Was als vermeintlich harmloser Einsatz während des ersten Corona-Lockdowns begann, endete in einer Tragödie: Eine ältere Frau, die aus Angst vor einer Spitalsansteckung den Transport verweigerte, unterschrieb eine Ablehnungserklärung – und starb wenig später an einem unerkannten Herzinfarkt. Die Familie zog vor Gericht, wollte die Sanitäter zur Verantwortung ziehen.
Als die Sanitäter die Dame am besagten Tag vorfanden, saß sie auf ihrer Toilette – angezogen und ansprechbar. Seit Wochen würde sie bereits an Drehschwindel, Sodbrennen und Durchfall leiden, auch Übelkeit würde die ältere Frau immer wieder plagen. Ihre Familie hatte nun den Notruf gewählt.
Herzfrequenz konnten die Sanitäter jedoch keine feststellen, sie wollten die Dame sicherheitshalber mit ins Krankenhaus nehmen, um ein ärztliches Urteil einzuholen. Im März 2020 war die Corona-Pandemie jedoch in vollem Gange, der erste Lockdown wurde gerade verhängt. Die Betroffene hatte Angst, sich im Spital anzustecken, und machte deutlich: Sie will nicht ins Krankenhaus.
Kurzerhand packten die Sanitäter ein Formular aus. "Ich lehne eine Überführung in ein Krankenhaus bei voller Verantwortlichkeit für meinen Gesundheits- bzw. Krankheitszustand ausdrücklich ab, obwohl mich die Mitarbeiter des (Name des Rettungsdiensts) umfassend aufgeklärt und dazu aufgefordert haben. Ich bin mir bewusst, dass ich die Folgen dieser Ablehnung selbst zu verantworten und zu tragen habe", stand darauf zu lesen.
Die Frau unterschrieb – kein Krankenhausaufenthalt für sie. Sollte sich ihr Zustand jedoch verschlechtern, solle sie unbedingt den Notruf 144 wählen, wie die Sanitäter erklärten.
Fünf Stunden später war es so weit – die Rettung stand erneut vor der Tür der Dame, ihr ging es schlechter. Nun ging es auch ins Krankenhaus für die Pensionistin; am nächsten Tag verstarb sie dort an den Folgen eines Herzinfarkts. Der Ehemann und die Söhne der Frau forderten vor Gericht jeweils 20.000 Euro Trauerschmerzengeld, der Rettungsdienst solle zusätzlich die Begräbniskosten tragen.
Für diesen war jedoch klar: Die Frau, welche im Übrigen vor ihrer Pensionierung als diplomierte Krankenpflegerin im neurochirurgischen Bereich gearbeitet hatte, hätte wissen müssen, was sie tat. Der Rettungsdienst wandte ein, die Frau habe aus freien Stücken auf den Transport verzichtet. Darüber hinaus wäre die Dame laut den Sanitätern selbst dann gestorben, wenn sie direkt nach dem ersten Einsatz ins Spital gekommen wäre.
Das Grazer Landesgericht für Zivilrechtssachen gab der Klage statt, die Sanitäter hätten grob fahrlässig gehandelt. Richtiges Vorgehen hätte so ausgesehen: Man hätte die Patientin nachdrücklich darauf hinweisen müssen, dass sie sich einer ärztlichen Kontrolle unterziehen müsse. Sei der Transport der Frau nicht möglich gewesen, hätte man einen Not- oder Bereitschaftsarzt kontaktieren müssen.
Das Oberlandesgericht Graz wies die Klage hingegen ab. Der Grund: Sanitäter hätten nicht dieselbe Aufklärungspflicht wie ein Arzt. Es wäre in dem Fall zwar richtig gewesen, die Patientin mit ins Spital zu nehmen, die Sanitäter hätten dies jedoch nicht erkennen und auch keinen Notarzt hinzuziehen müssen. Aus ihrer Sicht sei nämlich keine akute Lebensbedrohung zu erkennen gewesen. Die Entscheidung der Patientin, auf den Transport zu verzichten, sei sehr wohl relevant – auch wenn diese zum Nachteil der Betroffenen war.
Der OGH entschied in der Sache: Der Patient muss der Behandlung durch einen Sanitäter zustimmen. Für diese gelte, was die Aufklärungspflicht angeht, ein anderer Maßstab als für Ärzte. Aber "den Rettungssanitäter kann in seinem Tätigkeitsbereich dennoch eine Aufklärungspflicht gegenüber dem Patienten treffen", betonten die Richter laut der "Presse". Schließlich heiße es im Sanitätergesetz: "Sie haben das Wohl der Patienten und der betreuten Personen nach Maßgabe der fachlichen und wissenschaftlichen Erkenntnisse und Erfahrungen zu wahren. Nötigenfalls ist ein Notarzt oder, wenn ein solcher nicht zur Verfügung steht, ein sonstiger zur selbstständigen Berufsausübung berechtigter Arzt anzufordern."
Unter diese Aufklärungspflicht falle auch die Frage, wie nötig ein Transport ins Spital sei, entschloss der OGH. Der Sanitäter habe einem Patienten, der eine Hilfsmaßnahme ablehnt, "allgemein darzulegen, aus welchen Gründen die Durchführung der Maßnahme aus seiner fachlichen Sicht anzuraten ist". Erst dadurch werden dem Patienten die angebotene Maßnahme näher veranschaulicht und eine sachgerechte Entscheidung über diese ermöglicht.
Der Oberste Gerichtshof verwies den Fall zur erneuten Prüfung an das Erstgericht. Dort soll nun festgestellt werden, wie eindringlich die Sanitäter der Frau nahegelegt hatten, sich ins Krankenhaus bringen zu lassen. Außerdem müsse bewertet werden, ob die Einsatzkräfte die kritische Situation überhaupt erkennen konnten und ob ihre damalige Ausbildung sie ausreichend auf solche Fälle vorbereitete. Zusätzlich wird berücksichtigt, dass selbst im Krankenhaus das beginnende Herz-Kreislauf-Versagen zunächst nicht erkannt wurde. Fest steht jedoch: Eine bloße Unterschrift der Patientin, den Transport abzulehnen, reicht in solchen Situationen nicht aus.