Ein indigener Stamm aus dem brasilianischen Amazonasgebiet wirft der "New York Times" vor, seine Mitglieder zu Unrecht als technologieverdorben und pornosüchtig denunziert zu haben. Die Berichterstattung der renommierten Zeitung über die erste Begegnung der Stammesmitglieder mit dem Internet habe ein entsprechendes Bild des Stammes der Marubo in Umlauf gebracht, hieß es in einer Verleumdungsklage, die bei einem Gericht in Los Angeles eingereicht wurde. Der im Javari-Tal beheimatete Stamm mit etwa 2.000 Mitgliedern verlangt mehrere Millionen Dollar Schadenersatz.
Als weitere Beklagte werden das Promi-Portal "TMZ" und Yahoo aufgeführt. Ihnen werfen die Marubo vor, die Berichterstattung der "New York Times" aufgebauscht und den Stamm dadurch diffamiert zu haben.
Der zugrundeliegende Bericht des "Times"-Reporters Jack Nicas vom Juni 2024 setzte sich damit auseinander, wie der Stamm die Einführung des Satelliten-Internetdienstes Starlink von Tech-Milliardär Elon Musk erlebte. Darin habe Nicas das Volk der Marubo als eine Gemeinschaft porträtiert, die nicht in der Lage sei, damit umzugehen, dem Internet ausgesetzt zu sein, monierten die Kläger. Dabei habe der Autor besonders hervorgehoben, die Jugend des Stammes lasse sich von Pornografie in Beschlag nehmen.
Diese Darstellung sei nicht nur hetzerisch gewesen, sondern habe durchschnittlichen Lesern den Eindruck vermittelt, dass die Marubo wegen ihres Kontakts mit dem Internet einen moralischen und sozialen Verfall erlebten, hieß es in einer überarbeiteten Fassung der Klageschrift am Donnerstag. Solche Darstellungen gingen weit über einen kulturellen Kommentar hinaus: "Sie greifen den Charakter, die Moral und die soziale Stellung eines ganzen Volkes direkt an und suggerieren, es fehle ihm an Disziplin oder Werten, um in der modernen Welt zu funktionieren."
Die "New York Times" teilte der Nachrichtenagentur AP auf Anfrage mit, bei genauer Betrachtung des Artikels zeige sich "eine sensible und differenzierte Auseinandersetzung mit den Vorteilen und Komplikationen neuer Technologien in einem abgelegenen indigenen Dorf mit stolzer Geschichte und bewahrter Kultur. Wir werden uns energisch gegen die Klage verteidigen".
Eine Grundaussage des Artikels von Nicas war, dass die indigene Gemeinschaft nach weniger als einem Jahr Kontakt mit dem Internet mit den gleichen Problemen zu kämpfen habe, die seit Jahren einen Großteil der Welt betreffen. Dazu gehörten "Jugendliche, die an ihren Handys kleben, Gruppenchats voller Tratsch, süchtig machende soziale Netzwerke, Online-Unbekannte, gewalttätige Videospiele, Betrug, Falschinformationen und Minderjährige, die Pornografie schauen", listete der Reporter auf.
Zudem schrieb Nicas, ein Stammesführer sei vor allem von der Pornografie beunruhigt. Dass junge Männer einschlägige Videos in Gruppenchats teilten, sei eine erstaunliche Entwicklung für eine Kultur, in der das Küssen in der Öffentlichkeit ein Tabu sei. Weitere Erwähnungen von Pornografie gibt es in dem Artikel nicht. Andere Medien stellten diesen Aspekt in der nachfolgenden Berichterstattung jedoch in den Vordergrund. TMZ etwa titelte, der Starlink-Zugang habe "einen abgelegenen Stamm pornosüchtig" gemacht. TMZ und Yahoo reagierten nicht umgehend auf eine Bitte um Stellungnahme.
Die "New York Times" indes thematisierte die Weiterverwertung ihrer Story in einem Folgeartikel. "Die Marubo sind nicht pornografiesüchtig", stellte Nicas darin klar. Darauf habe es bei der Recherche vor Ort keinen Hinweis gegeben, und dies sei in seinem ursprünglichen Artikel auch nicht suggeriert worden. Die Anwälte der Marubo warfen dem Autor vor, die Betonung des Pornografie-Themas in seinem ersten Artikel herunterzuspielen und die Schuld anderen zuzuschieben.