um deren Anhänger zu demobilisieren, jede potenzielle Anti-Erdogan-Koalition zu spalten und Zustimmung für einen neuen Deal zu erzeugen, der ihn an der Macht hält.

Gab es noch mehr Verhaftungen?

Ja, und zwar in den Reihen des Militärs. So sind die Behörden wegen angeblichen Terrorverdachts gegen zahlreiche Soldaten vorgegangen. Mehr als 160 Verdächtige wurden in Istanbul, Izmir und weiteren Städten und Provinzen festgenommen. Der Vorwurf: Sie sollen Teil der sogenannten Gülen-Bewegung sein (siehe Box). Gegen 176 Verdächtige wird in diesem Zusammenhang ermittelt, darunter 174 im aktiven Dienst. Sie sollen von der Gülen-Organisation in die türkischen Streitkräfte eingeschleust worden sein.

Festnahmen gab es auch im Umfeld des Satiremagazins "Leman". Dieses soll mit einer Karikatur den Propheten Mohammed beleidigt haben. Man ermittle nun wegen der öffentlichen Verunglimpfung religiöser Werte, teilte Justizminister Yimaz Tunc mit. In einer Stellungnahme auf X widersprach "Leman" der Darstellung. Bei der Karikatur handle es sich nicht um den Propheten Mohammed. Die Anwaltsvereinigung CHD schrieb auf X, bei der Festnahme sei übertriebene Gewalt gegen die Mitarbeiter des Magazins angewendet worden, und sie sprach von "Folter". Das Vorgehen sei als Angriff auf Oppositionelle im Land zu verstehen. Die Regierung wolle sie mit derartigem Vorgehen zum Schweigen bringen.

{title && {title} } 20 Minuten, {title && {title} } Akt. 02.07.2025, 14:34, 02.07.2025, 14:09
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