Nachdem schon in der Nacht auf Mittwoch ein Schwarm Drohnen in den polnischen Luftraum eingedrungen war, schlug Polen am Samstag erneut Alarm. Auch in Rumänien verfolgten zwei Kampfjets eine russische Drohne rund 20 Kilometer tief ins Landesinnere.
Polen ließ Jets aufsteigen und versetzte die bodengestützten Luftabwehrsysteme in höchste Alarmbereitschaft. Der Flughafen Lublin im Südosten des Landes wurde vorübergehend geschlossen. Die Nato alarmierte zwei Eurofighter. Rumänien sicherte die Drohne mit zwei Kampfjets. Schon am 12. September startete die NATO eine Operation zur Stärkung der Ostflanke, künftig sollen Reaktionen auf solche Vorfälle einem Oberbefehl unterstellt werden.
"Luftraumverletzungen durch Russland hat es während des gesamten Ukrainekriegs gegeben – aber nicht in dem Ausmaß der vergangenen Woche." Der Abschuss von Drohnen innerhalb des NATO-Luftraums sei völkerrechtlich zulässig. Doch ein Eingreifen außerhalb – etwa über der Ukraine – gelte bereits als "kriegsnahe Handlung". Besonders heikel sei der Umgang mit bemannten Flugzeugen. "Hier gilt das Gebot der Verhältnismäßigkeit: Zuerst die Aufforderung, sofort den Luftraum zu verlassen, dann kann man das Flugzeug abdrängen. Erst als letzte Konsequenz stünde ein Abschuss im Raum." Insgesamt markierten die jüngsten Vorfälle eine deutliche Eskalation. "Die Intensität des Konflikts nimmt stetig zu."
Russland und Belarus seien von der Entschlossenheit der Nato beeindruckt gewesen: "Das Zentrum des Manövers Sapad 2025 wurde deutlich ins Landesinnere von Belarus verlegt." Fischer betont die Notwendigkeit, stets verhältnismäßig zu handeln und nicht vorschnell rote Linien zu überschreiten.
Fischer hält es für wahrscheinlich, dass Vorfälle zunehmen werden: "Die Entwicklung der vergangenen drei Jahre zeigt eine kontinuierliche Intensitätssteigerung. Es gab vielleicht kurze Pausen, aber zurückgefahren wurde im Konflikt nicht." Von Prognosen, dass der Krieg etwa 2028 auf Westeuropa ausgeweitet werden könnte, hält Fischer hingegen wenig: "Das Einzige, was man militärökonomisch relativ genau vorhersagen kann, ist, dass Russland in rund vier bis fünf Jahren seine Armee wieder auf ein Niveau gebracht hat, das es erlauben würde, weitreichende Angriffsmaßnahmen zu setzen. So lange hat die NATO Zeit, um ein ausreichendes Abschreckungspotenzial aufzubauen."
Der Westen müsse dabei eine schwierige Balance finden: Einerseits brauche die Ukraine weiterhin Unterstützung, andererseits müssten die NATO-Staaten ihre eigenen, teils stark dezimierten Arsenale wieder auffüllen. "Der Verteilkampf zwischen Nato und Ukraine um Waffensysteme hat begonnen."
Die Aktivierung von Artikel 5, der letzten Stufe vor Eintritt in Kampfhandlungen, sei derzeit nicht zu erwarten. Ein möglicher Auslöser für Artikel 5 müsse mehr sein als ein isolierter Vorfall. Voraussetzung sei "ein mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gezielter Angriff, der nicht von einem individuellen Kommando oder einer Einzelperson gesetzt, sondern von der politischen Führung eines Staates befohlen wurde". Ein voreiliges Ausrufen würde die Nato selbst unter Zugzwang setzen. Die Wahrscheinlichkeit eines derartigen Schrittes steige zwar, vorerst sei eine solche Eskalation aber nicht zu erwarten.
"Eine solche Intensität haben wir in den dreieinhalb Jahren Krieg noch nie erlebt. Das ist kein Zufall", sagt Dubowy. Russland teste damit gezielt die militärischen und politischen Reaktionsfähigkeiten der Nato und der EU sowie insbesondere der USA aus.
Auf nationaler Ebene sei die Antwort klar und entschlossen ausgefallen. "Polen und Rumänien haben sofort Jets aufsteigen lassen, einige Drohnen wurden abgeschossen." Polen habe außerdem Artikel-4-Konsultationen im Rahmen der Nato ausgelöst – "ein symbolisch aufgeladenes Mittel". "Die Nato-Massnahmen insgesamt sind mit Augenmaß gesetzt", betont Dubowy. "Die Allianz verstärkt ihre Ostflanke und fährt die Luftverteidigung hoch, achtet aber darauf, dass diese Schritte nicht als Eskalation verstanden werden."
Moskau eskaliert derzeit schrittweise, sagt Dubowy. "Der Westen ist der Frosch im Topf, Russland erhöht die Wassertemperatur langsam. Wenn der Frosch merkt, dass das Wasser kocht, ist es möglicherweise zu spät", erklärt er bildhaft. Entscheidend sei, wie die USA reagieren: "Sobald Washington Schwäche zeigt, fühlt sich Moskau ermutigt, weiter Grenzen auszutesten." Strategisch gehe es dem Kreml um eine Neuordnung der europäischen Sicherheitsarchitektur. Deshalb müsse der Westen proaktiv handeln und:
Ein direkter NATO-Kriegseintritt gegen Russland sei derzeit unwahrscheinlich, betont Dubowy. Artikel 5 des Bündnisses sei zwar eine Beistandsklausel, doch politisch sehr flexibel formuliert. "Im Extremfall könnte eine Postkarte mit den besten Wünschen als Erfüllung gelten", erklärt er zugespitzt. Entscheidend sei der politische Wille der Mitgliedstaaten. Deshalb reagierten die Länder bislang vor allem auf nationaler Ebene.
Theoretisch denkbar, aber derzeit unwahrscheinlich, sei, dass einzelne Staaten eigene Kontingente in die Ukraine schicken. "Niemand in der Nato will diesen Krieg. Russland hingegen sieht sich im Krieg gegen den Westen. Je weiter Moskau eskaliert, desto mehr Staaten verstehen, dass sie dazu bereit sein müssen."