Russische Drohnen sind in den polnischen Luftraum eingedrungen und wurden dort von polnischen Kampfjets abgeschossen. Polens Ministerpräsident Donald Tusk hat eine Krisensitzung einberufen, die Hintergründe sind noch unklar.
Für Klemens Fischer, Professor für Internationale Beziehungen und Geopolitik an der Universität zu Köln, ist derweil klar: Das war ein Verstoß gegen das Völkerrecht. Von der NATO erwartet er in einem Interview mit "20 Minuten" erhöhte Alarmbereitschaft, aber keine Eskalation. Wie oft Russland so etwas noch ungestraft machen könne, sei aber fraglich. Seine Ausführungen im Wortlaut:
Herr Fischer, Sie sagen, es sei kein guter Tag gewesen für das Völkerrecht. Erklären Sie.
Klemens Fischer: Israel greift ein Ziel in einem Drittstaat ohne dessen Zustimmung an, setzt damit einen kriegerischen Akt und tritt das Kriegsvölkerrecht mit Füßen. Und russische Drohnen, die gegen ukrainische Ziele eingesetzt werden, dringen in polnischen Luftraum ein – ebenfalls ein eklatanter Verstoß gegen das Völkerrecht.
Was wissen wir konkret über das Eindringen in den polnischen Luftraum?
Da Polen aus gutem Grund keine Luftbilder oder Radaraufzeichnungen veröffentlicht, kann man nur spekulieren, wie tief die Drohnen eingedrungen sind. Natürlich stellt sich die Frage, ob es sich dabei um eine bewusste Provokation gehandelt hat, ob Russland die Flugabwehrbereitschaft Polens testen wollte, ob diese Luftraumverletzung Teil des diese Woche beginnenden russisch-weißrussischen Manövers Sapad 2025 ist oder ob die Flugbahn der Drohnen schlicht vom Kurs abgekommen ist. Ehe sich Polen dazu geäußert hat, oder gar Russland, hat erwartungsgemäß Selenskyj bereits festgestellt, dass es sich um eine gezielte Aktion Russlands gehandelt hat. Aus propagandistischer Sicht ist von Kyjiw nichts anderes zu erwarten, was den überprüfbaren Wahrheitsgehalt aber nicht verbessert.
„Die Nato scheint den Vorfall nicht als Angriff zu werten.“Klemens Fischer
Spielt das denn völkerrechtlich eine Rolle?
Aus völkerrechtlicher Sicht ist es, unabhängig von der Begründung, ein Verstoß, da Polen keine Kriegspartei und der polnische Luftraum daher "off limits" ist. Aus kriegsvölkerrechtlicher Sicht stellt diese Luftraumverletzung aber keineswegs einen Kriegsgrund oder gar eine Angriffshandlung dar. Die NATO scheint den Vorfall auch nicht als Angriff zu werten.
Was sagt Russland dazu?
Bislang nichts. Allenfalls lassen sie verlauten, dass es sich um ein Versehen gehandelt hat.
Wie beurteilen Sie Polens Reaktion?
Als angemessen. Premierminister Tusk protestiert offiziell, die Luftraumüberwachung bleibt in Alarmbereitschaft, aber die Luftraumverletzung wird nicht als kriegerischer Akt eingestuft, weder von Polen noch von der NATO. Dies würde in letzter Konsequenz zur Folge haben, dass die Beistandsklausel gemäß Artikel 5 des NATO-Vertrags ausgelöst würde. In diesem Zusammenhang darf nicht vergessen werden, dass im Jahre 2022 zwei polnische Bürger auf polnischem Territorium durch eine fehlgeleitete ukrainische Rakete zu Tode gekommen waren. Die Ukraine reklamierte ein Versehen, was aber an der Luftraumverletzung als solcher nichts ändert. Unbestätigten Meldungen zufolge könnte die gestrige russische Luftraumverletzung auch durch ukrainische Störmaßnahmen ausgelöst worden sein. Technisch ist die Ukraine jedenfalls dazu in der Lage. Weißrussland bietet heute die nächste Erklärung und verkündet, dass man Polen umgehend gewarnt hatte, als die Drohnen aus ungeklärter Ursache vom Kurs abgekommen waren.
Klemens Fischer ist Professor für Internationale Beziehungen und Geopolitik an der Universität zu Köln. Von 1993 bis 2022 war er Angehöriger der österreichischen EU-Botschaft in Brüssel, zuletzt im Rang eines Gesandten und Abteilungsleiters.
Wieso sie auch immer da waren: Polen scheint die Drohnen effizient vom Himmel geholt zu haben.
Eines zeigt dieser Fall: Die Abwehrbereitschaft Polens hat dieses Mal zwar ausgereicht. Aber wie Ben Hodges, Kommandierender General der US-Truppen in Europa von 2014 bis 2017, glasklar analysiert, ist die aktuelle NATO-Verteidigungsbereitschaft nicht ausreichend. Drohnen nur noch mit F35 und F22 abfangen zu können, zeigt, dass die NATO dringenden Aufholbedarf hat, und so rasch wie möglich NATO-weite Übungen abhalten müsste, um den Luftraum auch in Zukunft sichern zu können. Russland muss erkennen, dass dieser NATO-Grenzabschnitt zwar verwundbar, aber doch nicht so leicht zu überrumpeln ist.
Die Militärübung Sapad 2025 und jetzt dieser Vorfall: Welche Reaktion erwarten Sie?
An das Kriegsgebiet angrenzende westliche Staaten und die NATO werden die Alarmbereitschaft erhöhen. Das war aufgrund des Manövers aber so oder so vorgesehen. Militärische Aktionen sind eigentlich nicht zu erwarten, da diese eine Eskalation nach sich ziehen könnten, die auch von der NATO nicht angestrebt wird. Darauf deutet auch hin, dass die NATO die Luftraumverletzung rasch nicht als kriegerischen Akt eingestuft hat. Russland muss sich aber fragen, wie oft derartige Völkerrechtsverletzungen von der NATO noch hingenommen werden können, ohne auch direkte militärische Konsequenzen zu ziehen.