Es beginnt mit einem Video aus Dundee, Schottland: Ein Mädchen schwingt ein großes Messer in der einen und eine Axt in der anderen Hand. Ein weiteres Mädchen schreit einen Mann an: "Rühr meine Schwester nicht an, sie ist erst 12".
Der Mann filmt sie, spricht mit ihnen und hat ausländischen Akzent. Die Polizei kommt – und nimmt die 12-Jährige wegen Waffenbesitzes mit. Der Vorfall in der ostschottischen Küstenstadt ereignete sich am Samstagabend, seither sind Aufnahmen davon viral gegangen.
Am Montag bestätigte die Polizei von Dundee die Anklage wegen Waffenbesitzes gegen die 12-Jährige. Am Dienstag fragte Elon Musk seine 225 Millionen Follower: "Was für eine Regierung verhaftet kleine Mädchen, die versuchen, sich zu verteidigen?". Am Mittwoch rief die Polizei die Öffentlichkeit dazu auf, keine Desinformation zu dem Vorfall zu verbreiten.
Im ohnehin stark aufgeheizten Klima auf den Inseln – Stichworte Migrationskrise und Grooming-Skandale – verbreitete sich schnell ein Hass-Narrativ, das rechte Hetzer weiter anfachten. "Sehr beunruhigendes Video. Sehr verzweifelte junge Mädchen werden von einem Migranten gefilmt", postete etwa der rechtsextreme Aktivist Tommy Robinson, mit bürgerlichem Namen Stephen Yaxley-Lennon. Immer mehr Posts behaupteten, dass die Mädchen verfolgt und belästigt wurden.
Schon gibt es Helden-Memes vom Dundee-Mädchen, hochstilisiert zum schottisch-bewaffneten Widerstand. Auch Posts mit Kreuzrittern kursieren. Viele der Onlinekommentare sind voller Hass auf Muslime und Migranten. Gegen diese müssten sich schon schottische Kinder verteidigen, nur um dann vom Staat bestraft zu werden, so der Tenor.
Es war wohl genau umgekehrt. Das legt die Version der Polizei nahe, die sich auf Aufnahmen von Überwachungskameras stützt. Demnach waren es die Mädchen, die den ausländischen Mann ansprachen und beschimpften. Der bulgarische Staatsbürger war an jenem Samstagabend mit seiner Frau unterwegs. Er lebt seit vier Jahren legal in Schottland und hat laut "Daily Mail" eine acht Monate alte Tochter.
Es gebe keine Beweise für die kursierenden Anschuldigungen gegen ihn, teilte die Polizei in Dundee mit. "Wir sind uns bewusst, dass in den sozialen Medien Fehlinformationen über einen Vorfall verbreitet wurden", sagte Chief Superintendent Nicola Russell.
Die 12-Jährige wurde wegen des Besitzes von Angriffswaffen angeklagt und an die zuständigen Behörden überwiesen. Sie und ihre ältere Schwester scheinen aus zerrütteten Verhältnissen zu stammen und sind offenbar polizeibekannt: Erst vor einigen Monaten liefen beide weg, es gab eine Vermisstenanzeige. Es soll Anwohnern zufolge auch nicht das erste Mal sein, dass sie wegen Waffenbesitzes aufgefallen sind.
Ihre Familie, in der es Drogenprobleme geben soll, hat dennoch ein Crowdfunding für Spenden eingerichtet. Dabei behauptet sie weiter und ohne Beweise, die Mädchen seien angegriffen worden und hätten sich gewehrt. Die angeklagte 12-Jährige brauche Hilfe, "um sich gegen die korrupte Justiz zu wehren, die lieber die Opfer verfolgt, als ausländische Migranten für ihre Verbrechen zur Verantwortung zu ziehen". Umgerechnet fast 24.000 Euro sind bereits zusammengekommen.