Dramatische Wende im Fall des vom ukrainische Militär "entführten" ORF-Kameramannes Andrij Neposedov. Der 53-jährige, der nach einer Kriegsverletzung wehrdienstunfähig ist, war am Samstag vor einer Woche auf dem Weg zu Dreharbeiten mit ORF-Korrespondent Christian Wehrschütz von Angehörigen der für Rekrutierungen zuständigen Militäreinheit TCK rechtswidrig festgenommen worden – "Heute" berichtete.
Nach 6 Tagen Internierung in einem geschlossenen TCK-Rekrutierungszentrum in Ternopil, in dem wilde Zustände herrschen (siehe unten), gelang ihm am Freitag unter noch ungeklärten Umständen bei einer Überstellung zu einer anderen Militäreinheit offenbar die Flucht.
Kurz zuvor war es bei Butschatsch, südlich von Ternopil, zu einem erneuten Polizeieinsatz auf Betreiben seiner Lebenspartnerin Oleksandra Zizenkova gekommen, bei der die Polizisten die Dokumente aller beteiligten kontrollierte, jedoch aufgrund fehlender Befugnisse gegenüber dem Militär nicht weiter einschreiten konnte – wie Zizenkova auch auf Video festgehalten hat. In einer Einstellung ist auch Neposedov kurz sitzend in einem zivilen Van des Militärs zu erkennen.
Wie Zizenkova gegenüber "Heute" bestätigt, hat er vergangene Nacht versteckt in einem Wald verbracht. Zuvor hat ihn das TCK in Ternopil erneut zu "überzeugen" versucht, seine neuerliche "freiwillige" Einberufung ins Militär zu unterschreiben, wie sie schildert. Dabei ist Neposedov nach einem bereits absolvierten Freiwilligendienst 2022 verletzungsbedingt wehrdienstbefreit.
Er verfügt laut Zizenkova über eine Entlassungsbestätigung des Militärs sowie ein medizinisches Gutachten über seine Wehrdienstunfähigkeit. Er hatte bereits 2022 als Freiwilliger für die ukrainische Armee gekämpft, leidet aber nach Explosionen in seiner unmittelbaren Umgebung an chronischen Schmerzen. Er kann daher nicht mehr erneut ins Militär einberufen werden, sofern er sich nicht erneut freiwillig melden würde – was er aufgrund seiner Verletzungen "natürlich nicht" will.
Dennoch versucht ihn die Rekrutierungseinheit TCK in Ternopil, das ihm anfangs tagelang seine Medikamente verwehrt hat, dazu zu zwingen – bis er nun eine Möglichkeit zur Flucht ergriff, wie auch oe24.at mit Verweis auf eine Auskunft von Christian Wehrschütz am Samstag berichtete.
"Das, was er in Ternopil gesehen hat, kann ihm das Leben kosten", fürchtet Zizenkova in einer Stellungnahme gegenüber "Heute" am Sonntag nun um sein Leben. Ein auf TikTok gepostetes Video, das mit "Ternopil TCK Banditen" betitelt ist, soll zeigen, wie ukrainische Militärangehörige einen Rekruten mit einer Pistole bedrohen und ihm mehrfach ins Gesicht schlagen. Datum und Ort der Aufnahme konnten nicht verifiziert werden. Es soll ich aber um das selbe TCK-Rekrutierungszentrum in Ternopil handeln, in dem auch Neposedov untergebracht war.
Bisher erschienene Artikel seit Bekanntwerden der Festnahme am 6. September
Der ORF-Redaktionsrat forderte bereits vergangenen Mittwoch in einer Aussendung die Freilassung von Neposedov und sah in dessen Aufgriff einen schweren Angriff auf die Pressefreiheit. "Die Ukraine will der EU beitreten und ist daher verpflichtet, europäische Standards einzuhalten, die persönliche Sicherheit und Medienfreiheit betreffen", so Redaktionsrats-Vorsitzender Dieter Bornemann in der Aussendung.
Auch das österreichische Außenministerium und die österreichische Botschaft in Kiew wurden eingeschalten. Da es sich bei Neposedov jedoch um einen ukrainischen Staatsbürger handelt, seien die Unterstützungsmöglichkeiten sehr beschränkt, zitiert die Austria Presse Agentur (APA) das Außenministerium in Wien.
Auch die FPÖ äußerte sich mittlerweile zu dem brutalen Fall der Missachtung von Bürgerrechten und Pressefreiheit in der Ukraine: "Was sich derzeit in der Ukraine abspielt, ist ein ungeheuerlicher Angriff auf die Pressefreiheit und ein weiterer Beleg dafür, wie weit sich das Selenskyj-Regime bereits von demokratischen Grundstandards entfernt hat", erklärte FPÖ-Generalsekretär und Mediensprecher Christian Hafenecker am Freitag in einer Stellungnahme.
„Ein Medienmitarbeiter, der mit ORF-Korrespondent Christian Wehrschütz im Einsatz war, wird rechtswidrig verschleppt, misshandelt und trotz ärztlich bestätigter Wehrdienst-Untauglichkeit unter Druck gesetzt, erneut an die Front zu gehen – das ist ein Skandal sondergleichen“Christian HafeneckerFPÖ-Generalsekretär und -Mediensprecher
Der Fall Neposedov droht immer mehr zur Zerreißprobe für die österreichisch-ukrainischen Beziehungen zu werden. "Heute" hat das Außenministerium am Sonntag um eine Stellungnahme gebeten und wird weiter berichten, sobald es neue Informationen gibt.